Astrophysiker haben erstmals Gravitationswellen direkt gemessen

Zitternde Raumzeit: Kollidierende Schwarze Löcher bestätigen Einsteins Idee

Thorne hatte sich bereits Mitte der 1970er-Jahre für den Bau von "Beam"-Detektoren eingesetzt. Nachdem Prototypen die prinzipielle Machbarkeit erwiesen hatten, wurde die Aufgabe 1992 in den USA genehmigt und begonnen. Gründer waren Kip Thorne, Ronald Drever und Rainer Weiss. Das inzwischen über 620 Millionen Dollar teure LIGO-Projekt besteht aus zwei Interferometern mit jeweils zwei L-förmig angeordneten Vakuumröhren von vier Kilometer Länge. Gebaut und betrieben werden die beiden rund 3000 Kilometer voneinander entfernten Anlagen hauptsächlich vom Caltech und MIT.

LIGO erfordert mit fast 1000 Beteiligten die Organisation eines Großunternehmens. Die erste Forschungsphase von LIGO dauerte von 2002 bis 2010. Sie sollte demonstrieren, dass die hochempfindliche Technik funktionierte. Und das gelang. Jede Entdeckung wäre ein krönender Bonus gewesen. Doch LIGO maß nichts. "Wir sagten immer, mit dem initialen LIGO wäre eine Entdeckung möglich und mit Advanced LIGO wahrscheinlich", erinnert sich Barry Barish vom Caltech, LIGO-Chefwissenschaftler seit 1994, an die Verhandlungen zur Finanzierung des gravitativen Lauschpostens. Advanced LIGO ist nun der "upgrade" des Detektors um eine Größenordnung in der Empfindlichkeit. Das verzehnfacht also ungefähr die Entfernung messbarer Quellen und vertausendfach somit das Suchvolumen.

Advanced LIGO zeichnet sich durch zahlreiche Verbesserungen aus. Zum einen werden Störsignale aus der Umgebung besser ausgefiltert. Sie sind ein großes Problem, vor allem bei Livingstone, wo eine Autobahn und Eisenbahnschienen wenige Kilometer entfernt vorbeiziehen und den Boden vibrieren lassen. Züge hatten LIGO anfänglich sogar regelrecht ausgeschaltet. Auch Holzfällerarbeiten erwiesen sich als äußerst lästig, sind aber nur temporär. Das Rauschen der Störquellen wird unter anderem dadurch radikal reduziert, dass die zentnerschweren Spiegel, die die Laserstrahlen reflektieren, mehrstufig an Glaszylinder und Metallplatten aufgehängt sind, sodass die unerwünschten Schwingungen extrem gedämpft werden. Außerdem setzt Advanced LIGO nun viel stärkere Laser ein (200 Watt) und "recycled" deren Licht zusätzlich, was die Empfindlichkeit weiter steigert. (Man kann aber nicht beliebig viel Photonen in den Strahlgang pumpen, weil sonst zu viel "weißes Rauschen" entsteht, das jedes Signal überlagern würde.) Auch mit ganz bodenständigen Problemen mussten sich die Techniker herumschlagen. In Hanford gab es Materialermüdungen bei den Spiegeln, und zwei mussten ersetzt werden. Und in Livingston nisteten Wespen bei der Anlage, und ihre chlorhaltigen Exkremente – die teilweise auf gefressene giftige Spinnen zurückgehen – erzeugten winzige Lecks in den Vakuumröhren, durch die die Laserstrahlen flitzen.

Im Spiegel der Erkenntnis: Überprüfung eines der 40 Kilogramm schweren LIGO-Reflektoren, bevor er im Vakuumrohr versiegelt wurde. [Matt Heintze, Caltech, MIT, LIGO Lab]

Im Spiegel der Erkenntnis: Überprüfung eines der 40 Kilogramm schweren LIGO-Reflektoren, bevor er im Vakuumrohr versiegelt wurde. [Matt Heintze, Caltech, MIT, LIGO Lab]


Weitere Detektoren

LIGO ist der größte, aber nicht der einzige Gravitationswellendetektor. Weitere Projekte sind im Aufbau oder laufen schon:

• VIRGO – ein französisch-italienischer Detektor mit drei Kilometer Armlänge im italienischen Cascina bei Pisa, der 2007 in Betrieb ging, bislang nichts gemessen hatte, gegenwärtig verbessert wird und in wenigen Monaten wieder anlaufen soll; er hat etwa 75 Prozent der Empfindlichkeit von Advanced LIGO. VIRGO ist sozusagen die kleine Schwester von LIGO. Der Name bezieht sich auf das Sternbild Jungfrau (lateinisch Virgo), wo sich der Virgo-Galaxienhaufen befindet – aufgrund seiner Nähe und Größe die wahrscheinlichste Quelle für Gravitationswellen von Neutronenstern-Kollisionen.

