Ein neuer Zugang zum All
"Wir haben ein neues Fenster zum All aufgestoßen", sagte David Reitze vom California Institute of Technology, der LIGO Executive Director, auf der Pressekonferenz. "Es ist das erste Mal, dass so etwas beobachtet wurde. Und es ist ein Beweis dafür, dass Doppelsysteme aus Schwarzen Löchern existieren." Auch Gabriela González, die Sprecherin der LIGO-Kollaboration, war begeistert. "Jetzt können wir das Universum buchstäblich hören. Bislang waren wir taub für Gravitationswellen. Nun hat das Universum zu uns gesprochen."
Weitere Teilnehmer an der Pressekonferenz – und mutmaßliche Nobelpreis-Kandidaten – waren Rainer Weiss vom Massachusetts Institute of Technologie (MIT) und Kip Thorne vom Caltech. Weiss hatte in den 1970er-Jahren die Methode von LIGO maßgeblich ersonnen, Thorne den Bau des Detektors entscheidend angeregt und gemanagt. Vor zwei Jahren wurde er als Koproduzent des Science-Fiction-Films "Interstellar" auch einem breiten Publikum bekannt – wie schon zuvor durch seine Forschungen über die Möglichkeit von Zeitreisen. Damit haben die Gravitationswellen aber nichts zu tun, wie er verschmitzt betonte. Und er sagte: "Das Signal war gerade so stark, dass wir es mit den technisch aufgerüsteten Detektoren nachweisen konnten, bei der dreifachen Empfindlichkeit des Vorgängers. Es war ein Geschenk der Natur."
Neue astronomische Erkenntnisse
LIGOs Messungen lässt auch bereits erste astronomische Rückschlüsse zu. Das hat das Forscherteam in einem zweiten Fachartikel ausgeführt, der kurz nach der – ebenfalls begutachtet – in den renommierten Astrophysical Journal Letters erscheint und auch schon im Internet freigeschaltet wurde: "Astrophysical Implications of the Binary Black Hole Merger GW150914". Denn nicht nur die Tatsache, dass erstmals der direkte Nachweis der Gravitationswellen gelang, ist ein Meilenstein der Experimentalphysik. Auch das Studium der astronomischen Auslöser dieser Wellen bedeutet einen großen Erkenntnisgewinn.
• Sieht man von sehr unrealistischen Zusatzannahmen ab, sind LIGOs Messungen das beste indirekte Indiz für die Existenz Schwarzer Löcher. (Absolute Sicherheit hat man noch nicht – und sowieso nie in der Wissenschaft.)
• Mehr noch: GW150914 belegt, dass es stellare Schwarze Löcher mit über 25 Sonnenmassen gibt. Das ließ sich aus den bisherigen indirekten astronomischen Indizien (Bewegungen von Sternen um einen unsichtbaren Begleiter) nicht erschließen, da hier die Masse der Schwarzen Löcher geringer war.
• Folglich sind die Sternwinde bei Riesensternen, die zu einer Supernova werden, nachdem ihr Kern zu einem Schwarzen Loch kollabiert ist, nicht so stark, dass derart massereiche Schwarze Löcher unmöglich entstehen können. Das war bislang nicht klar. Manche Modelle schlossen es sogar aus.
• Widerlegt sind auch Modelle, die enge Paare Schwarzer Löcher bezweifelten, weil argumentiert wurde, dass eine Supernova in einem Doppelstern-System einen so großen Kick (Rückstoß) erzeugt, dass das System auseinander fliegt.
• Noch unklar ist, ob die Schwarzen Löcher von GW150914 in der Frühzeit des Universums entstanden sind und sich im Lauf von Jahrmilliarden angenähert haben, oder ob sich das System relativ kurz vor der Kollision gebildet hat. Fest steht, dass die Vorläufersterne nur wenig schwerere Elemente als Wasserstoff und Helium besaßen, sonst hätten sie nicht so massereiche Schwarze Löcher erzeugen können. Das spricht für eine frühe Entstehung im Universum und ein langsames Aufeinander-zu-spiralisieren. Allerdings gibt es auch kleine jüngere Galaxien ohne viel schwerere Elemente.
