BERLIN. (hpd) Keine Kirchensteuer mehr! Dass ein Politiker solch eine Forderung wieder einmal laut ausspricht. Darauf haben wir lange gewartet. Doch was tun, wenn diese Parole ausgerechnet aus den Reihen der AfD kommt? Beatrix von Storch, die zuerst auf Kinder an den Grenzen schießen lassen wollte, dann doch nur auf die Frauen – und die hinter den Kulissen die federführende Triebkraft für das Anti-Islam-Parteiprogramm gewesen sein soll, das kürzlich erst auf dem Parteitag beschlossen wurde, ausgerechnet sie ist es, die nun argumentiert, dass die Kirchen ihre Steuern gefälligst selbst eintreiben sollen.
Man könnte nun triumphieren, hört sich das doch alles nach einer areligiösen Partei an, die auf der einen Seite Minarette und den Muezzin als Machtsymbole des Islam ablehnt, andererseits den Staat verdonnern will, die Privilegien des Christentums aus Artikel 140 Grundgesetz langsam, aber sicher abzuschaffen. Daneben möchte sie auch keine Beschneidungen mehr tolerieren, kein Schächten und keine religiösen Rituale, die mit hiesigen Gesetzen nur durch Umwege vereinbar sind. Juden, Muslime, Christen, eigentlich alle müssen bluten, wenn man die Entwicklung der "Alternative für Deutschland" in den letzten Monaten so betrachtet. Doch ist sie damit tatsächlich eine säkulare Kraft, der man als Atheist, Konfessionsloser oder Freidenker guten Gewissens seine Stimme geben kann?
Wer Kirchensteuer zahlt, ist noch nicht automatisch ein guter Christ – das hat spätestens Luther gelehrt. Und so ist auch noch kein guter Humanist, wer allein auf den Populismus hört, den selbst manch Atheist als lautes Geschrei in die Massen wirft. Denn eine Stärke hat die AfD: Taktisch klug erfasst sie eine nach der nächsten gesellschaftlichen Schicht, ohne sich dabei bei oberflächlichem Hinsehen selbst zu widersprechen. Denn es sind nicht die klassische Anhänger der römisch-katholischen Kirche oder der evangelischen Landeskirchen, die die „Alternative“ in ihren Reihen weiß – und um dessen Zustimmung sie fürchten müsste, würde sie sich nun mit Bischöfen und Finanzreferenten um die Taler anlegen.
Die meist evangelikalen Anhänger der AfD stören solche Parolen um die Kirchensteuer nicht, wird sie in den Freikirchen ohnehin nicht über das öffentliche Abgabensystem erhoben. Und die "Wutbürger", die scheinen mittlerweile derart in Rage gegenüber dem Staat, dass sie alles unterstützen würden, was gegen ihn gesagt wird – und vergessen dabei nicht nur, ob sie selbst noch einer Kirche angehören, sondern auch, dass die Haltung der Partei die Finanzbehörden gar noch entlasten würde. Gleichzeitig öffnet die "Alternative" die Arme für ein neues Klientel: Ob nun freiheitsliebend, kirchenkritisch oder schlichtweg nur noch verbittert – mit Positionen wie der zur Kirchensteuer, zum betäubungslosen Schlachten von Tieren oder Gebetstürmen von islamischen Gotteshäusern verkörpert die AfD eine "Revolution", wie sie selbst es sagt.
Es mag den Anschein von "mehr Staat" haben, wenn "weniger Religion" die Realpolitik von Petry und von Storch prägt. Ihre Partei will einen anderen Staat – in der abendländischen Tradition, von christlichen Werten umringt, von „vor 68er-Kultur“ getragen. Ein wahlloses Durcheinander von scheinbaren Anreizen an die säkulare Wählerschaft ist dabei ein eher durchsichtiger Versuch, neue Strukturen an sich zu binden. Die AfD vertraut darauf, dass ihre Mitglieder und Unterstützer nicht so genau hinterfragen, wofür die Partei im Zweifel denn tatsächlich steht. Da würde am Schluss doch wenig übrig bleiben von dem, was ein humanistischer Anhänger von einer politischen Kraft erwartet, die aus Überzeugung Menschlichkeit lebt. Schließlich ist auch nicht alles säkular, was danach aussieht oder entsprechend stümperhaft angeboten wird.
