Kommentar

Sensation: Gläubige immun gegen Corona!

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Dieser vollkommen absurden Ansicht scheinen nicht wenige Gläubige tatsächlich zu sein. Jedenfalls ist das ein Eindruck, dessen man sich angesichts mehrerer Polizei-Razzien in maskenfreien Gottesdiensten und kreativer Auslegungen von Coronaregeln bei religiösen Versammlungen kaum erwehren kann.

Während der ersten Pandemiewelle im vergangenen Frühjahr zeigte sich deutlich, dass die meisten Gläubigen in Europa heutzutage eher der Wissenschaft als dem Herrgott vertrauen. Aus Angst vor Infektionen wurden Weihwasserbecken geleert und Wallfahrtsorte gesperrt, noch ehe es diesbezüglich staatliche Auflagen gab.

Bereits während dieser ersten Welle taten sich jedoch schon besonders gottesfürchtige Mitmenschen wie der Schweizer Bischof Eleganti hervor, die die Auffassung vertraten, dass Gottglaube und heilige Riten ausreichenden Schutz vor Corona böten.

Aktuell leidet die Welt unter der zweiten, wesentlich höheren Pandemiewelle und versucht verzweifelt, eine dritte, noch höhere Welle zu verhindern, indem sie die Verbreitung gefährlicher Corona-Mutationen eindämmt. Super-Gläubige scheint das jedoch nicht weiter zu interessieren. In den USA feiern Evangelikale ihre Gottesdienste, als gäbe es kein Corona, und in Israel zog erst am Wochenende ein Trauermarsch von rund 15.000 ultraorthodoxen Juden dicht gedrängt durch die Altstadt von Jerusalem – und das, obwohl in Israel derzeit aufgrund der geltenden Corona-Schutzmaßnahmen maximal zehn Personen im Freien zusammenkommen dürfen.

Doch auch in Deutschland zeigen religiöse Eiferer, dass sie mehr auf Gemeinschaft und Gebet als auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Infektionsschutz vertrauen – und dass ihnen staatliche Anordnungen am Allerwertesten vorbeigehen. Mehr als einmal musste die Polizei in Deutschland während der vergangenen Wochen ausrücken, um freikirchliche Gottesdienste aufzulösen, die mit viel zu hoher Personenzahl und ohne Mundschutz stattfanden.

Während Freikirchler auf Infektionsschutz pfeifen, bläst man andernorts darauf. Nämlich in der Nicolaikirche im niedersächsischen Herzberg. Berichten zufolge wurde dort im Gottesdienst gesungen und mit Blasinstrumenten musiziert – beides Aerosolschleudern par excellence. Eines problematischen Handelns ist man sich dort jedoch nicht bewusst, schließlich hätten sich die Sänger und Bläser auf der Empore befunden. Dort ist man ja bekanntlich dem Himmel näher, weswegen der göttliche Infektionsschutz vermutlich noch besser wirkt als bei den Gläubigen im Parterre. Im Übrigen habe man die Handlungsempfehlungen der Landeskirche Hannover eingehalten, die vorsehen, dass Bläser und Sänger mit insgesamt acht Personen an Gottesdiensten mitwirken dürfen, sofern sie drei Meter Abstand zueinander und mindestens sechs Meter Abstand zur musikalischen Leitung sowie zur Gemeinde einhalten. 

Was wohl die Leitung eines Altenheims davon hielte, wenn eine Sängergruppe mit Bläserbegleitung durch die Flure ihrer Einrichtung marschierte – natürlich immer mit sechs Metern Abstand zur Risikogruppe. Das Gesundheitsamt würde den Laden wahrscheinlich umgehend dichtmachen. Aber hey, in der Kirche gelten halt andere Regeln für Corona-Infektionen. "Gott ist keine Risikogruppe" erklärte die "BR-Religionsexpertin" Friederike Weede in ihrem Plädoyer für geöffnete Kirchen im Dezember. Recht hat sie. Gott ist ebenso wenig eine Risikogruppe wie Donald Duck oder die Bremer Stadtmusikanten. Dafür gehört aber ein Großteil derer, die in hiesigen Gottesdiensten imaginäre Wesen anbeten, zur Risikogruppe. Ist das denn wirklich so schwer zu begreifen?

Die Freunde des Virus-Spreadings in religiösen Versammlungen berufen sich gern auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Angeblich, so wird behauptet, habe das höchste deutsche Gericht geurteilt, dass die Religionsfreiheit ein so hohes Gut sei, dass Gottesdienste von Lockdowns aller Art zu verschonen seien. Doch das hat das Bundesverfassungsgericht nicht geurteilt. Es war Ende April lediglich zu dem Urteil gelangt, dass die Möglichkeit gegeben sein müsse, auf Antrag im Einzelfall Ausnahmen von einem generellen Verbot von Gottesdiensten zuzulassen.

Auf schier wundersame Weise wurde dieses höchstrichterliche Urteil von der stets kirchenfreundlichen Politik verwandelt in eine generelle Freigabe von Gottesdiensten während des Lockdowns – unter Hygieneauflagen, versteht sich. Eine weitere religiöse Extrawurst in diesem Staat.

Dass diese Sonderregelung die Fantasie von Gläubigen weiter anheizt, unter einem besonderen Schutz zu stehen – wen kümmert's? Dass diese Sonderregelung erstaunliche Blüten treibt und unter anderem Hinterbliebene von nicht-religiösen Menschen massiv diskriminiert, weil deren Trauerfeiern keine Gottesdienste darstellen – wen stört's? Dass diese Sonderregelung geradezu eine Einladung für Coronaleugner darstellt, ihre Treffen spontan als Gottesdienst zu deklarieren, um sakrosankt zu sein – was soll's?

Es gibt nur eine Möglichkeit, die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen: Indem sich ausnahmslos alle am Riemen reißen. Bekommen wir sie nicht in den Griff und werden demnächst von der dritten Welle überrollt, dann verdanken wir es all jenen, die für sich Ausnahmen von der Kontaktreduzierung beansprucht haben, auch wenn diese nicht dringend notwendig waren, sondern nur dem persönlichen Wohlbefinden dienten. Zu ihnen gehören auch die unverbesserlichen Fans leibhaftiger religiöser Versammlungen.

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