Lehren von LIGO: Was Gravitationswellen künftig verraten können
Gegenwärtig sind die Physiker und Astronomen im Freudentaumel. Weltweit hagelte es Gratulationen und Pressemitteilungen. "Die Messungen von aLIGO bestätigen, was unsere Modellrechnungen und Computersimulationen nahe legten – Einstein hatte Recht", resümiert Christopher Fryer vom Los Alamos National Laboratory. "LIGOs Bekanntmachung ist eine der größten wissenschaftlichen Entdeckungen der letzten 50 Jahre", sagt Saul Teukolsky von der amerikanischen Cornell University, der sich ebenfalls seit vielen Jahren mit der Simulation der Kollision von Schwarzen Löchern beschäftigt. "Es ist eine völlig neue Art von Astronomie", betont Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. "Sie gibt uns Ohren für das Universum wo wir zuvor nur Augen hatten."
Fast alles, was Astronomen vom Universum wissen, basiert auf der elektromagnetischen Strahlung von den Radiowellen bis zur Gammastrahlung. (Hinzu kommen noch Partikel der Kosmischen Strahlung und Neutrinos.) Gravitationswellen sind ein völlig neues Medium, das sich zudem ungehindert durch Materie fortpflanzt. Die Gravitationswellen-Astronomie ist daher ein völlig neuer Blick auf die Welt. Er lässt sich nur vergleichen mit der Erfindung der optischen Teleskope. Als Galileo Galilei 1609 erstmals mit einem Linsenfernrohr in den Himmel spähte, hatte das alsbald eine Weltbild-Revolution zur Folge. Es leitete das Ende des dogmatischen mittelalterlichen geschlossenen Weltbilds ein und brach der Aufklärung und modernen Naturwissenschaft Bahn.
Welche Überraschungen der Gravitationswellen-Himmel parat hat, lässt sich schwerlich ermessen. Denn fast immer, wenn neue Beobachtungsmethoden etabliert wurden, kam es zu großen Überraschungen. "Erwarte das Unerwartete", sollte (mit Heraklit) daher der Slogan der Grundlagenforschung lauten. Allerdings haben die Physiker auch genaue Vorstellungen von dem, was LIGO künftig messen könnte. Es ist ja nicht bloß ein Blick ins Unbekannte sondern auch ein riesiges Testfeld für die etablierten Vorstellungen und für spekulative Hypothesen.
Und so wollen Astrophysiker mithilfe von Gravitationswellen künftig zahlreiche Fragen beantworten.
• Breitet sich die Schwerkraft wirklich mit Lichtgeschwindigkeit aus (wie von Einstein vorhergesagt)? Oder besitzt sie "Überträgerteilchen" (wie von spekulativen Quantengravitationstheorien angenommen)? Und haben diese Gravitonen dann womöglich eine winzige Ruhemasse? Dann wären sie geringfügig langsamer als elektromagnetische Strahlung. (LIGOs erste Messung kann bereits eine Obergrenze der Gravitonen-Masse angeben: lediglich 10 hoch minus 22 Elektronenvolt dividiert durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit, was die bisherigen Grenzwerte durch Messungen im Sonnensystem schon signifikant übertrifft.)
• Hatte Einstein wirklich Recht? Der Allgemeinen Relativitätstheorie zufolge kann es nur zwei Arten von Gravitationswellen geben. Konkurrierende Gravitationstheorien sagen hingegen die Existenz von bis zu vier weiteren "Polarisationen" voraus. Würde man nur eine davon messen, wäre Einsteins Jahrhundertwerk unrettbar widerlegt.
• Was geschieht bei einer Supernova? Der Kernkollaps ausgebrannter Riesensterne zu einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch erzeugt ebenfalls Gravitationswellen. Gelänge ihr Nachweis, würde man mehr über diesen brachialen Vorgang lernen.
• Wie rund sind Neutronensterne? Selbst wenige Millimeter kleine Berge auf der Eisenkruste dieser kompakten, nur etwa 20 Kilometer großen Sternleichen mit der Masse von 1,5 bis 2 Sonnenmassen würden schon zu einer "Unwucht" führen, die mit der Abstrahlung von Gravitationswellen einhergeht.
