Sonderrolle für die Kirchen?

Das Virus macht keine Unterschiede

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Derzeit dürfen keine Gottesdienste stattfinden

Gestern hat sich die Bundeskanzlerin mit den Vertretern der Länder auf erste Lockerungen bei den Anti-Corona-Maßnahmen verständigt. Demnach sollen kleinere Geschäfte wieder öffnen dürfen. Zusammenkünfte und Veranstaltungen bleiben weiterhin untersagt, das gilt auch für Gottesdienste. Laut dpa soll es allerdings Gespräche des Bundesinnenministeriums mit Religionsvertretern zu möglichen Ausnahmen geben. Ein Kommentar.

Die Ungleichbehandlung bei der Einführung der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie sollte bei der Lockerung nicht wiederholt werden. In Stuttgart zum Beispiel wurden ab dem 13. März zunächst Versammlungen und Veranstaltungen in Kultur-, Sport- und Freitzeitstätten untersagt, ergänzend erfolgte am 17. März das Verbot von Versammlungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften.

Das Corona-Virus macht keine Unterschiede – und der Staat sollte das auch nicht tun. Menschenansammlungen, zum Beispiel beim Starkbierfest am 8. März in Mitterteich (Oberpfalz/Bayern) oder bei einer Karnevalsveranstaltung Ende Februar in Heinsberg/Nordrhein-Westfalen bildeten Hotspots für die Verbreitung des Virus. Teilnehmer waren zuvor bei Ski- und Partywochenenden in Österreich und Südtirol gewesen und hatten von den Epizentren dort das Virus mitgebracht und dann weiter verbreitet.

Besonders häufig waren religiöse Treffen und Kirchen an der Verbreitung beteiligt: Die Shincheonji-Kirche in Südkorea, die fast im Alleingang für den dortigen COVID-19-Ausbruch ab Mitte Februar verantwortlich war, ein am 17. Februar beginnendes fünftägiges Evangelikalen-Treffen in Mulhouse/Elsass, ein Kirchenkonzert am 1. März im Hohenlohekreis, Hochzeitsfeiern in abgeschotteten chassidisch-jüdischen Gemeinden in New York.

Die im Rahmen der Corona-Pandemie eingeführten Einschränkungen sind weltweit bei einem Teil der Kirchen und der Gläubigen auf Ablehnung gestoßen. Insbesondere tiefreligiöse Menschen, egal ob evangelikale, orthodoxe, Piusbrüder, Muslime, Sikhs oder Hindus, fühlen sich jenseits von realen Fakten oder wissenschaftlichen Tatsachen durch ihren Glauben besonders beschützt. Weil sie so irrational davon überzeugt sind, dass Gott auf ihrer Seite ist, glauben sie, dass sie vor Konsequenzen gefeit sind und dass die Naturgesetze für sie nicht gelten.

Sie wollen sich in ihrer Freiheit nicht wie der Rest der Bevölkerung einschränken lassen und fordern Sonderrechte. Wieder einmal sollen mit der Berufung auf die Religionsfreiheit besondere Behandlungen gerechtfertigt werden. Auch in Deutschland haben die Kirchen gute Verbindungen in die Politik und diese scheint bemüht, den Kirchen bei der allmählichen Lockerung der Verbote eine Sonderbehandlung einzuräumen.

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, hat in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 10. April nur die Situation der Kirchen herausgestellt: "Das Verbot von Gottesdiensten ist ein massiver Eingriff in die Religionsfreiheit." Alle Einschränkungen sind ein Eingriff in die Freiheitsrechte, und jede Einschränkung muss gerechtfertigt, verhältnismäßig und angemessen sein.

Gestern berichtete die Stuttgarter Zeitung, dass die Landesregierung vor der Konferenz der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel ein Konzept entwickelt hat, um die Auflagen schrittweise zu lockern. "In einem ersten vorsichtigen Schritt könnten schon ab kommender Woche kleinere Öffnungen in verschiedenen Dienstleistungsbereichen vorgenommen werden", heißt es in dem Papier. Sukzessive würden weitere Öffnungen folgen.

In einem zweiten Schritt, für den es noch keinen Termin gibt, soll der Zugang zu Gotteshäusern ermöglicht werden. Kultureinrichtungen wie Museen oder Bibliotheken sollen "nach einem Übergangszeitraum" öffnen können. Geplant ist also "zuerst eine schrittweise Öffnung von Schulen, Einzelhandelsgeschäften, Einrichtungen mit Kundenverkehr sowie Kirchen und in einer zweiten Etappe die Wiederaufnahme des Kulturbetriebs."

Den Kirchen eine Sonderrolle bei der Öffnung einzuräumen, wie von der Politik angedacht, ist nicht vereinbar mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates und auch nicht mit dem Schutz der Bürger vor Gläubigen, die sich für immun halten und leichtfertig die Verbreitung des Virus zum Schaden der gesamten Bevölkerung ermöglichen. Religionsfreiheit geht nicht so weit, dass diese über anderen Rechten steht und Sonderbehandlungen von religiösen Gruppen rechtfertigt.

Die Öffnung von Kirchen, Synagogen, Moscheen, Tempeln und humanistischen Zentren muss nach einheitlichen Regeln erfolgen, die auch für die Öffnung von Bibliotheken, Museen, Kinos, Diskotheken und sonstigen Veranstaltungen und Versammlungen gelten.

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