Kommentar

Causa Woelki: Ein Paradebeispiel klerikaler Arroganz

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Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln und Kardinal
Rainer Maria Woelki

Trotz aller Beteuerungen bleibt das Kernproblem der Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche das gleiche: Täter- geht vor Opferschutz, das demonstriert aktuell der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Wie sehr sich die Kirche damit selbst schadet, scheint ihr trotz allem noch immer nicht bewusst zu sein.

Was hat die katholische Kirche schon mit Worten um sich geworfen. Jetzt werde aber wirklich alles besser, schonungslose Aufarbeitung, Transparenz, Verantwortung, nichts auf die lange Bank schieben.

Und dann zeigt sie sich wieder in den Taten, die den Worten folgen – oder eher in deren Unterlassung –, die klerikale Arroganz. Die Meinung, als hoher Geistlicher stehe man über den Dingen und müsse sich nicht an das halten, was für Normalbürger gilt. Trotz aller Beteuerungen ist man dann ganz schnell wieder bei der Kirche, von der Schaden abgewendet werden soll. Ganz zufällig deckt sich diese völlig selbstlose Absicht auch mit der persönlichen Karriere, die man nicht aufgeben will. Die Rede ist natürlich von Kardinal Rainer Maria Woelki.

Dieser hatte, wie umfangreich in den Medien berichtet, ein Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln in Auftrag gegeben, dies dann aber wegen angeblicher "methodischer Mängel" zurückgehalten. Die beauftragte Kanzlei wies den Vorwurf zurück und bot daraufhin an, die "alleinige und volle Verantwortung" für eine Veröffentlichung zu übernehmen; Woelki nahm dies nicht an. Anfang des Jahres hätten Journalist:innen das teilweise geschwärzte Dokument nur nach Unterschreiben einer Verschwiegenheitserklärung zu Gesicht bekommen können, was auf empörte Ablehnung stieß. Der Kardinal gab ein neues Gutachten bei einem anderen Juristen in Auftrag, das Mitte März veröffentlicht werden soll. Derweil stehen auch Vertuschungsvorwürfe gegen ihn ganz persönlich im Raum, was die Skandalösität seines Handelns noch weiter verstärkt.

Am vergangenen Wochenende meldete sich der Erzbischof von Köln dann in einem "Fastenhirtenbrief" per Video zu Wort: Er sprach von tiefen Rissen durch das Erzbistum, die er spüre, von Frustration, "weil wir in unserer pastoralen Entwicklung nicht so vorankommen, dass wir uns wirklich miteinander auf dem Weg wissen". All das bewege und bedrücke ihn sehr und er wisse, dass viele ihn persönlich dafür verantwortlich machten. Er rechtfertigte sein Vorgehen erneut, räumte aber auch ein, Fehler gemacht zu haben: "Sicher habe ich hier auch Schuld auf mich geladen. Das alles tut mir von Herzen leid." Dass der Kardinal jedoch eine kuriose Auffassung von Schuld und dem Fehlermachen hat, zeigte sich beim Weihnachtsgottesdienst im Kölner Dom, als er die anwesenden Gläubigen um Verzeihung bat, nicht etwa für sein Verhalten, sondern dafür, dass sie so viel Kritik an dem Gutachten und seiner Person hatten ertragen müssen. Darauf muss man erstmal kommen.

Woelkis Verhalten hat das Erzbistum in eine beispiellose Krise gestürzt: Die Kirchenaustritte gehen durch die Decke, der Kölner Stadtdechant distanzierte sich von ihm, der Diözesanrat kündigte die Zusammenarbeit auf. Die Empörung in der Bevölkerung ist groß, die Satiresendung "ZDF heute show" widmete der jüngsten Episode des katholischen Missbrauchsskandals fast zehn Minuten. Wer also ernsthaft Schaden von seiner eigenen Institution, die ja auch noch dem Selbstverständnis nach in einem göttlichen Auftrag agiert, abwenden wollte, müsste doch Konsequenzen ziehen, sollte man meinen, sei es durch eine Herausgabe des Gutachtens oder durch den eigenen Rücktritt.

Aber nein – Woelki klebt an seinem Bischofsstuhl. Die hierarchischen klerikalen Machtstrukturen tragen also wieder einmal zur weiteren Vertuschung bei. Und der, der ihn im absolutistischen System Kirche zur Herausgabe zwingen oder ihn abberufen könnte – der Papst –, hat sich noch nicht geäußert, nachdem ihn Kölns Chef-Kleriker um eine Prüfung gebeten hatte. Die vatikanische Glaubenskongregation hatte Woelki bescheinigt, sich nach den damals geltenden Bestimmungen nicht falsch verhalten zu haben, als er Missbrauchsvorwürfe gegen einen ihm langjährig eng verbundenen früheren vorgesetzten und mittlerweile verstorbenen Pfarrer nicht nach Rom meldete. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam auch der Erzbischof selbst nach einer Prüfung des eigenen Gewissens. Worauf sich der Vatikan bei seiner Beurteilung berufe, sei allerdings unklar, stellte katholisch.de fest. Also um wessen Schutz geht es hier? Der der Opfer kann es – entgegen aller Beteuerungen – nicht sein. Auch wenn das eigentlich das einzige Kriterium sein sollte.

Allen Worthülsen zum Trotz – die katholische Kirche ist einfach nicht in der Lage, zu verstehen, wo das Problem liegt, auch wenn sich die verbale Selbstgeißelung in immer neue Höhen emporschraubt: Dass nämlich noch immer der Schutz der Missbrauchs- und Vertuschungstäter über die Bemühung um Gerechtigkeit für die Opfer gestellt wird – obwohl dies schon etliche Male öffentlich angeprangert wurde. Welchen Grund könnte es sonst geben, das Gutachten nicht dennoch herauszurücken und es dem öffentlichen Diskurs und der Bewertung durch Wissenschaftler:innen zur Verfügung zu stellen? Das wäre wohl die transparenteste Form der Überprüfung auf methodische Qualität. Doch die Kirche wählt auf ein Neues den Weg der Heimlichtuerei und schaufelt damit weiter an ihrem eigenen Grab. Der Historiker Martin Kaufhold stellte in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen unlängst fest: "Wenn es so weitergeht, würde ich der katholischen Kirche als Institution in Deutschland in dieser Form noch etwa 20 Jahre geben."

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