Zwölf Chancen für die offene Gesellschaft

Die Säkulare Ampel

10. Weltanschauliche Neutralität in staatlichen Einrichtungen wahren

Kruzifixe in Gerichtssälen, Amtsstuben oder Klassenzimmern widersprechen dem Verfassungsgebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates. Gleiches gilt für deutlich sichtbare weltanschauliche Kleidungsstücke bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst, denn diese Menschen vertreten den Staat gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.

Als Zentralrat der Konfessionsfreien gehören wir zu den Erstunterzeichnern der Initiative Pro Berliner Neutralitätsgesetz, die von zahlreichen Parteien, Verbänden und Personen unterstützt wird. Auffällig viele Frauen aus dem islamischen Kulturkreis sprechen sich für die weltanschauliche Neutralität in der Öffentlichkeit aus. Zu ihnen gehören die liberale Imamin Seyran Ateş, Mina Ahadi vom Zentralrat der Ex-Muslime und Necla Kelek.

Alles andere als weltanschaulich neutral war die Kruzifix-Verordnung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder aus dem Jahr 2018. Für die Forderung, in jeder bayerischen Amtsstube ein Symbol des christlichen Glaubens aufzuhängen, erntete Söder viel Spott – und sogar die Ablehnung vieler Kirchenmitglieder: 48 Prozent der Katholiken und 62 Prozent der Protestanten sprachen sich gegen die Kruzifix-Pflicht aus. In der Gesamtbevölkerung waren nur 29 Prozent dafür.

Grafik: Zentralrat der Konfessionsfreien

In einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft kann auch das aufdringliche Werben für einen bestimmten Glauben als Belästigung empfunden werden. So darf die Religionsfreiheit nicht als Freibrief verstanden werden, gegen die geltenden Lärmschutzgesetze zu verstoßen, etwa durch das Läuten von Kirchenglocken oder den Gebetsruf des Muezzins. Auch hier gilt der alte Grundsatz: "Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt."

Die weltanschauliche Neutralität im öffentlichen Raum ermöglicht, was uns als Zentralrat der Konfessionsfreien am Herzen liegt: Alle Menschen können im Privaten so religiös oder nicht-religiös sein, wie sie wollen, solange sie die Weltanschauungsfreiheit ihrer Mitmenschen respektieren. Wir bitten daher um Rücksicht: Wer gern Kruzifixe anschaut, kann sie in Kirchen oder zuhause betrachten. Wer gern Kopftücher trägt, kann dies jederzeit und überall als Privatperson tun. Und wer andere zum Gebet rufen will, hat heute alle Möglichkeiten dazu, ohne die Öffentlichkeit damit zu beschallen.