Der von Lale Akgün, Adrian Gilmann und Norbert Reitz herausgegebene Sammelband "Säkular. Sozial. Demokratisch. Ein Plädoyer für die Trennung von Religion und Politik" enthält Beiträge von "Säkularen Sozis" zum Thema. Leider ist das Buch nicht besonders leserfreundlich konzipiert, enthält aber viele beachtenswerte Beiträge, insbesondere von der Mitherausgeberin Akgün zu Islam und Säkularität.
"Säkulare Sozialdemokrat_innen für säkulare Religions- und Weltanschauungspolitik", so umständlich nennt sich eine Gruppierung, die auch als "Säkulare Sozis" bekannt geworden ist. Dabei handelt es sich um SPD-Mitglieder und Sympathisanten, welche die Trennung von Religion und Staat nach wie vor für geboten halten. Damit folgen sie einer Tradition ihrer Partei. Einst war sie dezidiert atheistisch, "Christentum und Sozialismus stehen sich gegenüber wie Feuer und Wasser", hatte ihr Mitbegründer August Bebel noch gemeint. Im Laufe der Parteientwicklung akzeptierte man aber immer mehr den besonderen Status, welcher in der Bundesrepublik Deutschland den Kirchen und der Religion eigen ist. Die Säkularen gerieten dadurch zu einer Minderheit, die sich parteiintern eben im genannten Interessenverband organisierten. Deren Auffassungen wurden übrigens auch von Helmut Schmidt akzeptiert, liest man seine diesbezüglichen Erklärungen und Positionierungen. Aber besonders aktiv war der ehemalige Bundeskanzler in diesem Sinne nie.
Wer über die Auffassungen der gemeinten "säkularen Sozis" informiert werden will, der kann jetzt zu einem kleinen Büchlein greifen. Es wurde von Lale Akgün, Adrian Grillmann und Norbert Reitz herausgegeben und trägt den Titel "Säkular. Sozial. Demokratisch. Ein Plädoyer für die Trennung von Religion und Politik". Darin enthalten sind kürzere Beiträge, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des Themenkomplexes beschäftigen. Ihnen allen eigen ist der Appell, es gelte mehr Säkularität zu wagen und die SPD solle dabei mutig vorwärts gehen. Dafür gibt es demokratietheoretisch gut begründbare Argumente, ist doch eben der religiös neutrale Staat letztendlich auch der Garant für einen nachhaltigen Frieden unter den Religionen. Hiermit ist kein staatlich vorgegebener Atheismus gemeint, wie mehrfach klargestellt wird, geht es doch um Laizität durch den und im Staat. Und dass hierbei durchaus auch einiges in der sich so fortschrittlich wähnenden Bundesrepublik Deutschland im Argen liegt, machen nicht wenige Beiträge zu unterschiedlichen Themen deutlich.
Dabei geht es etwa um Ausführungen zum kirchlichen Arbeitsrecht, wo anhand von Fallbeispielen die Diskriminierung von Menschen etwa in Kindergärten und Kliniken angesprochen wird. Es fällt in einem Beitrag auch der Blick auf die "braune" Herkunft des kirchlichen Arbeitsrechts. Als Lehrstück über kirchlichen Lobbyismus wird erläutert, wie die Religion in die EU-Grundrechtecharta kam. Auch werden die 100 Jahre Staatsleistungen an die Kirchen problematisiert und skandalisiert, beginnend mit dem Hinweis auf die da ganz anders ausgerichtete Weimarer Reichsverfassung. Man formuliert mitunter auch gegenüber der Partei recht harsch: "Seit 1945 hat sie keineswegs weltanschaulichen Pluralismus praktiziert, sondern … das pessimistische patriarchalische Menschenbild insbesondere der katholischen Kirche kritiklos übernommen, sich peu á peu vor den Karren der Kirchen spannen lassen und damit zur Machtsicherung des katholischen Klerus samt seiner vormodernen … 'Hirtenideologie' beigetragen" (S. 47).