• GEO600 – eine deutsch-britische Anlage mit 600 Meter Armlänge bei Ruthe, 25 Kilometer südlich von Hannover, die ab 2002 im Testbetrieb lief und seit 2005 regulär misst. Ausgestattet ist GEO600 mit einem 3-Watt-Laser und 18 Zentimeter großen Spiegeln. Diverse neue Höchstleistungstechnologien wurden und werden hier ausprobiert, die Pionierfunktion für größere Anlagen haben. Ohne die Pionierleistungen von GEO600 wäre LIGOs Messung nicht möglich gewesen, das wurde auch auf der Pressekonferenz ausdrücklich gewürdigt.

• TAMA300 – ein 300-Meter-Interferometer des japanischen Nationalen Astronomie-Observatoriums in Mitika bei Tokio, das zwischen 1995 und 2003 hauptsächlich zu Testzwecken betrieben wurde. Nachfolger ist …

• KAGRA (Kamioka Gravitational Wave Detector) – wie VIRGO eine drei-Kilometer-Anlage in der unterirdischen Kamioka-Mine in Japan; der Detektor kostet etwa 200 Millionen US-Dollar – nicht viel mehr wie 500 Meter U-Bahn in Tokyo, wie die KAGRA-Website betont – und könnte ab 2018 messen (ursprünglich war 2009 anvisiert worden).

• LIGO Indien – eine dritte LIGO-Anlage, die für etwa 350 Millionen Dollar ab frühestens 2022 in Indien starten könnte, um die beiden amerikanischen Detektoren zu unterstützen. Komponenten dafür wurden bereits gebaut und lagern in Hanford. Grünes Licht für den Bau gibt es aber noch nicht.

• In Europa wird auch über ein 10-Kilometer-Interferometer aus drei in einem Dreieck angeordneten Armen nachgedacht, das Einstein-Teleskop. Das ist noch ein Wunschtraum. Dessen Realisierung würde vielleicht 1,5 Milliarden Euro kosten und erfolgt sicherlich nicht, bevor LIGO & Co. nicht Gravitationswellen gemessen haben. Erste Projektstudien unter Beteiligung der Europäischen Kommission gibt es aber schon.

Die Fülle der Anlagen ist nicht in erster Linie eine Folge von Konkurrenzdenken bei der Jagd auf die Raumzeit-Kräuselungen. Die Konkurrenz ist zugleich eine Kooperation. Die Forscher tauschen ihre Messdaten aus und haben bei den gleichzeitigen Kampagnen von LIGO, VIRGO und GEO600 eng zusammengearbeitet. Das ist auch notwendig. Denn es braucht mindestens zwei Detektoren, um Messfehler auszuschließen, und einen dritten, um die Richtung möglicher Quellen anzupeilen. Will man auch die Theorie der Gravitationswellen selbst testen – also die Allgemeine Relativitätstheorie gegenüber ihren Konkurrenten, die zusätzliche Formen von Gravitationswellen voraussagen –, ist noch ein vierter Detektor nötig. Daher werden Astronomie und Grundlagenphysik gleichermaßen von den Detektoren profitieren. Aber auch die Entwicklung hochpräziser und stabiler Laser sowie von optischen und elektronischen Geräten wird durch die Ingenieurskunst der Detektorbauer vorangetrieben.

Triumph für das wissenschaftliche Weltverständnis

Die Entdeckung ist ein großer Triumph für das wissenschaftliche Weltverständnis und die Erklärung des Universums weit über die alltäglichen Sinneswahrnehmungen hinaus. Einmal mehr haben Menschen gezeigt, dass das kritisch-rationale Nachdenken über die erfahrbare Welt zu kühnen, überprüfbaren Hypothesen führt (Einsteins Leistung), und dass diese mit raffinierten Experimenten sowie neuerdings auch mithilfe aufwendiger Modellrechnungen und Computersimulationen rigoros getestet und im günstigsten Fall bestätigt werden können (der Triumph der LIGO-Forscher). Die konstruktive Konkurrenz und Kooperation von Theorie und Erfahrung erschließt erfolgreich die Natur der Dinge – und seien diese noch so entlegen, extrem und unvorstellbar.

Hinweise:
Teile des Artikels basieren auf dem Buch Jenseits von Einsteins Universum des Autors. Darin wird auch die Allgemeine Relativitätstheorie ausführlich erklärt, ihre Geschichte und ihre modernen Überprüfungen und Konsequenzen für die Physik und Kosmologie.
Der erste direkte (!) Nachweis der Gravitationswellen, der gestern vom LIGO-Team verkündet wurde, ist ein Meilenstein in der Geschichte der Physik. Jeder Forscher – oder Liebhaber – der Relativitätstheorie wird den 11. Februar 2016 für immer in Erinnerung behalten. Allerdings hat kaum ein Physiker die Existenz der Wellen bezweifelt. Denn es gibt schon seit Jahrzehnten indirekte (!) Indizien dafür – und sogar bereits einen Physik-Nobelpreis. Im Kosmos ticken nämlich gleichsam Einstein-Uhren. Und ihr Pulsschlag verrät die Kräuselungen der Raumzeit ebenfalls. Darüber berichtet Rüdiger Vaas in der kommenden Ausgabe von bild der wissenschaft. Das März-Heft 2016 ist bereits gedruckt und ab 16. Februar, also kommenden Dienstag, am Kiosk oder über die bdw-Hompage erhältlich.