BERLIN. (hpd) Wie hat sich der jihadistische Salafismus in Syrien in den vergangenen zwei Jahren entwickelt? Welche Hauptströmungen gibt es und wie stehen sie zueinander? Ghiath Bilal mit einer Einschätzung der Situation in Syrien.
Dieser Artikel befasst sich mit dem Jihad-Salafismus während der letzten beiden Jahre in Syrien. Vor knapp zwei Jahren ging es bei einem Artikel von mir darum, wie die al-Qaida sich in Syrien spaltete, und aus ihr direkt die beiden Organisationen IS (Islamischer Staat) und die Nusra Front geboren wurden. Ich habe aufgezeigt, wo es um Konkurrenz um Ressourcen und personellen Zulauf ging, und den ideologischen Wandel beleuchtet, den al-Qaida-Führer der ersten Generation durchliefen, etwa Abu-Khaled al-Suri, Zawahiris Delegierter in Syrien. Er war damit beauftragt worden, die Streitigkeiten zwischen Abu Bakr al-Baghdadis Islamischem Staat (IS) und Abu Mohammed al-Julanis Nusra-Front zu beenden. Als er beschloss, der IS solle entweder Syrien verlassen oder sich den Nusra-Brigaden unterordnen, wies Baghdadi dies zurück. Die Folge waren Liquidierungskriege zwischen den islamischen Fraktionen wie al-Nusra auf der einen und dem IS auf der anderen Seite.
Meine Analyse endete damals mit der Schlussfolgerung, dass der globale jihadistische Salafismus eine strukturelle Krise durchlebt – und das, obwohl es in Syrien wohl die Gelegenheit für seine Expansion gegeben hätte. Interne, radikale und blutige Differenzen haben diese jedoch verhindert. Die Überheblichkeit der jihadistischen Salafisten, das islamische Wissen für sich gepachtet zu haben, gepaart mit der Neigung, jede politische Auseinandersetzung zu einer religiösen zu machen, hat dazu geführt, dass aus den Freunden von gestern die Feinde von heute wurden. Der vorliegende Artikel beleuchtet den Wandel des Jihad-Salafismus während der letzten beiden Jahre in Syrien. Dazu werden wir uns die unterschiedlichen Strömungen und Gruppierungen innerhalb seines Einflussbereiches und ihre verschiedenen ideologischen Ausprägungen ansehen. Aber zunächst zu ihrem gemeinsamen historischen Hintergrund.
Die Hauptströmungen der Salafistischen Glaubensrichtung
Muhammad ibn Abd al-Wahhab gilt als Begründer der religiösen Lehre des Salafismus, die als geistige Quelle für sämtliche salafistische Strömungen in der islamischen und arabischen Welt dient. Politische Unterstützung erhielt er im Jahre 1744 von Muhammad ibn Saud, dem Emir von Diriyya in Nadschd (Landschaft im Inneren der arabischen Halbinsel im heutigen Saudi-Arabien). Bei sämtlichen Gebieten, die heute zum saudischen Königreich zählen, handelte es sich damals entweder um lose Orte, in denen Nomadenstämme lebten und Stammesführer das Sagen hatten oder um autonome Städte, die von Emiren beherrscht wurden. Ein gegenseitiges Bekriegen sämtlicher Machthaber stand auf der Tagesordnung. Ein gegenseitiger Treueeid versetzte Muhammad ibn Abd al-Wahhab und Muhammad ibn Saud in die Lage, sich eine starke Basis in Nadschd aufzubauen, von der aus sie die salafistische Lehre mit Waffengewalt auf dem Gebiet des heutigen Saudi-Arabien verbreiteten. Die Anhänger dieser Lehre wurden fortan in- und außerhalb der islamischen Welt als "Wahhabiten" bezeichnet.
Die salafistische Lehre lehnt es ab, die Aussagen des islamischen Rechts, die sich aus Koran und Hadith ableiten, fortzuentwickeln und veränderten Zeiten und Umständen anzupassen. Die möglichst wortgetreue Umsetzung islamischer Quellen aus der Zeit des Propheten Muhammad steht im Mittelpunkt. Alles, was keine Wurzeln im "goldenen Zeitalter" des Islam hat, wird abgelehnt. Demnach wird jegliche "Neuerung" nicht gestattet. Diese Lehre kann mit den zahlreichen christlich-fundamentalistischen Strömungen in Europa und Amerika verglichen werden, die an die ursprüngliche heilige Schrift in ihrer Reinform glauben und deren Glaubensgrundsätze starr und unverändert bleiben. Die salafistische Lehre lässt sich in zwei Hauptströmungen unterteilen:
Der traditionelle Salafismus
Dieser gilt als Fortführung der Lehre des Muhammad ibn Abd al-Wahhab. Einige Wissenschaftler nennen sie auch "Nadschader Salafismus". Die Folgen des hier zugrundeliegenden buchstabengetreuen Koranverständnisses ohne jegliche Anpassungen sind u.a. befremdliche Fatwas (Rechtsprechungen), etwa vom saudischen Großmufti Abdulaziz Al al-Sheikh, der Anfang dieses Jahres (2016) das Schachspielen als unislamisch und verboten erklärte, oder diverse andere Fatwas, die den Frauen das Autofahren untersagen. So werden etliche Moden und Entwicklungen bekämpft, indem man sie einfach für "Neuerungen" erklärt, mit der Begründung, sie hätten während des goldenen Zeitalters des Islams nicht existiert oder stünden im Gegensatz zu den Wertvorstellungen des goldenen Zeitalters des Islams.
2 Kommentare
Kommentare
David am Permanenter Link
Interessante Analyse.
Klemens am Permanenter Link
Kann man den religiösen Kriegstreibern, die den Koran und die Hadithen, buchstabengetreu auslegen, nicht mal sagen, dass sie dann auch die damaligen Waffen verwenden müssen...