Was wir über Organspende immer schon hätten wissen sollen

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Dass die Organe mit bestattet sein müssten, ist irrational und archaisch. Fortschrittlich und human erscheint, mittels Widerspruchslösung zum Transplantations-Spitzenreiter Spanien aufzuschließen. Das deutsche System ist trotz millionenschwerer Werbung gescheitert. Diese hat es nicht vermocht, eine durchaus spendenbejahende Bevölkerung zur solidarischen Zustimmung im Fall des Hirntods zu bewegen. In Spanien gilt schon der bevorstehende Herzstillstand als hinreichende Voraussetzung. Dies ist jedoch hierzulande als "aktive" Sterbehilfe verboten.  

Die Union kündigt noch für dieses Jahr im Bundestag eine medizinethische Orientierungsdebatte zur Organspende an. Die unlängst veröffentlichten Organspendezahlen des vergangenen Jahres sind auf einem historischen Tiefstand. Organe retten Leben und es sollten auch der steigenden Nachfrage wegen eigentlich immer mehr werden – so lautet das Credo der Nächstenliebe. Reißen die Retter zu diesem Zweck systematisch die Schranken ein, die sie von einer Transplantation trennen – bei den Patienten, in denen die Organe schlummern? Wenn wir uns das jahrelange Elend der über 10.000 schwerstkranken Wartenden zwischen Todesangst und Hoffnung auf eine wiederherzustellende Lebensqualität vergegenwärtigen, könnten dahinter alle Einwände zurücktreten. Nun soll die Widerspruchslösung aufgrund der Initiative von Gesundheitsminister Jens Spahn auch hierzulande erwogen werden. Aus Kirchenkreisen sowie den eigenen Reihen gab es für Spahn Kritik, aber auch prominente Fürsprache wie vor allem von der Kanzlerin und dem Bundesärztekammerpräsidenten.

Wenn damit hinreichend neue Organe zur Verfügung gestellt werden könnten, wäre ein nicht erfolgter Widerspruch vernünftig und zumutbar – statt wie in Deutschland auf eine Zustimmung zu bestehen.

Dringender Änderungsbedarf – aber Richtung Widerspruchslösung?

Würde die automatische Organentnahme als grundsätzlich selbstverständlich gelten, könnten ja alle diejenigen Widerspruch dagegen anmelden, die als Tote aus Emotions- oder Pietätsgründen nicht "als Ersatzteillager" dienen möchten – oder die religiös motivierte Bedenken hinsichtlich ihrer Auferstehung als "vollständiger" Mensch haben. Es müsste dann bei der Regelung durch Widerspruch nur ein Register vorausgesetzt werden, um diesen auch verlässlich zur Geltung zu bringen. Zudem sieht die erweiterte oder doppelte Widerspruchslösung vor, dass auch den Angehörigen ein Vetorecht eingeräumt wird.

Doch so einfach kann es sich eine Bewertung im Sinne rationaler Erwägungen nicht machen. International gesehen gibt es mehrere Lösungsansätze mit Kombinationsmöglichkeiten, je nachdem, ob der Herz- oder der Hirntod als Voraussetzung für die Organentnahme gilt. Für unsere derzeitige Regelung einer sogenannten freiwilligen Entscheidungslösung steht eines fest: So irreführend-manipulativ und dabei erfolglos kann es nicht bleiben. Doch der Blick in andere Länder zeigt, dass eine einfach nachzuahmende Lösung nicht in Sicht ist. So wäre auch denkbar, die bestehende Bewerbung der freiwilligen Entscheidung umzuwandeln in eine verpflichtende (Modell USA). Doch zunächst benötigen wir eine schonungslos offene Debatte, die alles auf den Tisch legt. Dazu gehört die tabuisierte Überschneidung mit einer Hilfe zum Sterben, bevor der Hirntod eingetreten ist. Unstrittig dürfte sein, dass bei einem Getötetwerden durch Organentnahme im aussichtslosen Koma eine Zustimmung vorauszugehen hätte (Schweizer Modell) und die spanische Widerspruchslösung dafür nicht in Frage kommt.  

Was uns die Zahlen über verschiedene Regelungen sagen

Es geht in Deutschland wesentlich darum, dass nur bestimmte Patienten als Spender in Betracht kommen: Hirntote. Der Hirntod ist jedoch so selten, dass selbst bei stark erhöhter Spendenbereitschaft nie auch nur annähernd ausreichend Organe zur Verfügung stehen können.

