Auf zwei Landesparteitagen der Partei DIE LINKE wurden Beschlüsse angenommen, die einen strikten Laizismus fordern. Der ehemalige Professor für Sozialethik an der Universität Marburg, Franz Segbers, kritisiert diese Beschlüsse mit dem Hinweis, dass eine konsequent linke Religionspolitik alle drei Aspekte des Menschenrechts auf Religionsfreiheit ernst nehmen müsse: Die Freiheit zur Religion, die Freiheit vor der Religion und aber auch die Freiheit, Religion öffentlich zu praktizieren.
"Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten säkularer und zugleich religiös pluraler geworden" heißt es einleitend in dem Aufsatz, den Prof. Segbers in den Standpunkten 39/2016 veröffentlichte. (siehe Anlage) "Gleichzeitig gibt es Kritik an der privilegierten Stellung der Großkirchen in Deutschland" da diese Privilegierung nicht mehr zeitgemäß sei. Insofern ist es logisch, richtig und verständlich, wenn sich Parteien mit dem Verhältnis von Staat und Kirche auseinander setzen.
Dabei stellt sich aber die Frage: "Wie kann eine linke Religionspolitik aussehen, welche die säkulare und religionsplurale Gesellschaftslandschaft ernst nimmt?" Wenn bei den Landesparteitagen in Sachsen und in Nordrhein-Westfalen beschlossen wird, dass die LINKE zu einer laizistischen Partei umgestaltet werden soll. Was bedeutet das konkret für die Arbeit in und an der Gesellschaft, wenn es im sächsischen Beschluss heißt, dass der "Laizismus … ein profilbildendes Alleinstellungsmerkmal der LINKEN" sein soll und deshalb "eine konsequente Trennung von Staat und Religionen" sowie eine "Neudefinition des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften" gefordert wird?
Der Autor bezieht sich auf Heiner Bielefeld, der als UN-Botschafter für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit erst kürzlich aus dem Amt schied, der sagte, dass "die gängige Formel von der Trennung zwischen Religion und Staat zu kurz greift." Denn um ein Staat für alle Bürger zu sein, müssen nach dieser Auffassung Staat und Religionsgemeinschaften getrennt sein. Das jedoch – so Prof. Segbers – sei der falsche Ansatz. Später erläutert er: "Da die Freiheit von der Religion keinen Anspruch verschafft, generell von der Begegnung mit Religion in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit verschont zu werden, formulieren die beiden Parteitagsbeschlüsse ein Verständnis von Laizismus, das die Religionsfreiheit bedroht."
Der einzig gültige "Kompass zur Orientierung in religionspolitischen Fragen" sind die Menschenrechte, die "den Kern des normativen Konsens pluralistischer Gesellschaften" bilden. Doch er weist zu Recht auch darauf hin, dass auch das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ein Freiheitsrecht sei. "Es ist kein Recht für die Frommen, die geschützt werden möchten."
Gefragt werden müsse, was mit der Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften erreicht werden soll. Denn allein die Formel von der "Trennung von Staat und Kirche" oder die von der "weltanschaulichen Neutralität des Staates" klären nicht, wie genau das Verhältnis zu gestalten ist. Für Prof. Segbers geht die "Forderung nach Religion als Privatsache … von einem Gesellschaftsbild aus, das nur eine Entgegensetzung von Staat und Individuum kennt." Das jedoch sei nicht mehr zeitgemäß, denn es existiert "eine Sphäre der Zivilgesellschaft" zwischen dem Individuum und dem Staat, von der Religion ein Teil sind. Und somit verweigere der, der eine Privatisierung der Religionen fordert, "den Religionen, dass sie einen Beitrag zum demokratischen Diskurs einbringen können."
Tatsächlich gibt es gesellschaftliche Bereiche, in denen die soziale Stimme der Religionsgemeinschaften wichtig und notwendiges Korrektiv sind. Hier "wäre zu fragen, warum gerade der Einfluss der bundesdeutschen Volkskirchen verheerender sein soll als beispielsweise der von Lobbygruppen der Pharma- oder Waffenindustrie."
Soweit ist der Argumentation Prof. Segbers’ zu folgen. Schwierig wird es jedoch, wenn er in den Beschlüssen der beiden LINKEN Parteitage als "bloßes Abschaffungsprogramm" bezeichnet. Er unterstellt, dass bei der Forderung nach der Abschaffung des Religionsunterrichts, der Militärseelsorge, der Kirchensteuer etc. die menschenrechtlichen, verfassungs- und grundrechtlichen Rahmenbedingungen nicht berücksichtigt werden. Beispielhaft geht er darauf ein, was wäre, wenn eine Richterin aus religiösen Gründen mit einem Kopftuch Recht sprechen würde. Er argumentiert: "Zum Recht auf Religionsfreiheit gehört auch, dass durch das Bekenntnis zu einer Religion nicht schon per se die Unparteilichkeit gefährdet wäre." Dem ist entgegenzusetzen, dass immer dann, wenn der Staat hoheitlich handelt oder aber in Namen des Staates Recht gesprochen wird, sehr wohl auf die Zurschaustellung religiöser Symbole verzichtet werden sollte. Denn Religion soll und darf keinen Einfluss auf Urteile haben – weder die Religion des Richters noch die des Angeklagten. Deshalb sollten religiöse Bekundungen jeglicher Art an diesen Orten unterbleiben. Gern kann der Richter sich nach der Verhandlung wieder das Kreuz umhängen oder die Richterin sich das Kopftuch aufsetzen; doch während einer Verhandlung hat die Zurschaustellung solcher Symbole zu unterbleiben.
