Atheisten in den USA

Das verschwiegene Viertel

Kann man im "Land der Freien" leben, ohne sich zu Gott zu bekennen? Eine neue Studie deutet darauf hin, dass Atheisten ihre Religionsfreiheit lieber für sich behalten. Und dass sie viel mehr sind als bislang angenommen.

Glauben Sie an Gott? In aufgeklärteren Weltregionen ist dies eine Frage, die für Partygespräche taugt und für stille Stunden unterm Sternenhimmel. Die Einen glauben, die Anderen nicht, die Dritten wissen nicht recht, und fragt man die Ersten, woran genau sie glauben, führt das Gespräch recht bald in nebulöse, doch wiederum auch gemütliche Gespräche. Seien wir froh, dass es so ist. Es gibt immer noch Länder auf der Erde, in denen es tödlich sein kann, sich vom imaginären Freund loszusagen, und es gibt Länder wie die Vereinigten Staaten, wo man die Frage nicht ganz angstfrei beantworten kann.

Das Telefon klingelt, irgendwo in Amerika. "Glauben Sie an Gott?", will die freundliche Stimme vom Umfrageinstitut wissen. In einem Land, das sich den Oberschöpfer auf die Geldnoten druckt, überlegt man da zweimal. Selbst wenn die Nachbarn es nicht mitbekommen, selbst wenn die Daten anonymisiert in die Umfrage eingehen, kann es doch immer noch ein Widerstreben geben, sich zur Glaubensfreiheit zu bekennen. Wie sonst könne wir uns erklären, dass die USA nach wie vor auf ihren ersten bekennenden Atheisten im Kongress warten? Ohne himmlischen Segen ist man schnell allein im Gottesstaat USA, und wo der Glaube fehlt, will er wenigstens behauptet werden. In den Schulen wird gebetet, selbst in der Nationalhymne ist ja nicht nur Platz für Blut, Bomben, Schlachten und die stinkenden Fußstapfen der Feinde – auch hier wird natürlich auf den großen Weltenlenker vertraut. Und in den Erhebungen der renommierten Umfrageinstitute Gallup und Pew lagen die Atheisten bei zehn oder gar nur schwindenden drei Prozent.

Wen wundert es, dass die Psychologen Will Gervais und Maxine Najle von der "University of Kentucky" den Umfragezahlen misstraut haben? "Wir sollten von niemandem erwarten, dass er einem Fremden am Telefon eine ehrliche Antwort auf diese Frage gibt", so Gervais. Also haben die Forscher eine neue Studie durchgeführt - mit einem indirekten Messverfahren: Zwei Vergleichsgruppen bekommen einen Katalog voller unverfänglicher Selbstauskünfte vorgelegt ("Ich besitze einen Hund", "Ich mag moderne Kunst", etc.), und nur eine der beiden Gruppen findet auch das Bekenntnis zu Gott in ihrem Fragenkatalog vor. Keine Frage muss direkt beantwortet werden, die Befragten liefern nur eine Zahl: Wie viele der Aussagen auf sie selber zutreffen.

Der Abgleich der beiden Gruppen lässt Rückschluss auf die Anzahl von Gläubigen und Nichtgläubigen zu. Und siehe da: Alles deutet darauf hin, dass die Zahl der Atheisten weit über dem liegt, was die bisherigen Meinungsumfragen ergaben. Am wahrscheinlichsten ist eine Zahl von 26 Prozent. Wenn man das auf die 435 Kongressmitglieder umrechnen darf, müssten dort 113 religionsfreie Menschen sitzen. Zugegeben hat es in den letzten Jahren nur einer, und zwar nach seinem Ausscheiden, der Demokrat Barney Frank. Ein Vierteljahrhundert zuvor war er einen anderen großen Schritt gegangen und hatte sich als schwul geoutet. Das scheint ihm weniger Angst gemacht zu haben als das Bekenntnis zum gottlosen Selberdenken. Ohne Gott nämlich, oder wenigstens das Lippenbekenntnis zu ihm, kann die politische Karriere in Amerika schnell vorbei sein.