Besondere Beachtung verdient in dem Band der Beitrag von Lale Akgün, der sich um "Islam und Säkularität" dreht und erneut die differenziert-kritische Sicht der Verfasserin dokumentiert. Sie besteht aus dem Einklang von Rechtsstaatlichkeit und Säkularität, dem Islam wie dem Katholizismus gegenüber. Eine solche Denkperspektive fehlt in der öffentlichen Kontroverse. Allein dieser Beitrag lohnt die Lektüre des kleinen Buchs. Dies ist allerdings von Herausgeber und/oder Verlag so gestaltet, als ob man für es keine Leser finden wollte. Eine ordentliche Einführung fehlt, die Autorennamen stehen nicht im Inhaltsverzeichnis, das Anliegen muss man sich mühsam zusammenreimen, die Reihenfolge und Struktur erschließt sich nicht, Statistiken stehen einfach so im Raum, es gibt keine näheren Infos über die "Säkularen Sozis". Interessant ist der Fragebogen zum Schluss mit der Selbsteinschätzung und dem Motto: "Säkularität ist keine Sekte und keine Glaubensrichtung, sondern bedeutet eigentlich nur die Trennung von Religion und Politik" (S. 146).
Lale Akgün/Adrian Gillmann/Norbert Reitz (Hrsg.), Säkular Sozial Demokratisch. Ein Plädoyer für die Trennung von Religion und Politik, Bonn 2019 (J. H. W. Dietz-Verlag); 152. 16,90 Euro
21 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Die Trennung von Staat und Religion ist in meinen Augen eine Illusion. Der Staat ist seitdem das Christentum zur Staatsreligion wurde, immer nur der Büttel für die Priester gewesen, bis heute.
Religion sollte abgeschafft werden. Das aber ist nicht im Sinne von Frau Akgün. Sie will ja den Islam in Deutschland. Geht es ihr vielleicht nur darum, die christlichen Kirchen zu schwächen, damit der Islam relativ an Stärke und Einfluss gewinnt? Säkularität als Manöver?
Ich vertrete ja seit längerem die Ansicht, dass Religion die psychologische Schwester der Sklaverei ist und über Psychoterror im Kindesalter funktioniert (übermächtiger Gott, Herr über Leben und Tod, Hölle vs. Paradies etc.). Psychoterror an Kindern sollte dringend verboten werden.
Roland Fakler am Permanenter Link
Lale Akgün ist meiner Einschätzung nach eine säkulare Humanistin. Auf meine gezielte Frage an sie nach einem Vortrag in Tübingen, inwiefern sie denn eine Muslima sei, konnte / wollte sie mir keine Antwort geben.
A.S. am Permanenter Link
Ich habe Frau Akgün dieses Jahr bei einem Vortrag in Düsseldorf gehört. Dort hat sie den Islam verteidigt. Damit war für mich alles klar.
Roland Fakler am Permanenter Link
@A.S. Sehr interessant. GIbt es dazu Belege im Internet? Z.B.einen Link.?
A.S. am Permanenter Link
Es war im Frühjahr dieses Jahres auf einer Veranstaltung vom Düsseldorfer Aufklärungsdienst. Es wurde dort gefilmt. Ob noch auf youtube vorhanden weiß ich nicht.
Roland Fakler am Permanenter Link
Danke für die Info!
Hans Trutnau am Permanenter Link
Aus dem Artikel: "als ob man für es keine Leser finden wollte" - ist vllt. sogar Programm?
Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt...
A.S. am Permanenter Link
Es hilft nur aufklären, aufklären, aufklären. Aufklären worüber?
- Dass niemand gläubig auf die Welt kommt, sondern in Jugendjahren gläubig gemacht wird.
- Anschließend die Frage nach dem Wie und dem Warum stellen.
-- Wie gläubig gemacht wird: Mit mehr oder minder subtilem, repetierenden Psychoterror.
-- Warum Priester Menschen gläubig machen: Macht, Status, Geld, Ausbeutung qua Ehrenamt ... alles für sie selbst, zu ihrem eigenen Vorteil. Mittles Glaube machen sich in letzter Konsequenz die Priester ihre Gläubigen zu Marionetten.
Eigentlich alles ganz einfach. Man muss es nur tun.