Laut Vergleich der Stiftung Eurotransplant mit anderen Mitgliedsländern ist Deutschland das Schusslicht mit 2017 nur 9,3 Spender*innen pro eine Million Einwohner*innen. Zu diesem Bemessungswert ist unbedingt zu erläutern: Er spiegelt keinesfalls die Zahl derjenigen wider, die in einem Spenderausweis die Bereitschaft zur Organspende bekundet haben. Von diesen kommt vielmehr kaum jemand zufällig als Spender*innen in Frage, da in Deutschland die Voraussetzung erfüllt sein muss, in einer Klinik primär den Hirntod zu erleiden. Das trifft jedoch nur auf etwa ein Prozent aller jährlichen Todesfälle zu. Von diesen wiederum können selbst bei Zustimmung nicht immer Organe verwendet werden. Im Ergebnis wurden im vorigen Jahr bei nur 797 als hirntot diagnostizierten Menschen – durch Mehrfachspende – insgesamt 2.594 Organe entnommen.

Von den acht Eurotransplant-Ländern liegen Österreich und Kroatien mit einer Marke knapp über 30 Organspendern pro eine Million Einwohner vorn. Der weltweite Spitzenreiter Spanien hat einen Richtwert von 46,9. In allen drei Ländern gilt gleichermaßen die Widerspruchslösung. Wenngleich sie allein nicht der Schlüssel zum angestrebten Erfolg ist, würde die Widerspruchslösung bereitzustellende Organe wohl auch bei uns vermehren – in welchem Ausmaß ist fraglich.

Im Vorfeld einer Diagnose des seltenen Hirntods

Die Voraussetzung für eine Organentnahme ist in Deutschland das vollständig und irreversibel abgestorbene Gehirn. Dabei wird künstlich das Schlagen des Herzens – und dadurch die "Lebendigkeit" der Organe – beibehalten. Der Hirntod ist prinzipiell nur auf der Intensivstation möglich. Es handelt sich bei knapp ein Prozent aller jährlichen Todesfälle in Deutschland um etwa 8.500 Sterbende im Krankenhaus, die überhaupt nur als potentielle Organspender*innen in Frage kämen. Früher waren es in erster Linie schwer kopfverletzte Unfallopfer, nach Einführung der Helmpflicht wurden es weniger, inzwischen sind es häufiger auch höchstwahrscheinlich Sterbende aufgrund innerer Gehirnschädigungen wie Blutung nach Platzen einer Ader (Schlaganfall) oder Sauerstoffmangel aufgrund verschiedenster Ursachen. 

Was die Ärzte genau untersuchen, um den Hirntod eines komatös aussehenden Patienten festzustellen, beschreibt die Medizinethikerin Sabine Müller wie folgt: "Wer hirntot ist, ist bewusstlos, hat keine Hirnstammreflexe mehr und atmet nicht mehr eigenständig, weil sein Atemzentrum im Hirnstamm nicht mehr funktioniert. Die Patienten zeigen keine Reaktion auf Schmerz, haben auch keinen Würgereflex mehr und ihre Pupillen reagieren nicht auf Lichtreize. Andere Ursachen, die diesen Zustand erklären könnten, sind zuvor auszuschließen."

Der eigentlich sensible Punkt ist nicht der sicher festgestellte Hirntod, sondern der Umgang mit denjenigen, die dafür in Frage kommen – also als Komapatient in der Phase davor. Wenn sich in einer Klinik der Hirntod abzeichnet, aber noch nicht eingetreten ist, geht es bei potentieller Spendenbereitschaft nicht mehr um das Wohl des Patienten, sondern um die optimale Konditionierung der zu spendenden Organe. Das heißt, es werden vor Eintritt des Hirntods Eingriffe wie Herzkatheter, Defibrillation etc. nur noch zum Nutzen Fremder vorgenommen. Auch notwendigerweise zugefügte Schmerzreize, um eine vielleicht doch noch vorhandene Reaktion des höchstwahrscheinlich Hirntoten zu testen, können nachdenklich stimmen – wenn man darüber Bescheid wüsste. Auch sollte der Umstand eine Rolle spielen, dass sich viele Menschen ein ruhiges und menschlich begleitetes Sterben wünschen. In Patientenverfügungen wird mehrheitlich verlangt, am Ende auf operative Eingriffe und auch nur noch belastende diagnostische Verfahren zu verzichten – erst recht wird für sich selbst mit zunehmendem Alter kein fremdes Organ beansprucht. 

Wie hat es Spanien zum "Transplantationsweltmeister" geschafft?

