Rezension

Ist Reichtum unmoralisch?

BERLIN. (hpd) Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt macht sich Sorgen um die Reichen. Sein Buch "Ungleichheit. Warum wir nicht alle gleich viel haben müssen" wurde viel und eher positiv besprochen. Dass muss einen nicht unbedingt wundern, denn den Wunsch den "Umverteilungsreflex" – so Sandra Pfister in einer Besprechung im Deutschlandfunk – zu stoppen, haben viele.

Frankfurter befürchtet, dass die aktuellen Debatten um die zunehmenden Unterschiede zwischen Reich und Arm dazu führen könnten, dass man den Reichtum Einzelner für moralisch verwerflich hält und deswegen eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums fordert. Er wendet dagegen ein, dass nicht der Reichtum, sondern die Armut das Problem sei. Zwar hätten Reiche soziale Wettbewerbsvorteile, auch könnten sie ihren Reichtum politisch nutzen, wenn aber alle genug zum Leben hätten, sei es aus moralischer Perspektive egal, wenn einige ganz besonders viel hätten. "Wenn jedermann genügend Geld hat, würde es niemanden besonders interessieren, ob mache Leute mehr Geld hätten, als andere" (S. 17).

Reichtum ist bei Frankfurt nur Geldreichtum. Dass man z.B. auch reich an Freunden, reich an Erfahrungen, reich an Glück, reich an Wissen sein kann, dass man ein reiches und erfülltes Leben führen kann kommt bei Frankfurt nicht vor. Aus humanistischer Perspektive hat Frankfurt einen sehr verengten Reichtumsbegriff.

Das ist aber nicht das zentrale Problem, das zentrale Problem seines Aufsatzes ist es, dass sich Frankfurt die Frage, wo der Reichtum Einzelner herkommt, nicht stellt. Das Prinzip eines absoluten Egalitarismus, gegen welches Frankfurt ankämpft, ist ein Popanz. Keiner der halbwegs bei Verstand ist, vertritt die Auffassung, alle müssten unter allen Umständen das Gleiche bekommen. Es gibt immer gute Gründe vom ursprünglichen Prinzip der Gleichheit abzuweichen (vgl. Th. Heinrichs, Prinzipien sozialer Güterverteilung. Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Humanität). Für den extremen Grad an Ungleichheit und Reichtum, um den es bei der Frage der Umverteilung geht, gibt es jedoch keine Gründe. Der Ursprung dieses, über einen gewissen, jeweils sozial zu definierenden Wohlstand hinausgehenden Reichtums, ist immer die Aneignung der Güter fremder Arbeit. Er beruht also immer auf der Ausbeutung anderer, in der Regel wesentlich ärmerer Menschen. Und darin liegt die moralische Verwerflichkeit dieses Reichtums.

Gleichheit lässt sich nicht moralisch bewerten, damit hat Frankfurt recht. Die Forderung nach Gleichheit ist keine moralische Forderung, die sich an Werten und Normen, die Menschen zur Regelung ihres Zusammenlebens getroffen haben, orientiert, sondern sie ist in der ursprünglichen Achtung der Menschen als Menschen begründet. Aber die Ungleichheit kann und muss moralisch bewertet werden.

Frankfurt bemängelt, dass Ärmere das Maß der von ihnen erstrebten Güter häufig nicht daran bemessen, was sie tatsächlich für ein glückliches Leben bräuchten, sondern an dem, was Reiche haben. Zu Recht weist Frankfurt darauf hin, dass dies dazu führen kann, sich über sein eigenes Leben nicht klar zu werden und mit seinem Leben unzufrieden zu sein, nur weil man sich an anderen misst, anstatt eigene Maßstäbe zu entwickeln (S.22f). Frankfurt verkennt aber den Grund hierfür, er liegt einfach darin, dass die Ärmeren wissen, dass den Reichen ihr Reichtum aus moralischer Perspektive nicht zusteht, sondern dass ihnen ein Teil dieses Reichtums gebühren würde.

Statt der moralisch und politisch relevanten Frage nach dem Ursprungs des Geldreichtums nachzugehen, setzt sich Frankfurt mit der von dem amerikanischen Ökonomen Abba Lerner entwickelten "Grenznutzenlehre" auseinander. An dieser Lehre mag man durchaus Kritik üben können – auch wenn die Kritik, die Frankfurt übt, Lerner nicht gerecht wird, weil er sich im wesentlichen auf Ausnahmefälle stützt, die keine praktische Relevanz haben –, die Frage des Grenznutzen geht aber am Problem des Reichtums völlig vorbei. Dass einem Armen ein Dollar mehr nutzt als einem Reichen, ist ziemlich klar. Dass ab einem gewissen Grad an Reichtum ein Dollar mehr so gut wie keinen Nutzen mehr hat, ist ebenfalls klar. Diese Überlegungen geben aber keine Antwort auf die Frage, wer den Dollar aus moralischen Gründen zu bekommen hat. Eine ökonomische Lehre wie die Grenznutzenlehre, die auf den gesellschaftlichen Gesamtnutzen einer möglichst gleichen Einkommensverteilung abstellt, kann und will diese Frage nicht beantworten.

Frankfurt predigt Bescheidenheit. "Weniger zu haben kann schließlich auch bedeuten, dass man eine ganze Menge hat; wenn es einem schlechter geht als anderen, heißt das nicht unbedingt, dass es einem schlecht geht" (S. 77). Am besten wäre es doch für einen selbst, man wäre mit dem zufrieden, was man hat, solange dies ausreichend ist, alle wesentlichen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Auch die Armen seien schließlich aus moralischen Gründen nicht gehindert, ein gutes Leben zu führen, wenn sie es nur wollten (S. 78). Dazu brauche man kein Geld.

Am besten wäre diese Bescheidenheit der Armen aber für die Reichen, denn dann würde niemand mehr die sozialen Verhältnisse, die solchen Reichtum erst möglich machen, in Frage stellen. Frankfurters Behauptung, seine Erörterungen seien "durch keinerlei soziale oder politische Ideologie inspiriert oder geprägt" (S. 73) kann daher nur als schlechter Witz begriffen werden. Es ist hier wie so oft, je mehr einer behauptet keine politischen Absichten zu verfolgen, desto mehr tut er es in Wahrheit.

Harry G. Frankfurt, "Ungleichheit - Warum wir nicht alle gleich viel haben müssen", Suhrkamp 2016, ISBN: 978-3-518-46661-2, 10,00 Euro