Denn um den Menschen geht es der "Alternative für Deutschland" kaum. Von Toleranz lese ich im Parteiprogramm wenig, viel eher etwas davon, dass die sozial Schwachen mit der AfD bald keinerlei Unterstützung mehr erfahren dürften. Von Freiheitrechten, wie sie der Humanismus kennt, fehlt ebenso viel wie von wirtschaftlichem Profit auch für den kleinen Geldbeutel. Eher von Härte der Justiz erfahre ich etwas, auch von Deutschland und den Deutschen, von Stärkung europäischer Grenzen und gnadenlosem Durchboxen eines strengeren Asylrechts. Doch Menschlichkeit endet eben nicht dort, wo nach Wunsch der AfD bewaffnete Wachposten stehen sollten, wo "Hartz IV" am liebsten für alle wegfallen würde, die es ohnehin am nötigsten hätten, wo man mit Freude den Knüppel auch gegen den Kleinkriminellen richtet, um die Stärke der Polizei unter Beweis zu stellen.
Abgesehen davon: Wo wird der Gedanke, der bei der Abschaffung der Kirchensteuer aufgenommen wird, von der AfD weitergesponnen? Wenn es der Partei tatsächlich um ein säkulares Programm ginge: Wo ist die Substanz, auf dem diese Fetzen von angeblichem Laizismus stehen? Wo ist das notwendige Bekenntnis zum Grundgesetz, das eine diffizile Abwägung zwischen Glaubens- und Religionsfreiheit einerseits, der menschlichen Würde eines Jeden andererseits, notwendig macht? Dadurch, dass auf dem nächsten Steuerbescheid die Kirchensteuer nicht mehr ausgewiesen ist, verändert sich unser Land nicht in Richtung eines humanistischen. Freidenkertum bedeutet nicht, mit Freiheit spielen zu dürfen. Säkularismus ist nicht das willkürliche Eingreifen des Staates gegenüber der Religion. Es braucht schon mehr als einen zusammenhanglosen Versuch des Verlockens, mehr als einen Köder, den die AfD auswirft. Er endet im Nichts und ist nur Anziehungspunkt für denjenigen, der sich fangen lässt. Ich hoffe, wir beißen nicht zu.
11 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Die afd hat m.E. überhaupt keine Stärke; auch diese ködernde Bauernfängerei ist keine solche.
Ulrich Handte am Permanenter Link
Genau das waren auch meine Erfahrungen, die Ich während meiner Recherchen vor der Landtagswahl machte, als der hiessige Kreisvorsitzende plötzlich bei einem Informationsgespräch von christlicher Nächstenliebe anfing z
Kay Krause am Permanenter Link
Abgesehen davon, dass die AfD mit täglich wechselnden populistischen Schlagworten in den Medien in Erscheinung tritt, muß hier wohl etwas korrigiert werden: Schluß mit der vom Staat eingetriebenen Kirchensteuer
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Man kann die AfD mögen oder nicht mögen (ich mag sie nicht), aber bei Abschaffung der Kirchensteuer und Kirchenprivilegian hat sie Recht.
Hans Trutnau am Permanenter Link
NEIN, Konrad Schiemert; das ist grottig schlechte Trittbrettfahrerei und Bauernfängerei. Und der Rest des gesamten Programms ist größtenteils brandgefährlich.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Trutnau,
ich bin skeptisch. Ich glaube nicht, dass in einer Volksabstimmung über die Abschaffung der Kirchenprivilegien und Kirchensteuer eine Mehrheit zusammenkommen würde. Deswegen denke ich nicht, dass dieses Programmpunkt weder der AfD noch (leider) der PdH viele Stimmen bringen wird. So sehe ich das nicht als Bauernfängerei.
Was den Rest des AfD-Programms betrifft: Ich habe es nicht gelesen, darf und kann also nichts darüber sagen.