• Welche Arten von Schwarzen Löchern gibt es und wie sind ihre Eigenschaften verteilt?
• Gilt das "Keine-Haare-Theorem", wonach alle Schwarzen Löcher sich äußerst ähnlich sind? Wenn die Allgemeine Relativitätstheorie stimmt, lassen sie sich vollständig (!) durch nur drei Eigenschaften beschreiben: Masse, Drehimpuls und elektrische Ladung (die in der Regel 0 ist).
• Wie schnell dehnt sich das Universum aus? Ein Vergleich von Gravitationswellen-Quellen mit optischen Gegenstücken, etwa Gammablitzen oder fernen Supernovae, könnte eine neue Entfernungsmessung etablieren. Mit ihr ließe sich die Expansionsrate des Weltraums auf eine neue und vielleicht genauere Weise errechnen als mit herkömmlichen Methoden.
• Gibt es die Kosmischen Strings? Diese fadenartigen Strukturen aus einem "falschen Vakuum" sind eine spekulative Hypothese. Würden die Strings knicken, zerreißen oder untereinander wechselwirken, hätte das charakteristische Gravitationswellensignale zur Folge.
• Was geschah im ersten Sekundenbruchteil des Urknalls? Auch dabei sind Gravitationswellen entstanden. Für deren Frequenzen ist LIGO allerdings nicht empfindlich. Doch Astrophysiker haben andere Ideen und Methoden, diese Signale vom Anfang unseres Universums aufzuspüren. Wann wird es gelingen?
Nach der fulminanten Premiere von LIGO dürften weitere Entdeckungen nicht allzu lange auf sich warten lassen. Tatsächlich gibt es schon Hinweise auf ein zweites Ereignis. Es könnte ebenfalls von einer Kollision zweier Schwarzer Löcher stammen, wie Emanuele Berti von der University of Mississippi verriet.
Wie LIGO funktioniert – und warum das alles so schwierig ist
Obwohl der Nachweis der Gravitationswellen in der Theorie einfach ist – benötigt wird nur eine Testmasse und ein Messgerät für die Vibrationen –, erscheint er in der Praxis also beinahe unmöglich. Dennoch sind die als "Beams" bezeichneten Laser-Interferometer-Detektoren dazu in der Lage. Die Idee geht auf die russischen Physiker Mikhail Gertsenshtein und Vladislav I. Pustovoit zurück, die sie 1962 publizierten. Unabhängig davon schlug sie 1972 auch Rainer Weiss vom MIT vor und startete damit die Entwicklung. (Der in Berlin geborene Physiker trug übrigens auch maßgeblich zur Erforschung der Kosmischen Hintergrundstrahlung mit dem COBE-Satelliten bei, dem Cosmic Background Explorer.) Den ersten Prototyp haben Robert Forward und seine Kollegen in den 1970er-Jahren an den Hughes Research Laboratories im kalifornischen Malibu gebaut. Weitere Testanlagen folgten in den 1980er-Jahren am Caltech, an den Universitäten Glasgow und Tokio sowie am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München.
"Drei Massen hängen erschütterungsfrei an den Endpunkten und dem Eckpunkt einer L-förmigen Vorrichtung", erläutert Kip Thorne das Messprinzip. "Wenn eine Gravitationswelle von oben oder unten durch die Anlage läuft, werden die beiden Strecken des L abwechselnd gedehnt und gestaucht. Die Längendifferenzen können mit Interferometrie gemessen werden." Dabei jagt ein Laserstrahl durch einen Strahlteiler, der auf der Eckmasse in der Mitte der L-förmigen Konstruktion angebracht ist. Der Strahlteiler spaltet den Strahl, indem er nur die Hälfte der Photonen durchlässt, die andere ablenkt. Die beiden Strahlen laufen durch die Vakuumröhren entlang der beiden Schenkel des L und werden an ihrem Ende von Spiegeln, die an den Testmassen befestigt sind, zum Strahlteiler zurückgeworfen. Ein Teil des Lichts gelangt dann in einen Photodetektor. Die Anlage ist so eingestellt, dass sich die überlagernden Laserstrahlen im Photodetektor durch Interferenz gerade auslöschen. Verändert eine Gravitationswelle die Abstände zwischen den Testmassen vorübergehend geringfügig, ändert sich auch das Interferenzmuster. Dann gelangt ein Teil des Laserstrahls in den Detektor und erlaubt Rückschlüsse über die Veränderung der Messstrecke.
