Berlin

Behördlich bestätigte Sonderbehandlung religiöser Trauerfeiern

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In Berlin dürfen bei Beisetzungen, die in einem religiösen Rahmen stattfinden, mehr Menschen anwesend sein, als wenn dies ohne spirituellen Rahmen erfolgt. So sieht es die Infektionsschutzverordnung des Senats vor. Außerdem wird weltlichen Trauerfeiern ein kollektiver Charakter abgesprochen. Der Humanistische Verband kritisiert diese Ungleichbehandlung.

Wir befinden uns mitten im zweiten Lockdown, diesmal in "Light-Version", heißt: Der Einzelhandel darf offen bleiben, Schulen und Kitas auch, die Gastronomie sowie alle Arten von Showbusiness müssen jedoch schließen. Alle bis auf Gottesdienste, obwohl diese in der Vergangenheit im Infektionsgeschehen wiederholt negativ aufgefallen waren. Die allgegenwärtige Privilegierung religiöser gegenüber nichtreligiöser Weltanschauungen ist für hpd-Leser nichts Neues. In Berlin wurde sie jetzt jedoch erneut demonstriert und auch von offizieller Seite bestätigt.

Alles begann mit einem Tweet über einen Hinweiszettel zu Trauerfeiern in Berlin-Wilmersdorf: Dort war zu lesen, dass einer Beisetzung mit Pfarrer bis zu 30 Personen beiwohnen dürfen, einer weltlichen Trauerfeier jedoch höchstens 10 Personen, da das eine gemäß Corona-Verordnung als religiös-kultische Veranstaltung und das andere als private Feier gelte.

Screenshot Twitter
Hinweisschild zu unterschiedlichen Personenobergrenzen bei religiösen und nichtreligiösen Trauerfeiern (Screenshot Twitter)

Der Tagesspiegel hakte nach und bekam von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung die Antwort, dass sich die unterschiedliche Behandlung "aus der Privilegierung der Religionsfreiheit in Art. 4 GG" ergebe. Diese Privilegierung beziehe sich auch auf Veranstaltungen; dabei wird nichtreligiösen Bestattungsfeiern ein "fehlender kollektiver Charakter" attestiert, wodurch diese "nicht unter die zu privilegierenden Veranstaltungen fallen [dürften]".

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Schwarz auf weiß: Tagesspiegel-Redakteur Julius Betschka veröffentlichte die Antwort der Senatsverwaltung. (Screenshot Twitter)

"Diese Position ist inhaltlich und rechtlich untragbar", sagt dazu Katrin Raczynski, Vorsitzende des Humanistischen Verbands Deutschland Berlin-Brandenburg (HVD BB), der auch humanistische Trauerfeiern organisiert. "Weltlichen Trauerfeiern kommt im Prozess der Trauerbewältigung eine absolut vergleichbare Bedeutung zu, gleichfalls haben sie einen 'kollektiven Charakter': Menschen kommen zusammen, um gemeinsam Abschied zu nehmen. Dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist weder nachvollziehbar noch hinnehmbar."

In der offiziellen Infektionsschutzverordnung des Berliner Senats vom 3. November heißt es in Paragraf 6 Absatz 4: "Beerdigungen und Feierlichkeiten anlässlich einer Beerdigung sind abweichend von Satz 1 im Freien mit bis zu 50 zeitgleich anwesenden Personen und in geschlossenen Räumen mit bis zu 20 zeitgleich anwesenden Personen zulässig." Die allgemeine Regelung, dass bis 30. November 2020 Veranstaltungen im Freien mit mehr als 100 und in geschlossenen Räumen mit mehr als 50 zeitgleich Anwesenden verboten sind (Absatz 1 und 2), gilt für "religiös-kultische Veranstaltungen im Sinne des Artikel 4 des Grundgesetzes" nicht (Absatz 3 Nummer 1).

Jan Gabriel, Präsident des HVD BB, welcher zudem Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) ist, kritisiert die Ausnahmeregelung: "Religion macht nicht immun gegen Corona. Es ist nicht nachvollziehbar, warum bei einer religiös-kultischen Trauerfeier beliebig viele, bei einer Bestattung mit einem/r Trauerredner/in hingegen lediglich 20 Personen anwesend sein dürfen. Wie viele Menschen gemeinsam von einem geliebten Menschen Abschied nehmen dürfen, sollte für alle gleich sein. Die Senatsverwaltung argumentiert widersprüchlich – hinsichtlich religiös-kultischer Veranstaltungen gibt es offensichtlich keine klare Linie. Infektionsschutz ist aber eine biologische und keine spirituelle Angelegenheit. Dieser Wirrwarr ließe sich leicht klären, indem gleiche Regeln für alle Menschen gelten."

Auf eine Anfrage des berlin-brandenburgischen Landesverbands des HVD erklärte die zuständige Senatsverwaltung: "Religiös-kultische Veranstaltungen unterliegen (…) allgemein keiner Personenobergrenze. Wann eine religiös-kultische Veranstaltung vorliegt, ist im Einzelfall zu bestimmen und wird vornehmlich durch das kollektive Selbstverständnis der Teilnehmenden definiert. Dabei ist es ein Indiz für die Annahme einer religiös-kultischen Veranstaltung/Beisetzung, wenn eine mit der Seelsorge betraute Person eine Veranstaltung leitet." Zumindest die Unterstellung eines nicht vorhandenen kollektiven Charakters weltlicher Trauerfeiern wird hier nicht wiederholt.

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