In Spanien ist die Rate der Organspenden inzwischen fünfmal höher als in Deutschland. Wieso müssen bei uns enorme Millionensummen ausgegeben werden für Werbemaßnahmen bei einer eigentlich laut Umfragen großen Mehrheit von prinzipiellen Spendenbefürworter*innen? Viel Geld investiert Spanien hingegen in gute personelle und organisatorische Bedingungen, so der Nierenfacharzt Rafael Matesanz, der Vater des spanischen Modells. Das Schlüsselwort der spanischen Lösung heißt optimale Transplantationskoordination durch die von ihm 1990 gegründete nationale Organisation ONT.

Die durchschlagenden Argumente von Matesanz dafür waren, dass es neben der Linderung des Leids der Schwerkranken auch volkswirtschaftlich vorteilhaft ist, lieber eine  Nierentransplantation zu finanzieren als die viel kostspieligere jahrelange Dialyse. Schon vor Jahren hielt er den Deutschen ihren in seinen Augen völlig falschen Weg vor Augen, dass viele Bürger unbedingt aus Nächstenliebe eine positive Einstellung zur Organspende entwickeln müssten: "Es ist unerheblich, wie viele Menschen einen Ausweis tragen oder sich theoretisch zur Organspende bekennen. Was zählt, ist die Zahl der tatsächlichen Spender", betonte er.

Dem stimmt aktuell Prof. Bruno Meiser zu: Auch das schwindende Vertrauen in der deutschen Bevölkerung nach einigen Skandalen 2012 könne nicht immer wieder als Grund für den Rückgang der Spenderzahlen herhalten. Ursache für die "nationale Katastrophe" sei vielmehr, "dass insgesamt dieses System in Deutschland zu viele Hürden aufbaut, und dass es keine Motivationsanreize für die Kliniken gibt, sondern eher Hürden, um die Toten zu identifizieren und dann diesen ganzen Prozess einzuleiten." Diesbezüglich will Spahn jetzt vorrangig für Abhilfe sorgen, bevor es zu einer eventuellen Neuregelung im Sinne der Widerspruchslösung kommt. Nicht nur den ohnehin bestehenden Notstand im normalen Klinikalltag will er beseitigen, sondern zusätzlich 35 Millionen Euro pro Jahr mehr in die Strukturen zur Organentnahme investieren.

Bemerkenswert in Spanien ist, dass aufgrund des enormen Erfolgs die Bevölkerung diesen nicht weiter hinterfragt. (Es organisatorisch in der Praxis zu schaffen statt in endlos unergiebige Streitereien zu verfallen – dies könnte nebenbei gesagt auch ein Modell für andere Herausforderungen sein.) Matesanz rät sogar, die Widerspruchsregelung nur dort einzuführen, wo ein allgemeiner Konsens herrsche. Viele Menschen könnten die Vorschrift sonst als Zwang empfinden. "So erreicht man manchmal genau das Gegenteil", meinte der ONT-Direktor.

Ab wann werden Komapatienten nur noch fremdnützig behandelt?

Wenn es um die Entnahme von Herz, Lunge oder Niere geht, scheint ein  anderer Umstand entscheidend zu sein: In Spanien gilt dafür nicht – wie in Deutschland und in vielen anderen Staaten – der Hirntod, sondern schon der voraussehbare Herztod bei bewusstlosen Schwerstkranken und Komapatienten als hinreichend. Das Erfolgssystem führt zu einer großen Selbstverständlichkeit, ohne dass die Spanier erst überzeugt oder zur Solidarität aufgefordert werden müssten. Dies sei die beste Werbung, sagt Beatriz Dominues-Gil, die neue ONT-Direktorin. Sie gilt – anders als Minister Spahn in Deutschland – in ihrer Heimat als Frau "der Herzen".

Sogar über 90-Jährige kämen für eine Organentnahme in Frage, was aber angesichts des ebenfalls hohen Alters möglicher Empfänger*innen kein Problem darstellen würde, berichtet Dominues-Gil. Immer häufiger kämen Familienmitglieder den Ärzten und Pflegern im Krankenhaus zuvor, wenn ein Angehöriger im Sterben liegt, und bringen das Gespräch von sich aus auf die Organspende: "Wenn man nichts mehr für ihn tun kann … " Handelt es sich vielleicht dabei auch um einen Vorschlag zur Sterbehilfe? Eine 3sat-Dokumentation von 2017 zeigt, wie sich dies in der Schweiz human auch in Anwesenheit von Nahestehenden bis kurz vor der operativen Entnahme abspielen kann. Dort ist dazu aber unbedingt die Zustimmung erforderlich – nicht umgekehrt der fehlende Widerspruch der Betroffenen.   

