Unterschätztes Vertrauen beeinflusst Corona-Impfquote

Zum Herbst die Impfquote erhöhen – ganz ohne Zwang. Wie dies bewerkstelligt werden könnte, zeigt die Studie eines internationalen Forschungsteams unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. Demnach hängt die Bereitschaft der Menschen, sich impfen zu lassen, mit dem vermuteten Vertrauen der Ärzteschaft in die Impfung zusammen. Allerdings zeigt die Untersuchung eine große Diskrepanz zwischen den Annahmen der Bevölkerung und der tatsächlichen Meinung der Ärzteschaft.

Für die in Nature publizierte Studie befragte das Ökonomenteam Vojtěch Bartoš, Michal Bauer, Jana Cahlíková und Julie Chytilová in der Tschechischen Republik mehr als 9.600 Ärztinnen und Ärzte sowie eine repräsentative Gruppe von 2.100 Personen.

Im Januar 2021, als die Corona-Impfstoffe für die breite Bevölkerung noch nicht verfügbar waren, gaben rund 90 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte an, der Corona-Schutzimpfung zu vertrauen, und dass sie planten, sich selbst impfen zu lassen. Dagegen gingen die meisten Befragten aus der Bevölkerung davon aus, dass das nur auf die Hälfte der Ärzteschaft zutreffe. Insgesamt unterschätzten 90 Prozent der befragten Laien, wie positiv die Ärztinnen und Ärzte den Vakzinen gegenüberstehen. Dabei gab es, wie die Forschenden betonen, nicht zwei konträre Gruppen, von denen die eine an eine hohe und die andere an eine niedrige Akzeptanz der Covid-19-Impfstoffe unter den Ärzten glaubt. Vier von fünf der Befragten gingen von einer unentschiedenen Ärzteschaft aus und schätzten, dass der Anteil der Ärztinnen und Ärzte, die sich selbst impfen lassen wollen, nur zwischen 20 und 80 Prozent liege.

Positive Haltung der Ärzteschaft wird nicht wahrgenommen

Einen wesentlichen Grund für die verzerrte Wahrnehmung sieht Mitautorin Jana Cahlíková vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in dem journalistischen Prinzip, ausgewogen zu berichten: "Das kann dazu führen, dass eine Minderheitenmeinung in der Berichterstattung überproportional Gewicht bekommt. So entsteht in der Bevölkerung das Gefühl, die Ärzteschaft sei in Punkto Corona-Schutzimpfung unentschieden oder kontroverser Meinung. Auch 'Echokammern' oder Informationsblasen auf Demos, in Sozialen Netzwerken oder im Internet können diesen Effekt auslösen oder verstärken."

Dass eine solche Fehlwahrnehmung zu Impfskepsis führen kann, ist naheliegend. Die Forschenden stellten fest, dass die eigene Einstellung zur Impfung mit der Einschätzung darüber korrelierte, wie positiv oder negativ die Ärzteschaft den Impfstoffen gegenübersteht.

Irrglauben auflösen und Impfquote erhöhen

Um herauszufinden, ob die falsche Wahrnehmung korrigiert und vor allem auch, ob die Impfquote infolgedessen erhöht werden kann, führte das Forschungsteam ein Experiment durch. Sie teilten die Probandinnen und Probanden in zwei Gruppen ein. Die eine Hälfte wurde über die positive Haltung der Ärzteschaft aufgeklärt, die andere nicht. Dann wurden die Teilnehmenden über die nächsten neun Monaten hinweg befragt.

Jene, die über das tatsächliche Meinungstableau der Ärztinnen und Ärzte informiert wurden, änderten nicht nur ihre Wahrnehmung der ärztlichen Meinung, sondern auch ihre Bereitschaft, sich impfen zu lassen, nachhaltig: Die Aufklärung reduzierte die Zahl der Ungeimpften um 15 bis 20 Prozent.

"Sobald die Impfstoffe für alle verfügbar wurden, zeichnete sich ein Unterschied zwischen der Behandlungs- und der Kontrollgruppe ab; es ließen sich mehr Menschen in der Behandlungsgruppe impfen", erklärt Cahlíková. Auch im Vergleich zu anderen Interventionen, die experimentell getestet wurden, hat sich die Aufklärung über die Ärztemeinung als effektiv und langanhaltend erwiesen.

"Unsere Ergebnisse legen nahe, dass in Debatten um kontroverse Themen auch kommuniziert werden sollte, wie verbreitet einzelne Ansichten sind. Im Fall von Corona könnten medizinische Berufsverbände zum Beispiel helfen, die individuellen Ansichten der Ärztezunft zu ermitteln und zu vermitteln", sagt Cahlíková.

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Ärzteschaft ist in Tschechien vergleichbar mit anderen europäischen Staaten. Die Forschenden sind daher zuversichtlich, dass die Ergebnisse auch auf andere Länder, beispielsweise auf Deutschland, übertragbar sind.

"Wahrscheinlich gibt es auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel in der Debatte um den Klimawandel fälschlicherweise in der Öffentlichkeit die Wahrnehmung, dass die Experten uneins sind, obwohl in Wirklichkeit ein breiter Konsens besteht. Das kann den gesellschaftlichen Rückhalt untergraben, der für die Lösung grundlegender nationaler und globaler Probleme erforderlich wäre", fügt Michal Bauer vom Center for Economic Research and Graduate EducationEconomics Institute in Prag hinzu.

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