Suizidhilfe: Anlauf zur Wiedereinführung eines Paragrafen 217 StGB

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Eine Regelung der Suizidbeihilfe wird von vielen im Bundestag als nötig angesehen. Nunmehr ist ein Aufschlag mit dem schon seit 2021 bekannten, von der Union dominierten sogenannten "Spahn-Entwurf" gemacht worden.

Dieser war fraktionsübergreifend zur ersten Anhörung im Bundestag im April 2021 von denselben fünf Initiator*innen eingebracht worden wie heute. Allerdings hat sich deren Reihenfolge geändert. Damals war Ansgar Heveling (CDU) der federführende Erstgenannte, jetzt ist es Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen, in der Nennung gefolgt von Benjamin Strasser (FDP – einem der wenigen Abweichler von deren liberaler Linie – er bezeichnet sich als "praktizierender Katholik") und Lars Castellucci (religionspolitischer Sprecher der SPD). Die letztgenannten sind jetzt die beiden Opposionsvertreter*innen: Eben Ansgar Heveling (CDU) sowie Katrin Vogler (Linke), die sich wiederholt darum sorgt, dass von der Patientenselbstbestimmung ("Recht der Starken zulasten der Schwachen") das Lebensrecht von Behinderten gefährdet sei. Der Entwurf sieht im Kern die Wiedereinführung eines Strafrechtsparagrafen 217 vor. Zu diesem soll es dann sehr restriktive Ausnahmeregelungen geben, unter denen von Strafbarkeit abgesehen werden kann.

Kirsten Kappert-Gonther – die Psychiaterin

Als gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen hat nunmehr Kappert-Gonther die Federführung über diesen Gesetzentwurf. Sie ist von Hause aus Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, hatte die ärztliche Leitung einer Gütersloher Rehabilitationseinrichtung für psychisch Kranke sowie einer psychiatrischen Institutsambulanz in Bremen.

Der fraktionsübergreifende Vorschlag für einen neuen Strafrechtsparagrafen 217 argumentiert vordergründig im Sinne des Bundesverfassungsgerichts: Es gehe um die Frage, wie die Selbstbestimmung geschützt werden kann. Deswegen sollen vulnerable Personen, die sich bedrängt fühlen, vor übereilten Entscheidungen bewahrt werden. In diesem Zusammenhang werden neben Menschen mit einer psychischen Erkrankung immer wieder Senior*innen genannt, die ihren Kindern finanziell oder pflegerisch nicht zur Last fallen wollen.

Zu dieser Gratwanderung einer Neuregelung, die nicht wieder als verfassungswidrig durchfallen müsste, gab es bereits im Sommer 2020 eine Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung, die bekanntlich den Grünen nahesteht, mit Kappert-Gonther. Das Ärzteblatt berichtete damals wie folgt über deren Ausführungen:

"Suizidbeihilfe ist nicht die normale Form der Lebensbeendigung", sagte sie. "Aufgrund von Pflegenotstand und des Mangels an palliativen Angeboten dürfe es nicht zu Drucksituationen auf vulnerable Personen kommen, die sich dann gezwungen sehen würden, Suizidbeihilfe in Anspruch zu nehmen."

"Das Gesetz von 2015 war eine Reaktion auf die zunehmende Tätigkeit von Sterbehilfe-Vereinen. Dahinter stand die Sorge, dass Sterbehilfe als normalisierte Option neben einer dem Menschen zugewandten palliativen Versorgung steht." Die Sorge bestehe auch heute.

"Ein geschäftsmäßiges Angebot generiert auch die Nachfrage", ist die Ärztin überzeugt. Menschen in psychischen Krisen dürften sich nicht aus Einsamkeit oder wegen der Sorge, anderen zur Last zu fallen, oder gar aus finanzieller Not zum Suizid gedrängt fühlen. Zudem seien Suizidwünsche in der Regel schwankend, betonte die Ärztin."

Strafrechtsvorschlag richtet sich gegen liberale Vorlagen

Der Gesetzesvorschlag von Kappert-Gonther versteht sich ausdrücklich in Gegnerschaft zu dem der Abgeordnetengruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP), den jetzigen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke). Dieser gilt gemeinhin als der liberalste, verzichtet auf jegliche Strafandrohung und wurde – unter einigen Vorbehalten – aus humanistischer Sicht sowie von den Säkularen Sozialdemokraten ausdrücklich begrüßt, da er ärztliche Suizidhilfe ermögliche und Autonomie und Liberalität sichere.

Nun soll auch der Helling-Plahr/Lauterbach/Sitte-Entwurf wieder (wie bereits 2021) zeitnah ins parlamentarische Verfahren eingespeist werden. Ob dies unverändert geschieht, steht noch nicht fest. Wie die Ärztezeitung aus dem Bundestagsbüro von Katrin Helling-Plahr erfuhr, sei aber zuvor die Impfpflichtdebatte wichtiger.

Laut Ärztezeitung plant auch Renate Künast, die 2021 zusammen mit Katja Keul – jetzt Staatsministerin im Auswärtigen Amt – (beide Bündnis 90/Die Grünen) eine dritte Vorlage eingebracht hatte, demnächst "wieder mit unserem Entwurf in dieser Wahlperiode aktiv" zu sein. "Aber angesichts Corona, Triage-Debatten etc. ist noch kein Termin fest". Ob sich jenseits der Strafrechts-Positionierung ihrer Parteifreundin Kappert-Gonther diese beiden Grünen noch dem Entwurf ihrer Ampelkoalitions-Kolleg*innen Lauterbach und Helling-Plahr anschließen werden oder es dazwischen eine liberale Kompromisslösung geben könnte, dürfte für den Gesetzgebungsprozess von entscheidender Bedeutung sein.

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