Kolumne: Sitte & Anstand

USA: Divers-Lego versetzt Millionen Mütter in Furcht

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Klemmbausteine
Klemmbausteine

Seit es Legofiguren gibt, sind sie eine Aufforderung an Kinder, mit Identitäten zu spielen. Geschlechtskonzepte aufzulösen. Körperkonzepte durcheinanderzuwirbeln. Der Kopf mit dem Stoppelbart landet auf einer Feenfigur, ein Oberkörper geht unten als Mauerstein weiter, aus dem nächsten Kopf wächst ein Blumenstrauch etc.

Beschwert hat sich darüber noch niemand. Nun aber gellt ein Aufschrei zumindest durch die strukturkonservativeren Teile der Vereinigten Staaten. Denn Lego hat ein neues Set rausgebracht: Figuren in allen Farben des Regenbogens. Unsere armen Kleinen! Strukturkonservative Köpfe sind oft nicht so schnell im Denken, und es braucht also ein schrillbuntes Signal, um sie darauf aufmerksam zu machen: Mit Legofiguren zieht ein wilder, bunter Karneval der Selbstentwürfe und Geschlechtsidentitäten durchs Kinderzimmer. Oder was solchen Köpfen eben wild und bunt vorkommt. Was andere Menschen vielleicht als die ganz normale Diversität begreifen, erscheint ihnen als "Propaganda" für einen "Lebensstil". Ganz so, als würde die Allgemeinheit jetzt zum Lesbischsein oder Transsein gezwungen. Ganz so, als wären Kinder keine neugierigen, spielfreudigen Wesen.

Die Website "One Million Moms" sorgt sich: "Ganz offensichtlich versuchen jetzt sogar Spielzeughersteller, Kinder zu indoktrinieren. Warum lässt Lego nicht Kinder einfach Kinder sein, statt die Sünde zu glorifizieren?"

Und das ist eben nicht nur weltfremd, angsterfüllt und absurd. Es wird noch abwegiger, wenn man sich ein paar Sekunden nimmt, um der Website selbst hinterher zu recherchieren: "One Million Moms", das klingt nach einer veritablen Streitmacht. Eine Million Muttis, können sie irren? Wer würde sich ihrem Willen zu widersetzen wagen? Nun, die Seite ist schon seit einigen Jahren aktiv, sie gehört zur fundamentalistisch-christlichen "American Family Association", und in der Zeit hat "One Million Moms" schon so manche Kampagne angeregt, in der die Ängste der Engstirnigen Form annahmen. Allein im vergangenen Jahr haben sie im Monatsrhythmus angeprangert: Ein "Damn!" in einer Burgerwerbung im Januar, zu viel Sexiness von J-Lo und Shakira in der Superbowl-Halbzeitpause im Februar, den Auftritt einer Drag Queen in der Sesamstraße im März ... und immer so weiter. Die Welt ist voll namenloser Gefahren!

Die Menschenmasse "One Million Moms" (ca. 4.000 Follower auf Twitter) reagiert sehr feinnervig auf das alles, doch wahrt sie im Außenauftritt eine bewundernswerte Disziplin: Noch nie hat für "One Million Moms" eine andere Person gesprochen als Monica Cole aus Tupelo, Mississippi. Nicht wenige Beobachter vermuten, dass die Massenorganisation tatsächlich aus niemandem sonst besteht als aus Monica.

Und das wäre doch tatsächlich schräger als alles Cross-Dressing und Gender-Bending: Ist ein tristerer Karneval vorstellbar, als dass man sich selbst mit einer Million multipliziert? Ein ganzes Volk von Menschen, die gleich aussehen, das Gleiche denken, die die Welt als einen Setzkasten sehen, der nie berührt werden darf. Unsere Vermutung als Küchenpsychologen: Hätte man Monica Cole als Kind mit Lego spielen lassen, so hätte sie vielleicht eine Ahnung bekommen von der Vielfalt da draußen. Von all den verschiedenen Normalitäten. Vielleicht wäre sie etwas glücklicher, etwas robuster. Vielleicht müsste sie sich gar nicht so dolle erschrecken, wenn die nächste Schokoriegelwerbung über den Bildschirm flimmert, in der Leute sich küssen, einfach so, ohne dabei über Heiratsurkunde und Geschlechtsidentität nachzudenken.

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