Was die von Ihnen vorgeschlagene PhD-Seite betriefft: Kann ich alles unterstützen, nur eine kleine Ergänzung würde ich mir erlauben. In der Zusammenfassung der Ziele der PdH steht:
"Der Religionsunterricht muss durch einen für alle Schüler gemeinsamen Ethikunterricht ersetzt werden." Das halte ich für unvollständig (oder sogar falsch). Die Religionsunterricht muss natürlich abgeschafft werden, ohne wenn und aber und besser gestern als heute. Der richtige Ersatz wäre IMHO eine Religionsgeschichte-Unterricht. Die Religionen gehören (leider) zu unseren Alltag und deswegen müssen alle mehr die Entstehung und Vielfalt der Religionen wissen. Man muss allen klar sein, dass die Religion der eigenen Umgebung nicht DIE WICHTGSTE RELIGION ist, sondern nur eine von sehr vielen. So würde die junge Generation, auf allen Versuchen in die eine oder andere Religionsgemeinschaft sich zu angagieren lassen, kritischer reagieren.
Über die Ethik-Unterricht: Kann man Ethik überhaupt erfolgreich unterrichten?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Stimmt, Herr Schiemert, bzgl. einer derzeitigen Volksabstimmung bin ich ebenso skeptisch; dazu sitzen die Religionen (noch) zu fest im Sattel. Das ist ein langer und steiniger, aber notwendiger Weg.
Aber Ethik lässt sich selbsverständlich erfolgreich unterrichten / lehren / lernen - ein gutes Beispiel bin selbst; oder die Praxis z.B. in Bremen oder Berlin.
Christian Nentwig am Permanenter Link
Da sieht man, wo die etablierten Parteien in der Vergangenheit kläglich versagt haben.
Keine von diesen Parteien hat sich wirklich für den laizistischen Staat eingesetzt. Im Gegenteil, sie sind den Religioten in den Arsch gekrochen. Jede Politikerin/Politiker, die ich persönlich auf diese Themen angesprochen habe, haben sich gewunden, verwunden, für Demokraten beschämend waren ausnahmslos die Reaktionen. Zwei nehme ich aus, denen will ich kein Unrecht tun, das war "Die Partei" und "Die Piraten" Aber sie sind zu klein...
Und jetzt muß ich diese Forderungen bei einer braunen, mit evangelikalen Spinnern durchseuchten Partei lesen, die damit auf Stimmenfang geht. Meine werden sie nicht fangen, aber ehrlich gesagt, lieber wähle ich Sonneborn als diese verschwätzten "Demokraten"
Christian Nentwig
Hans Trutnau am Permanenter Link
Na, dann mal schleunigst auf zur Partei der Humanisten, Christian Nentwig. Die geht das Thema konsequent an!
Andrea Diederich am Permanenter Link
Die Abschaffung der Kirchensteuer ist
Reinhard Moysich am Permanenter Link
Kirchensteuer ist unchristlich, verfassungs- und menschenrechtswidrig
Es gibt noch weitere Gründe für die schon längst überfällige Abschaffung der Kirchensteuer:
Sie ist unchristlich, da sie eine der christlichen Nächstenliebe krass widersprechende Bevorzugung darstellt.
Sie ist verfassungswidrig, da sie ein so genanntes „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ ist, weil sie in einem nicht überbrückbaren Gegensatz zu anderen Grundgesetzartikeln steht (insbesondere der Pflicht zur Weltanschauungsneutralität).
Sie menschenrechtswidrig, da sie christliche und nichtchristliche Menschen ungleich behandelt (Letztere müssen die Mitgliedsbeiträge zu ihren Weltanschauungsgemeinschaften selbst überweisen).
Das gleiche trifft für andere äußerst ungerechte Bevorzugungen religiöser gegenüber nichtreligiöser Menschen zu, z.B. Gottesbezug im Grundgesetz, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und die vielen staatlichen christlichen Feiertage.
Nur bei strikter Weltanschauungsneutralität gibt es in Deutschland bedeutend mehr Gerechtigkeit und sozialen Frieden!