Mich treiben die politischen Folgen für unsere Demokratie um. Ich sehe viele solche Priester-Marionetten in der Regierung und den Parteiführungen.
Die Sozialdemokraten waren mal eine säkulare Partei, die für Aufklärung und Emanzipation standen. 1959 hat sich die SPD für die Kirchen geöffnet und wurde seither systematisch christlich unterwandert, dass heute noch nicht einmal ein "Säkularer Arbeitskreis" von der Parteiführung gestattet wird.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Sie rennen bei mir offene Türen ein, Frau Sander.
Aber aufklären heißt nicht abschaffen; Sie können Religion nicht verbieten.
A.S. am Permanenter Link
Das ist mir bewusst, Herr Trutnau, Aberglaube lässt sich nicht verbieten bzw. ein Verbot nur mit Gewalt durchsetzen -> Kirche im Mitelalter
Aber die politische Macht der religiösen Institutionen lässt sich bekämpfen. Mit demokratischen Mitteln, mit Aufklärung. Noch.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Warum schrieben Sie dann eingangs was von abschaffen und verboten werden?
Das ist mir immer noch nicht so ganz klar.
A.S. am Permanenter Link
Weil es unterm Strich das Beste wäre. Idealerweise sollten Humanisten auf das Aussterben der Religionen hinarbeiten, indem den Priestern der Nachwuchs weg bleibt.
Bei der religiösen Erziehung kann der Staat schon eingreifen. Kein Religionsunterricht in den Schulen mehr, dafür Aufklärung. Der Grundgesetz-konforme Weg: Alle nicht-kirchlichen Schulen als konfessionsfrei im Sinne des GG erklären, dort den Religionsunterricht abschaffen, Ersatz evtl. durch "Religions- und Kulturkunde". "Philosophie und Ethik" als Extra-Fach, damit Ethik und Religion sichtbar entkoppelt werden. Müsste auf Landesebene politisch machbar sein, entsprechende Mehrheiten vorausgesezt.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Weil es unterm Strich das Beste wäre" - nein, weil Sie mit Verboten, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, genau dasselbe wie Religionen wollen, nämlich eine totalitäre Ideologie durchsetzen (das hat noch nicht e
Genau da unterscheiden wir uns, Frau Sander:
Sie kommen nachgefragt zwar auf demokratiekompatibele Lösungen, initial aber häufig mit einem schlag-drauf-und-Schluss-Prügel (gerade so, als wollten Sie hier eine persönliche Agenda bedienen und sich z.B. für irgendwas 'rächen', das Ihnen mal widerfuhr).
Da gehe ich nicht mit.
A.S. am Permanenter Link
Sie gehen meine demokratiekompatiblen Vorschläge nicht mit?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nein, Frau Sander; ich gehe mit Ihren Verbotsgelüsten nicht mit.
A.S. am Permanenter Link
Werter Herr Trutnau, mein Problem liegt woanders, im Politischen.
Die Kriche führen sich auf, als wären sie Erfinder und Garant der Freiheit. Das ist historisch falsch und in der heutigen politischen Situation hochgefährlich.
Das Interesse der Religionen ist nicht die Freiheit der Menschen, sondern die Herrschaft über die Menschen. Wenn die Religionen /Priester vorgeben können, was Menschen zu tun und zu lassen haben, ist das Herrschaft. Damit wird Menschen das nicht erkennen, wird die Tarnung der Nächstenliebe und des Friedenwillens um den unbedingten Herrschaftswillen im Wesenskern der Religionen errichtet.
Kein Religionsführer mag es, wenn ihm die Gläubigen weglaufen dürfen. Das genau aber erlaubt der freiheitlich Staat. Daraus ergibt in meinen Augen ein starkes Motiv, wenn nicht sogar die zwingende Notwendigkeit für die großen Religionen, freiheitliche Staatsformen abzuschaffen. Große Religionen brauchen einen autoritären Staat, der Austritt aus der Religionsgemeinschaft sanktioniert. Kleine Religionen wollen die Freiheit für sich zum missionieren, aber nicht die geistige Freiheit für die Gläubigen.
