Interview mit Davis Mac-Iyalla

"Die Freiheit in Deutschland ist die Hoffnung der Schwulen in Nigeria."

BERLIN. (hpd/pre) In Nigeria, wie in vielen Afrikanischen Ländern, werden homosexuelle Handlungen mit langen Gefängnisstrafen oder sogar mit dem Tod bestraft. Kirchen spielen eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung anti-homosexueller Stimmungen und Lynchjustiz.

Während in Europa Religion nur eine geringe Rolle im Alltagsleben spielt, sind die Kirchen in Afrika einflussreich und boomen. Die Menschen gehen regelmäßig zur Messe und spenden Geld, wobei viele nicht ihr Seelenheil suchen, sondern eher einen wundersamen Reichtum über Nacht.

Auf einem Kontinent, auf dem frühere Fußballspieler oder Musikstars als zweite Karrierelaufbahn ihre eigene Kongregation gründen, zeigt dieses Überangebot den trivialen Aspekt des Glaubens und mag den Anfang seines Endes vorzeichnen. Man könnte sich fragen, was diese betrügerischen Pastoren und Megakirchen mit Spiritualität zu tun haben, und ob der Glaube vielleicht nicht mehr ist als ein Geschäft.

Davis Mac-Iyalla ist ein Nigerianischer Aktivist für die Rechte der Schwulen und ein Laienpriester, was schon wie ein Widerspruch in sich klingt. Er wurde getauft, sang im Chor und wurde zum Ordensträger der Anglikanischen Kirche ernannt. Dass er immer noch der Organisation angehört, die am meisten dafür verantwortlich ist, Individuen wie ihn zu Monstern zu stilisieren und homophobe Gewalt zu schüren, scheint, wie er selbst sagt, ein wenig widersprüchlich.

Überdrüssig, seine eigene Sexualität zu verbergen, welche ohnehin ein offenes Geheimnis war, erzählte er seine Wahrheit 2003 im nationalen Fernsehen und begann, für Schwulenrechte einzutreten. Da er ein stolzer Kalabari und Träger seines kulturellen Erbes war, konnte sein Aktivismus für die Rechte von LGBT nicht einfach als eine Attacke auf traditionelle Werte missinterpretiert werden. Sein öffentliches Coming-out entlarvte auch die falsche Behauptung, es gäbe keine Schwulen in Nigeria und zeigte deutlich ihre Existenz. Seitdem hat er unaufhörlich für die Menschenrechte gekämpft, hält Vorträge bei Konferenzen und predigt in den Kirchen, die ihm das erlaubten. “Einen Dialog zu unterstützen, ist immer ein guter Anfang”, erklärt er. “Ohne Kommunikation kann die Tür für mögliche Veränderungen niemals geöffnet werden.”

LGBT in Nigeria sind Opfer von psychologischer, ökonomischer und physischer Gewalt

“Wenn Du Dich als ein Schwuler in Nigeria zu erkennen gibst, bist Du ein Aussätziger, Du wirst isoliert und Deine Familie wird sich von Dir abwenden, genauso wie Freunde, Lehrer, Deine Kirchengemeinde.” Aber viele haben auch den Verlust ihres Einkommens zu verkraften. Sie verlieren ihre Jobs und werden von ihren Eltern enteignet. Dieses große Problem werde nur selten angegangen von Organisationen, die LGBT helfen wollen, sagt Mac-Iyalla. Nur eine kleine Anzahl gäbe ökonomische Unterstützung. “Du musst Homosexuelle dazu befähigen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, um sie zu befähigen, ihre Menschenrechte zu verteidigen.”

Ein anderes Thema, so erklärt er, sei, dass man keinen Zugang zum Gesundheitssystem mehr habe, was wirklich lebensgefährdend ist, wenn man an HIV oder anderen ansteckenden Krankheiten leide. “Das ist so, weil Du stigmatisiert und kriminalisiert wirst.”

Afrikanische Identitätskrise als Ursprung der Homophobie

“In Afrika haben wir unsere Identität verloren. Was die Leute als ihre Afrikanische Identität bezeichnen, ist eigentlich das, was uns die Kolonialmächte gebracht haben. Wir haben nicht genug Daten oder Informationen darüber, was wir verloren haben. Afrikaner sollten sich ihrer Identität bewusst werden, sie sollten ihre Kultur, ihre Stimme wieder einfordern.” Weiter sagt er, dass, als die Europäer Afrika eroberten, sie ihre moralischen Werte den Afrikanern aufgezwungen und das Britische, Französische oder welches Gesetz auch immer eingeführt haben, welches in dieser Zeit gleichgeschlechtliche Beziehungen verboten hat, genauso wie andere Praktiken zum Beispiel Polygamie.

