Astrophysiker haben erstmals Gravitationswellen direkt gemessen

Zitternde Raumzeit: Kollidierende Schwarze Löcher bestätigen Einsteins Idee

BERLIN. (hpd) Vor 100 Jahren hatte Albert Einstein die Existenz von Gravitationswellen vorausgesagt, die er aus seinen Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie ableitete, die er ein Jahr zuvor formuliert hatte. Nun ist es dem amerikanischen LIGO-Detektor gelungen, diese Kräuselungen der Raumzeit erstmals direkt zu messen. Sie stammen von der Kollision zweier Schwarzer Löcher mit der Masse von 29 beziehungsweise 36 Sonnenmassen – aus einer Entfernung von rund 1,3 Milliarden Lichtjahren. Die Entdeckung eröffnet einen neuen Zugang zum Universum und ist ein Triumph für die Theoretische Physik und die Experimentalphysik gleichermaßen.

Wäre Einstein noch am Leben, würde er kommenden Herbst wohl einen weiteren Physik-Nobelpreis erhalten. Jetzt aber sind die Experimentatoren auf der Shortlist. Denn ein rund tausendköpfiges Team aus 16 Ländern hat nach einem Vierteljahrhundert harter Arbeit ein neues Fenster zum Universum aufgestoßen. Die Physiker maßen erstmals direkt die Schwingungen der Raumzeit.

Dass die Raumzeit keine passive Bühne ist, auf der sich alle Dramen des Universums abspielen, ohne dass sie diese Bühne beeinflussen, sondern ein aktiver Mitspieler im Schauspiel der Welt, gehört zu den triumphalen Einsichten von Einstein. Wie Masse und Energie einerseits mit Raum und Zeit andererseits wechselwirken und die Schwerkraft sich als Krümmung der Raumzeit verstehen lässt, ist der Kern seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. Auch extreme Verdichtungen in der Raumzeit sind eine Konsequenz von Einsteins Feldgleichungen: die Schwarzen Löcher. Der Astrophysiker Karl Schwarzschild hatte sie ebenfalls erstmals vor genau 100 Jahren beschrieben. (Seine Berechnungen wurden aber erst später verstanden und der Name "Schwarze Loch" wurde erst in den 1960er-Jahren geprägt.)

Eine erschütternde Botschaft

Dass massereiche Körper, die sich umkreisen und kollidieren können, die Raumzeit selbst erschüttern, hat Einstein in einer kurzen Arbeit 1916 beschrieben sowie in einer zweiten im Jahr 1918, die diverse Rechenfehler der ersten korrigierte. Diese Gravitationswellen zu messen, ist aber eine gigantische Herausforderung. Denn die Kräuselungen der Raumzeit sind winzig klein – in der Größenordnung eines Tausendstel Atom-Durchmessers. Trotzdem ist es dem LIGO-Team jetzt gelungen, diese winzigen Verwerfungen im Gefüge des Alls mit dem Laser Interferometer Gravitational-wave Observatory (LIGO) in den USA nachzuweisen.

Die Gerüchteküche brodelte bereits seit September 2015. Jetzt aber ist es offiziell: Auf einer Pressekonferenz am 11. Februar 2016 um 16.34 Uhr MEZ im National Press Club in Washington, DC, verkündeten France Córdova, Direktorin der National Science Foundation, sowie David Reitze und Gabriela González von der LIGO-Kollaboration den lange herbeigesehnten wissenschaftlichen Durchbruch: die Messung von Gravitationswellen.

Das Signal – es hat den schlichten Datumsnamen GW150914 – wurde am 14. September 2015 um 11.50 Uhr und 45 Sekunden MESZ (9.50 Uhr Weltzeit) von LIGO gemessen. Es begann bei einer Frequenz um 35 Hertz und steigerte sich auf 250 Hertz (Schwingungen pro Sekunde). Es ließ sich auf den Bildschirmen schon mit bloßem Auge erkennen ließ (wenn man das nötige Wissen hat). Zuerst registrierte es der Detektor in Livingston in den Wäldern von Louisiana, 7 Millisekunden später dann der zweite gleicher Bauart in Hanford im US-Bundesstaat Washington.