Das Prinzip ist also dasselbe wie beim Michelson-Morley-Interferometer, mit dem Ende des 19. Jahrhunderts – vergeblich – nach dem Lichtäther gesucht wurde. Nur galt damals der Raum als absolut unveränderlich, während die Lichtgeschwindigkeit als variabel angenommen wurde. Heute ist es genau umgekehrt. Durch kilometerlange L-Schenkel sowie ein vielfaches Hinundherreflektieren der Laserstrahlen kann die Messstrecke viel größer gewählt werden als bei den Zylindern. Dadurch lässt sich die Empfindlichkeit beträchtlich steigern. Und die Interferometer haben noch einen weiteren Vorteil: "Zylinder sprechen nur auf Gravitationswellen einer engen Bandbreite an, sodass ein Xylophon vieler verschiedener Zylinder notwendig wäre, um das gesamte Spektrum der Gravitationswellen zu empfangen", beschreibt es Thorne. "Die Testmassen eines Interferometers auf der Erde reagieren dagegen auf alle Frequenzen von mehr als einer Schwingung pro Sekunde mit einer leichten Pendelbewegung, sodass das Interferometer eine große Bandbreite besitzt und drei oder vier solche Instrumente ausreichen, um die Symphonie der Gravitationswellen vollständig aufzufangen."
9 Kommentare
Kommentare
Sven Schultze am Permanenter Link
Cool, Rüdiger Vaas schreibt für den hpd! Super Beitrag: gut zu lesen, spannend und kenntnisreich. Vielen Dank.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Rumms.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Was für eine großartige Leistung. Ich gestehe, dass ich mich am Donnerstag voriger Woche richtig gefreut habe, fast wie ein Fußballfan...
Als nächstes werden sich zweifellos die Esoteriker über die Graviwellen hermachen. Im Stern gabs schon ein Frage-Antwort-Spiel, bei dem versichert wurde, man brauche keine Angst vor der Verursachung von Krankheiten durch Gravitationswellen zu haben...
Wobei natürlich ohnehin außer Betracht blieb, dass die Graviwellen nicht erfunden, sondern entdeckt wurden.
Sven am Permanenter Link
Danke an Hr. Vaas für diesen ausführlichen, verständlichen Artikel!
Rüdiger Vaas am Permanenter Link
Ja, sorry! AtomKERNdurchmesser war gemeint; oder Protonendurchmesser.
Also konkret: 1 zu 10^-21
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Danke für diesen interessanten Beitrag!
Für einen interessierten Laien wie mich hat er genau die richtige Länge und Genauigkeit (bzw. Undetailliertheit) in der Darstellung.
Im Übrigen ist diese Messung ja keine neue Erkenntnis, sondern, wie die Überschrift richtig sagt, eine Bestätigung einer alten Idee. Ich freue mich aber darauf, dass aufgrund dieser (und jetzt sicher bald vieler folgender) Messungen bald viele wirklich neue Erkenntnisse über das Universum folgen werden.
Rüdiger Vaas am Permanenter Link
Doch, seismische Störungen sind ein großes Problem. Aktive Gegensteuerungselemente können das aber wirkungsvoll ausgleichen.
Der japanische Detektor (vielleicht 2019 betriebsbereit) wird übrigens unterirdisch gebaut und soll weniger den seismischen Störungen unterliegen.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Danke für die prompte informative Antwort!
Martin Weidner am Permanenter Link
Dies ist mit Abstand der beste Artikel zu dem Thema, den ich seit dem 11. 2. gelesen habe. Vielen Dank!