Erst 1992 strich die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität von ihrer Liste der international anerkannten Krankheiten. Während LGBT Aktivist/innen in den Ländern der ehemaligen Kolonialherren einen langen Kampf auf sich nahmen und erst vor einigen Jahrzehnten – die Briten in den späten Sechzigern und andere folgten später – die Änderung der Gesetze erreichten, damit ihre sexuelle Orientierung toleriert wird, verblieben Afrikanische Länder mit der Gesetzgebung aus kolonialen Zeiten. “Heute redet man in Europa darüber, ob man homosexuellen Paaren erlaubt, Kindern zu adoptieren, während in Nigeria Homosexualität immer noch mit dem Gefängnis oder sogar mit dem Tod bestraft wird.”

In dem Versuch, die irrationalen Ängste des Durchschnitts-Afrikaners zu erklären, sagt er: “Viele Afrikaner denken, dass, wenn Homosexualität erstmal erlaubt wird, es keine Fortpflanzung mehr geben wird, Familien auseinander brechen werden und die Welt untergehen wird.”

“Ich bin Christ der Anglikanischen Kirche, Ich habe die Bibel intensiv studiert und ich will betonen, dass darin nirgendwo etwas über ein Verbot homosexueller Liebe steht. Kein Bischoff konnte mir jemals verraten, wo das geschrieben steht. Es gibt Zitate, welche bestimmte Praktiken verbieten oder männliche Prostitution, aber sie sprechen nicht über Homosexualität als solche.”

“Wir wissen alle, dass es zahlreiche Textstellen in der Bibel gibt, die Sklaverei und Diskriminierung von Frauen befürworten, oder Bestrafung von Handlungen, die wir nicht länger als Tabu oder Verbrechen ansehen. Das gute Buch als eine Anklageschrift gegen LGBT zu verwenden, ist die größte Blasphemie”, schreibt er in seiner Autobiographie “FIYABO (Überlebender)”, welche im Juni dieses Jahres veröffentlicht wurde.

Gefragt, was das Thema der Homosexualität eigentlich so hochgekocht hat in den letzten zehn Jahren, speziell in Afrika, argumentiert Mac-Iyalla, es sei sogar möglich, ein exaktes Datum zu benennen: "1998 fand die 13. Lambeth Konferenz der weltweiten Anglikanischen Kirchengemeinde statt. In dieser Konferenz wurde versucht, eine gemeinsame Position bezüglich der Homosexualität zu definieren. Aber es konnte kein Konsens unter den Kirchenmitgliedern gefunden werden, da die Afrikanischen Bischöfe sagten: ‘Nein’, es gäbe so etwas wie Homosexualität nicht in Afrika.

Diese Debatte über Homosexualität hätte auch gut die Anglikanische Kirche spalten können, weil es innerhalb des Klerus viele Unterstützer gibt“, sagt er. ”Ich, als ein Mitglied der Anglikanischen Kirche und ein Laienpriester zu dieser Zeit, mir meiner sexuellen Orientierung bewusst, entschied 2003, dass ich es nicht länger hinnehmen kann."

“Jemand musste das tun”, kommentiert er sein mutiges Coming-Out im landesweiten Fernsehen, woraufhin er seinen Job als Schuldirektor verlor. Die Nigerianische Anglikanische Kirche veröffentlichte eine Gegenerklärung und startete eine Schmierenkampagne. Bald erhielt er zahlreiche Morddrohungen und wurde auf offener Straße mit dem Messer attackiert. 2008 schließlich bat er um Asyl in Großbritannien, da sein Leben in Gefahr war.

“Ich hoffe, ein positives Beispiel zu sein und ein Selbstvertrauens-Motor für junge Schwule, die sogar daran zweifeln, ob sie überhaupt Menschen sind. Wir brauchen Vorbilder.” Dadurch, dass er offen und mit Stolz schwul lebe, hoffe er, den Vorurteilen zu begegnen. “Ich habe zum Beispiel hohe moralische Standards, was meine Sexualität betrifft. Schwul sein heißt nicht, dass ich häufig den Partner wechsele. Sex ist etwas Heiliges. Ich möchte nicht mit jedem, den ich sehe Sex haben.”