Polen ist berüchtigt für sein drakonisches Abtreibungsgesetz. Nun hat ein Warschauer Gericht eine Aktivistin wegen "Beihilfe zur Abtreibung" zu acht Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Es ist das erste derartige Urteil in Europa.
"Ich fühle mich nicht schuldig. Ich akzeptiere dieses Urteil nicht", sagte Justyna Wydrzyńska nach der Urteilsverkündung am vergangenen Dienstag. Sie ist Mitbegründerin der Organisation Abortion Dream Team, die Schwangere mit Wunsch nach einer Abtreibung unterstützt. Diese Arbeit wolle sie weiterführen und kündigte an, Berufung gegen das Urteil einzulegen.
Der Fall, der zur Verurteilung führte, ereignete sich 2020, als sich eine Schwangere Hilfe suchend an die Organisation wandte. Nach Angabe von Wydrzyńska war die Frau in der zwölften Schwangerschaftswoche und erfuhr in ihrer Ehe häusliche Gewalt. Zuvor habe sie versucht, für die Abtreibung nach Deutschland zu fahren, wurde jedoch von ihrem Mann daran gehindert. Er habe auch die Polizei informiert, dass seine Frau Abtreibungspillen bestellt habe. Zur Einnahme kam es nicht mehr, die Frau erlitt eine Fehlgeburt. Die Anwältin der Angeklagten sprach von einer psychisch und körperlich dramatischen Situation der Schwangeren, möglicherweise habe sogar Suizidgefahr vorgelegen.
Menschenrechtsaktivisten befürchten, dass das Urteil einen Präzedenzfall geschaffen hat. Agnes Callamard, die Generalsekretärin von Amnesty International, sprach von einem "neuen Tiefpunkt in der Unterdrückung der reproduktiven Rechte in Polen". Den Richterspruch bezeichnete sie als einen "Rückschlag, für den Frauen und Mädchen – und diejenigen, die sich für ihre Rechte einsetzen – einen hohen Preis zahlen müssen". Amnesty International EU forderte auf Twitter, die Verurteilung aufzuheben.
Das Einnehmen von Abtreibungspillen ist in Polen legal. Wer das Mittel besorgt, dem drohen jedoch bis zu drei Jahre Gefängnis. Seit 1993 sind Schwangerschaftsabbrüche in Polen verboten, 2021 wurde das Gesetz unter der rechtsnationalen Regierung weiter verschärft. Seitdem ist der Abbruch nur bei Gefahr für Leben und Gesundheit der Frau oder nach einer Vergewaltigung legal. Menschenrechtsgruppen üben erbitterte Kritik an dieser Gesetzgebung – zuletzt, nachdem einem 14-jährigen Vergewaltigungsopfer in mehreren Kliniken die Abtreibung verweigert worden war.