Es dauerte aber Monate, bis das Signal ausgewertet und interpretiert war und sich alle möglichen Störquellen ausschließen ließen. Seine statistische Signifikanz beträgt 5,1 Sigma – das entspricht einer falschen Alarmrate von einem Ereignis alle 203.000 Jahre. (5 Sigma sind die Konvention für eine physikalische Entdeckung!) Der intensivste Teil des Signals dauerte nur 0,2 Sekunden und war in beiden Detektoren mit einem Signal-zu-Rauschen-Verhältnis von 24 gemessen worden – mehr als das Doppelte der üblichen Störquellen.

Die Forscher wollten ihre epochale Entdeckung nicht nur als Pressemitteilung verkünden, sondern gleich als einen begutachteten wissenschaftlichen Fachartikel veröffentlichen. Wie es guter wissenschaftlicher Brauch ist. Dieser Bericht ist bereits in den renommierten Physical Review Letters erschienen. Der Titel der Arbeit: "Observation of Gravitational Waves from a Binary Black Hole Merger".

Todestanz der Schwarzen Löcher

Letztes Jahr begann der LIGO-Detektor nach einem Upgrade wieder mit seinen Messungen – technisch stark verbessert und ein Mehrfaches empfindlicher. Advanced LIGO, wie das Detektorenpaar nun heißt, gelang der Durchbruch. Das Signal, das die beiden LIGO-Detektoren erhascht haben, stammt von der rasanten Annäherung und darauffolgenden Kollision zweier Schwarzer Löcher aus der gigantischen Entfernung von ungefähr 1,3 Milliarden Lichtjahren. (Im Forschungsbericht wird eine Unsicherheit von etwa plus/minus 500 Millionen Lichtjahre angegeben, bei 90 Prozent Konfidenz.) Den Ort konnte LIGO nur sehr grob eingrenzen. Er liegt innerhalb eines 600 Quadratgrad großen halbkreisförmigen Bogens in der Nähe der beiden Magellan’schen Wolken am Südhimmel.

Die Massen der beiden etwa 150 Kilometer großen Schwarzen Löcher wurden mit 36 und 29 Sonnenmassen errechnet und die Masse des verschmolzenen Objekts mit 62 Sonnenmassen. (Die Unsicherheit beträgt jeweils plus/minus vier Sonnenmassen.) Somit müssen drei Sonnenmassen (plus/minus eine halbe) in Form von Gravitationswellen abgestrahlt worden sein, sind also in Energie umgewandelt worden (36 + 29 = 65; 65 - 62 = 3). "Das ist der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen und die erste Beobachtung eines binary black hole merger", also einer Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher, schreibt das LIGO-Team in der Zusammenfassung ihres Fachartikels.

Die Schwarzen Löcher kreisten zuletzt mit der irrsinnigen Geschwindigkeit von der halben Lichtgeschwindigkeit umeinander. Dann kollidierten sie und verschmolzen zu einem einzigen, größeren Schwarzen Loch. Die Kollision, die lediglich eine halbe Sekunden dauerte, setzte in diesem Augenblick das 50-Fache der Energie aller Sterne im beobachtbaren Universum frei. Umgerechnet wurde eine Masse von ungefähr drei Sonnenmassen in Form von Gravitationswellen abgestrahlt. Auch das ist eine Bestätigung von Einsteins Relativitätstheorie, die die Äquivalenz von Energie E und Masse m in der berühmten Formel E = mc2 beschreibt (c ist die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit).

Das LIGO-Team konnte auch den finalen Spin (Drehimpuls) des Schwarzen Lochs bestimmen. Er beträgt 0,67 (eine dimensionslose Zahl). Das ist relativ hoch. 0 bedeutet kein Spin, 1 den theoretischen Maximalwert (bei dem das Schwarze Loch quasi lichtschnell rotieren würde – was aber strenggenommen eine unsinnige Aussage ist, weil es keinen Vergleichspunkt gibt, den der Raum um das Schwarze Loch ist nicht statisch, sondern wird quasi mit herumgezogen wie zäher Honig beim Umrühren).