Jedenfalls kommen durch das Kriterium eines unmittelbar bevorstehenden Herz-/Hirntods, ohne dass dieser schon eingetreten beziehungsweise festgestellt worden sein muss, ungleich mehr Todgeweihte für die Organentnahme in Frage. Dies wäre in Deutschland aus Abwehr einer auch nur annähernd so erscheinenden Euthanasie undenkbar. Schon Matesanz hatte seine Verwunderung darüber ausgedrückt, dass in Deutschland Organspenden nur nach dem Hirntod erlaubt sind, wenn doch das Credo "Organe retten Leben" oberste Priorität haben sollte: "Es ist mir ein Rätsel, weshalb in Deutschland verboten ist, was Ihre Nachbarn für legal und bioethisch vertretbar halten".

Tabuisierung von Tatsachen – über was man nicht spricht

Erstens die gesundheitsethische Tatsache: Der stetig zunehmende Bedarf an Spenderorganen wird immer in einem Missverhältnis stehen zum Angebot. Lediglich die durchschnittliche Wartezeit verkürzt sich, dauert jedoch auch in Spanien oft noch zwei Jahre. Doch das Credo "immer mehr Organe zur Lebensrettung" darf nicht hinterfragt werden. Dass der Organbedarf kaum je durch ein noch so hohes Angebot befriedigt werden kann, bleibt ausgeblendet. Die Gründe sind die stetig wachsende Nachfrage wegen Mehrfachspenden (z. B. Lunge und Herz gemeinsam), Ausweitung der Altersgrenzen, notwendige Neuersetzung transplantierter Organe nach einiger Zeit.

Zweitens die biologische Tatsache: Von einem Leichnam sind keine transplantationsfähigen Organe zu entnehmen. Wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen, werden die Organe nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und sterben ganz schnell ab. Deswegen scheiterten die frühesten Versuche, Organe zu verpflanzen, alle in der Weise, dass auch die Empfänger innerhalb kürzester Zeit tot waren. Für den größten Pool zur Organentnahme wäre dann gesorgt, wenn Transplanteure operationsbereit bereits am Bett eines Sterbenden stehen würden.

Drittens die gesellschaftspolitische Tatsache: Undenkbar wäre in Deutschland die Voraussetzung eines nur – aller Wahrscheinlichkeit nach – eintretenden Herztodes (mit erst anschließendem Absterben des Gehirns). Dann würde der hierzulande schon so lange schwelende Streit, ob der Mensch, dem Organe entnommen werden, wirklich unumkehrbar tot ist, erst recht losgetreten. Vor allem aber würde unser Gesetzgeber niemals eine Regelung verabschieden, die sich dem Verdacht aussetzen könnte, wehrlose Menschen durch Organentnahme zugunsten anderer, das heißt "fremdnützig", zu töten. 

Die Tabuisierung beziehungsweise Vertuschung von Tatsachen ziehen unstimmige Konstrukte und fragwürdige Werbemaßnahmen nach sich, die weder erfolgreich noch vertrauensbildend sein können.

Wieso die deutsche Regelung am Hirntodkonstrukt gescheitert ist

Könnte es also verborgenes Misstrauen und intuitive Abneigung geben, die nicht ganz unbegründet sind? Dabei genügt nach heutiger Regelung in Deutschland ein "Ja"-Kreuz auf einem Spenderausweis mit Unterschrift für die nötige Zustimmung. Alle Werbekampagnen mit großformatigen Prominentenfotos und gesetzlich vorgeschriebener regelmäßiger Aufforderung durch die eigene Krankenkasse reichten nicht. Die Entscheidungslösung hierzulande lief ist Leere, sich so oder so zur Organspende positionieren zu sollen – aber nicht zu müssen, wie es eine Verpflichtung in den USA vorsieht. Dabei wäre wohl eine solche verpflichtende – nicht wie hierzulande freiwillige – Entscheidungslösung ein möglicher Weg, z. B. bei Führerschein- oder Ausweiserstellung. 

In Aufklärungsbroschüren und im Internet rechtfertigt die offiziell verantwortliche Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) die Organentnahme damit, dass ein vollständiger und irreversibler Ausfall aller Teile des Gehirns Voraussetzung dafür ist. Tatsächlich dürfen wir als wissenschaftsorientierte Zeitgenoss*innen davon ausgehen, dass der Mensch dann tot ist, wenn er unumkehrbar keinerlei Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen mehr hat. Der Spender wird – anders als im Koma – mit Sicherheit niemals mehr lebensfähig sein und von der Organentnahme jedenfalls nichts mitbekommen. Den Missbrauchsängsten von Organspende-Gegnern hält der Medizinrechtler Wolfgang Putz laut Münchner Merkur vom 4. September 2018 zudem entgegen: "In Deutschland werden weder Menschen künstlich am Leben gehalten, damit ihnen Organe entnommen werden können. Noch wird alles dafür getan, dass sie eben deshalb möglichst früh sterben."