Das zeitweilige Bündnis zwischen freiheitlicher Demokratie und den Kirchen war meiner Ansicht nach für die Religionen ein Pakt auf Zeit zur Abwehr des kommunistischen Atheismus und ist seit dem Zerfall der Sovietunion obsolet.
Falls die Kirchen (der katholischen Kirche und dem Islam darf man sowas durchaus zutrauen) derartige Pläne verfolgen, muss dies so lange wie möglich heimlich geschehen. Je später die freiheitlich Gesellschaften erkennen was läuft, desto besser im Interesse der Religionen. Also: Im Hintergrund die Fäden ziehen, Dritte zum Kämpfen anstacheln (NGOs?), den Staat nicht offen angreifen aber sabotieren (Hypermoral, Bildungsmisere).
Nur eine Verschwörungstheorie?
Ich sehe im aktuellen weltweiten Geschehen viele Hinweise, die auf die Richtigkeit meiner Hypothese hindeuten. Den "rauchenden Colt" werde ich, befürchte ich, erst dann präsentieren können, wenn es zu spät ist. Oder man sieht die Türkei als einen solchen an.
Ich bin der Ansicht, die freiheitlichen Gesellschaften werden gerade nach der Frosch-Kochmethode tot gekocht, ganz langsam, von den Religionen in Kooperation. Solange es irgend geht, wird die Tarnung der "friedlichen" Religionen aufrecht erhalten. Das geschieht auf breiter Front in den ÖR-Medien.
Auch an einer anderen Stelle werden Märchenschlösser errichtet: Jesus wird uns als eine Art Mahatma Ghandi verkauft. Ich finde, wir sollte uns bei unseren Vorstellungen über die alten Religionsstifter an aktuellen erfolgreichen Sektengründern orientieren: Baghwan, Moon (Vereinigungskirche), Paul Schäfer (Colonia Dignidad), L. Ron Hubbard (Scientology), Charles Taze Russel (Zeugen Jehovas), Joseph Smith jr. (Mormonen), ...
Wird Ihnen jetzt übel? Mir ist schon lange übel.
N.B.: Ghandi, ein ziemlich weiser Mensch, hat keine Religionsgemeinschaft gegründet.
Mit besten Grüßen, Ihre Anja Sander
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ja, mir wird auch immer wieder übel ob der religiösen Einflussnahme hienieden.
Ob und wie das auf demokratischem Weg weiter gelingen könnte, wird sich zeigen; der Staats/Kirchen-Filz ist äußerst hartnäckig.
Es ist m.E. auf jeden Fall ein ganz dickes Brett, das zu bohren gilt - was sicher noch weitere Dekaden (wenn nicht Generationen) beanspruchen wird.
1-2 Dekaden bin ich noch dabei, hoffe ich...
A.S. am Permanenter Link
Haben Sie meinen Kerngedanken verstanden? Die Allianz der Religionen mit den freiheitlichen Gesellschaften ist aufgekündigt, seitdem der atheistische Ostblock implodiert ist.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich denke schon, dass ich Ihren Kerngedanken verstanden habe, Frau Sander.
Doch es beginnt zu wackeln (vgl. Sterbehilfe-Kriminalisierung bzw. deren aktuelle Diskussion bis hin zum BVerfG). Das geht nur eben alles sehr langsam - wie auch sonst?
A.S. am Permanenter Link
Klar, die Allianz zwischen Religion und Freiheitlicher Gesellschaft (Behauptung: Demokratie und Religion seien vereinbar) war nur geheuchelt, aber dass haben viele kritische Christen bis heute nicht verstanden.
Diese Legende sollte entlarvt werden. Sich nur an der Gottesfrage abzuarbeiten ist heute nicht mehr die gesellschaftliche Herausforderung.
Religion ist ein Verstandes-Gift (analog Nerven-Gift), dass den Menschen von ihren Obrigkeiten gezielt verabreicht wird. Damit die Menschen brav alles mit sich machen lassen.
Ihre Anja Sander!
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ja, liebe Frau Sander, "die Allianz zwischen Religion und Freiheitlicher Gesellschaft ... war nur geheuchelt" - d.h. es gab sie nicht; d'accord, war doch meine Rede!