Zwölf Chancen für die offene Gesellschaft

Die Säkulare Ampel

11. Weltanschauliche Neutralität in Gesetzen beachten

Jeder Mensch darf sich religiösen Vorschriften unterwerfen – aber nur sich selbst, niemand anderen, auch nicht als Gesetzgeber. Dieser zentrale Unterschied zwischen einem Gottesstaat und einem demokratischen Rechtsstaat ist zwar im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben, aber noch immer nicht konsequent umgesetzt. Christlich motivierte Gesetze begleiten das Leben der Menschen in Deutschland "von der Wiege bis zur Bahre", ja sogar darüber hinaus, nämlich vom Embryonenschutz bis zum Friedhofszwang.

Ein drastisches Beispiel ist die rituelle Knabenbeschneidung, die 2012 vom Kölner Landgericht als folgenschwere Körperverletzung gewertet wurde. Sie führt nachweislich zu einem immensen Verlust der sexuellen Empfindungsfähigkeit, oft zu Traumata – und mitunter sogar zum Tod der beschnittenen Kinder. Trotz all dem verabschiedete der Deutsche Bundestag unter dem Druck religiöser Proteste gegen das Kölner Urteil im Eilverfahren den Paragrafen 1631d BGB. Er legt die "medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes" in das Personensorgerecht – in den ersten sechs Lebensmonaten auch ohne Betäubung und ohne Arzt.

Mitglieder des Zentralrats der Konfessionsfreien protestierten dagegen mit der Kampagne "Mein Körper gehört mir! Zwangsbescheidung ist Unrecht – auch bei Jungen", der sich unter anderem die Deutsche Kinderhilfe, der Bund Deutscher Kriminalbeamter und Betroffenenverbände wie MOGIS e. V. sowie jüdische und muslimische Beschneidungsgegner anschlossen. Gemeinsam mit uns plädieren noch heute zahlreiche Rechts- und Medizinexperten dafür, die Genitalbeschneidung erst bei einsichts- und urteilsfähigen Personen zuzulassen.

Ein anderes Beispiel ist der sogenannte "Gotteslästerungsparagraf" (§ 166 StGB), der religiöse Fundamentalisten regelrecht anspornt, gewalttätig auf Karikaturen, Widerspruch und Kritik zu reagieren. Denn nur in diesem Fall ist die Religionskritik "geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören", was "mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe" bestraft werden kann. Diese Umkehrung des Täter-Opfer-Prinzips räumt den verletzten Gefühlen religiöser Fundamentalisten einen höheren Stellenwert ein als der Meinungsfreiheit. Man stelle sich vor: Nach deutschem Recht hätten die überlebenden Satiriker von Charlie Hebdo verurteilt werden können – weil ihre Zeichnungen die Fundamentalisten zu dem blutigen Attentat auf die Redaktion bewegt haben. Deshalb setzen sich unsere Mitgliedsverbände schon seit Jahren für eine ersatzlose Streichung des Paragrafen 166 StGB ein.

Als Zentralrat der Konfessionsfreien empfehlen wir der Legislative dringend, sämtliche Gesetzestexte auf weltanschaulich motivierte Inhalte zu prüfen und sie davon zu befreien. Dies sichert die nachhaltige Akzeptanz von Gesetzen und bewahrt die politisch Verantwortlichen vor Misserfolgen in Karlsruhe.