Es scheint paradox: Je mehr sich etwa die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder die DSO bemühen, Bedenken zu zerstreuen, desto stärker könnten Verstimmung und  Unbehagen anwachsen gegen einen subtilen Druck von solchen Stellen. Denn die Bürger*innen empfinden sehr wohl, dass hinter der vermeintlich ergebnisoffenen Aufklärung bei der Entscheidungslösung mehr oder weniger verdeckt der staatlich geförderte Aufruf pro Organspende steht. Von der DSO wird sogar der Transparenz halber – irgendwo versteckt – eine Fehlerquote bei der Hirntoddiagnostik von (nur) 0,67 Prozent eingeräumt. Doch hört jede Aufklärung auf, wenn es um die direkten Werbemaßnahmen geht: Für den Spenderausweis soll sich ganz spontan entschieden werden, so schnell und einfach wie möglich.

Um eine ganz offensichtliche Verschleierung handelt es sich, wenn auf den offiziellen Spenderausweisen anzukreuzen ist: Ich stimme einer Organentnahme "nach Feststellung meines Todes" zu. Mit gutem Grund werden ausschließlich Begriffe wie "tot sein" und "Tod" verwendet. Korrekterweise ist der dem Organspende-Verfahren einzig angemessene Begriff jedoch "Hirntod".

Irreführende Organspende-Werbung statt Aufklärung

Das Hirntod-Konzept bei aufrechterhaltender Herz-Kreislaufaktivität soll genau dasselbe sein wie der "herkömmliche" Tod des Menschen (der ja durch Aufhören von Herz- und Atemtätigkeit, dann Erkaltung, Leichenstarre usw. bestimmt ist). Eine Gleichsetzung kann je nach Weltanschauung befürwortet, skeptisch gesehen oder abgelehnt werden. Fest steht jedoch: So etwas wie der Hirntod ist eine Hilfskonstruktion, welche eigens erfunden wurde, um der Transplantationschirurgie zu ihrem Aufschwung zu verhelfen und sie vom Tötungsvorwurf freizusprechen.  

Der Chirurg und Publizist Dr. med. Bernd Hontschick bringt es so auf den Punkt: "Für die, die dringend auf ein Organ warten, ist der Hirntod eine segensreiche Erfindung. Für die potenziellen Spender*innen ist der Hirntod aber eine eher riskante Erfindung, die beängstigen kann. Im Organspendeausweis steht: 'Ich gestatte, dass nach der ärztlichen Feststellung meines Todes meinem Körper Organe und Gewebe entnommen werden.' Das ist eine glatte Irreführung."

Der Arzt Dr. Jürgen Bickhardt wird als "Visionär" der Hospiz- und Palliativversorgung bezeichnet. Er hat später auch die Gesetzgebung zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen mit auf den Weg gebracht. Er machte sich auch für die Organspende stark und widmet sich jetzt hauptsächlich der Patientenberatung und der Beraterschulung. In seiner ersten PowerPoint-Folie stellt er eine Frage zu den in den Organspendeausweisen genannten Voraussetzungen: Welche Vorstellungen verbinden Sie mit den Formulierungen  nach meinem Tod" oder "nach ärztlicher Feststellung meines Todes"? Es ist nicht verwunderlich, dass sich herausstellte: Die allermeisten Schulungsteilnehmer*innen verstehen darunter, ihr Herz habe aufgehört zu schlagen und ihr Körper würde erst dann als Leichnam aufgeschnitten.

Bickhardt spricht in seinen Seminaren auch Fragen an, die das Credo "möglichst viele Organe zur Lebensrettung" gegen den Strich bürsten. So lautet bei ihm z. B. eine Überschrift: "Wie könnte die Nachfrage vermindert werden?". Darunter listet er auf: Verbesserung der Prävention / Weiterentwicklung alternativer Therapiekonzepte sowie (jeweils mit einem Fragezeichen versehen) zurückhaltende Überredungskünste vor allem bei älteren Patienten zur Organspende? / Nachdenken über persönlichen Verzicht?

Er teilt mit: "Ich selbst wollte, seit ich 50 Jahre alt war, keine fremden Organe mehr haben und Jüngeren wegnehmen!" Er halte nichts davon – wie in Spanien inzwischen gang und gäbe – hoch betagten Menschen Organe von Hochbetagten zu übertragen. Die älteste Empfängerin einer Niere sei 94 Jahre alt gewesen.