Sterbehelfer kamen auf mehrtägigem Weltkongress zusammen

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Weltkarte mit Porträts von Persönlichkeiten, die sich für Sterbehilfe einsetzen.
"World Map of Champions"

Seit Jahrzehnten treffen sich die weltweit bestehenden Sterbehilfeorganisationen alle zwei Jahre zu einem Weltkongress, jedes Mal auf einem anderen Kontinent. Diesmal fand er vom 2. bis 5. November im kanadischen Toronto statt.

Der Kongress 2022 wurde am 2. November, dem seit Jahren begangenen "Right-to-die-Day", durch die Enthüllung einer Weltkarte eröffnet. Auf dieser Karte sind Porträts von Persönlichkeiten aus 18 Ländern hinterlegt, in denen erklärt wird, warum diese Person sich für Sterbehilfe einsetzt. Sie soll die Verbundenheit der Sterbehilfeorganisationen zeigen, die sich alle für das gleiche Ziel einsetzen: das Recht, am Lebensende selbst über den eigenen Tod bestimmen zu dürfen. Es ist beeindruckend, wie viele Menschen offen über ihre Einstellung zum Thema reden und es ist schade, dass sich nicht auch Vertreter aus asiatischen Ländern zu Wort gemeldet haben. Lifecircle hat insbesondere in Japan viele Mitglieder, die sich die Möglichkeit eines assistierten Sterbens offenhalten wollen.

Richtig los ging der Weltkongress der Sterbehilfeorganisationen am Tag darauf. Der Donnerstag war der Generalversammlung des Weltverbandes gewidmet, der seinen Sitz in Genf in der Schweiz hat. Bei der Versammlung betonte man den Wunsch nach möglichst enger Zusammenarbeit unter allen weltweiten Organisationen. Darüber hinaus wurde über die neu gebildeten Arbeitsgruppen des Weltverbandes informiert. So wurde letztes Jahr eine "advocacy group" (Einsatzgruppe), eine Gruppe "legal matters" (rechtliche Angelegenheiten) und eine für "public relations and media" (Öffentlichkeitsarbeit und Medien) gebildet. Kontakte mit der WHO, der EU und das Anstreben des NGO-Status sind dabei wichtige Ziele. Die Terminologie betreffend wurde vereinbart, dass innerhalb des Weltverbandes nicht mehr von "Euthanasie" und "Suizid" gesprochen werden sollte, da beide Begriffe negativ behaftet sind. Es soll die Bezeichnung "assistiertes Sterben" (Assisted Dying, AD) für den assistierten Suizid sowie auch die aktive Sterbehilfe verwendet werden.

Der eigentliche Kongress fand an den beiden Tagen des 4. und 5. November statt, unter der Leitung von Dying with Dignity Canada. Die verschiedenen Vorträge zeigten, mit welchen Anstrengungen und welchem Erfolg der Weg zur Legalisierung der Selbstbestimmung am Lebensende in vielen Ländern in den letzten Jahren verbunden war: Australien, Neuseeland, einige Bundesstaaten der USA, Kolumbien, Deutschland, Österreich, Spanien und Italien haben legalisiert und die ersten Fälle von medizinisch assistiertem Sterben durchführen können.  

Ganz besonders eindrücklich ist, was Kanada seit der Legalisierung von MAID (Medical Aid in Dying, "medizinische Sterbehilfe") vor sechs Jahren erreicht hat. Über das weitläufige Land Kanada konnte ein Netz aus Hausärzten, Palliativmedizinern, Intensivmedizinern und ärztlichen Krankenschwestern gebildet werden. Es bestehen klare Richtlinien, unter welchen Umständen assistiertes Sterben durchgeführt werden kann, und immer mehr Ärzte werden geschult durch Mediziner, die bereits viel Erfahrung damit haben. Ein Intensivmediziner erklärte, wie sehr er von der Dankbarkeit der Patienten lebt, wenn er neben der Lebensrettung auch das selbstbestimmte Sterben gewährleisten kann. Für ihn eine Erweiterung seines Horizontes, nicht nur durch seinen Rettungshelikopter, sondern eben auch durch die Möglichkeit einer bewussten Abkürzung eines unheilbaren Leidens. Wichtig ist hier auch zu erwähnen, dass in Kanada das Assisted Dying als "medical treatment", also als ärztliche Handlung oder Behandlung gewertet wird. Da hinter den Ärzten und ärztlichen Krankenschwestern, welche das assistierte Sterben betreuen, unter anderen die Universität Vancouver mit dem großen Projekt "CAMAP" steht, können auch viele Studien über den assistierten Suizid realisiert werden.

Nicht als Entscheidung urteilsfähiger Menschen respektiert

Mehrere Vorträge zeigten die Schwierigkeit, dass assistiertes Sterben von palliativmedizinisch arbeitenden Ärzten nicht als Entscheidung urteilsfähiger Menschen akzeptiert wird. Dank unermüdlicher Anstrengungen zeigen sich aber trotzdem in verschiedenen Ländern deutliche Tendenzen, dass in Zukunft auch Palliativmediziner den Wunsch nach einem selbstbestimmten Lebensende respektieren werden. Genauso wie die Patientenverfügung muss der mündlich mitgeteilte Wille von urteilsfähigen Menschen in die Entscheidung des Arztes einfließen. In einzelnen Ländern gibt es die Möglichkeit, über eine schriftliche Deklaration festzulegen, dass auch bei einem Verlust der Urteilsfähigkeit ein begleiteter Freitod durchgeführt werden kann.

Auffallend viele Vorträge behandelten die Situation der Demenz, die in allen Ländern durch die immer weiter steigende Lebenserwartung deutlich zunimmt. Drei Beiträge zeigten Schicksale von Menschen mit dieser Erkrankung, die in Einzelfällen assistiert sterben konnten. Angehörige schilderten die positiven Auswirkungen auf die Betroffenen und die Familienangehörigen.

Auf zwei Podiumsveranstaltungen wurden verschiedene Modelle der Freitodbegleitung vorgestellt und diskutiert. Alle Organisationen arbeiten darauf hin, diese baldmöglichst in noch mehr Ländern zu legalisieren, denn der "Sterbetourismus" – die Reise in die Schweiz, um einen friedlichen und sicheren Tod eingehen zu können – ist unmenschlich. Er wird genau dann aufhören, wenn der Weltverband sein Ziel erreicht hat: weltweite Legalisierung des selbstbestimmten Sterbens, nicht nur palliativmedizinisch oder durch Sterbefasten, sondern auch durch assistierten Suizid.

Bei einem Abschiedsessen konnte am Abend des 5. November noch einmal ein reger Austausch stattfinden. Außerdem wurden Preise vergeben an Persönlichkeiten, die sich ganz besonders für das Menschenrecht der Selbstbestimmung auch am Lebensende eingesetzt haben. Hier ist unter anderen Rob Jonquière hervorzuheben, der Kommunikationsdirektor des Weltverbandes. Noch immer unermüdlich trotz seines nun schon fortgeschrittenen Alters hat er sein ganzes Leben der Überzeugung gewidmet, dass jeder Mensch über Sein oder Nichtsein entscheiden darf.

Man freut sich bereits jetzt auf den nächsten Kongress des Weltverbandes, der 2024 stattfinden soll.

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