Für den Autor ist dieses Verbot ein Verbot, dass vor allem gegen muslimische Mitbürger gerichtet sei. "Wenn muslimischen Frauen das Tragen eines Kopftuches in der Schule untersagt wird, erfahren sie den religiös neutralen laizistischen Staat als eine religionsfeindliche Unterdrückungsagentur." Hier ist Prof. Segbers nicht konsequent in seiner Argumentation. Denn nicht allein muslimischen Frauen ist das Tragen des Kopftuches in Schulen zu verbieten; das gilt auch für das Tragen (oder das Aufhängen in Klassenzimmern, Büros und Gerichtssälen) von Kreuzen.
Denn richtig erkennt er: "Ein säkularer Staat darf sich nicht mit einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Tradition identifizieren. Das ginge immer zu Lasten anderer weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen. … Wenn Kirchen aber für sich Privilegien und besondere Rechtspositionen beanspruchen, die religiösen Minderheiten vorenthalten werden, dann ist dies mit der gegenwärtigen Verfassung nicht zu legitimieren."
In dem Absatz ändert sich das Vokabular des Sozialethikers. Anstatt "Religionen" heißt es jetzt "Kirchen". Damit macht er unbewußt auch deutlich, dass es einen Unterschied gibt zwischen den Formulierungen "Staat und Kirche" und "Staat und Religion". Während eine Trennung von Staat und Kirche absolut und endgültig sein muss, um einerseits Privilegien abzuschaffen und andererseits die Gleichheit der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen, ist die die Forderung nach einer Trennung von Staat und Religionen (und Weltanschauungen) nicht so strikt zu formulieren. Leider unterläßt es Prof. Segbers, auf diesen wichtigen Unterschied in der Diskussion um die Unterschiede zwischen Laizismus und Säkularisierung genauer einzugehen.
Er befürwortet eine "kooperative Beziehung" zwischen Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Nur diese allein "begründet einen Anspruch auf gleichberechtigte Förderung christlicher, jüdischer, islamischer, atheistischer, laizistischer etc. Weltanschauungen." Zur Weiterentwicklung einer solchen Kooperation gehöre unbedingt auch "eine konsequente Entflechtung von Religionsgemeinschaften und Staat, beispielsweise die Abschaffung der Kirchenaustrittsgebühr." Leider ist der Autor hier wieder unklar in seiner Formulierung. Nicht die "Entflechtung von Religionsgemeinschaften und Staat" ist hier die richtige Forderung, sondern die von einer Entflechtung von Kirche(n) und Staat. Denn – um im Beispiel zu bleiben – allein die beiden christlichen Großkirchen lassen sich ihre Mitgliedsbeiträge vom Staat einziehen.
Abschließend heißt es: "Eine emanzipatorische linke Religionspolitik muss gesellschaftliche Konflikte und Auseinandersetzungen aufgreifen und sich dabei am Menschenrecht der Religionsfreiheit orientieren." Das bedeutet unter anderem auch, "islamische Gemeinschaften als Religionsgemeinschaften rechtlich anzuerkennen. wenn sie die rechtlichen Voraussetzungen … erfüllen." (Hervorhebung durch den Autor) Weiterhin "gilt es, die Grundrechte der in Kirche und Diakonie bzw. Caritas beschäftigten ArbeitnehmerInnen zu schützen und Privilegien abzuschaffen, die … nur den Kirchen zukommen." Hier ist der Empfänger der Botschaft, die Kirchen, korrekt benannt.
Auch das "Tragen religiöser Symbole (wie Kopftuch, Kippe, Kreuz) in der Öffentlichkeit ist als Ausdruck der Religionsfreiheit erlaubt." Dem ist soweit zuzustimmen, solange es sich nicht um Behörden, Kindergärten, Schulen, Gerichte etc. handelt. (siehe oben) Gefordert wird die Einführung des verfassungsrechtlich garantierten Religionsunterrichts für alle religiösen Gruppen und ein entsprechender Unterricht für Säkulare. "Die bestehende Militärseelsorge ist verfassungswidrig. Sie muss durch das Recht als Religionsfreiheit aller Religionen unabhängig vom Staat in öffentlichen Einrichtungen wie Bundeswehr, Gefängnissen oder Krankenhäuser abgelöst werden."
Professor Franz Segbers gelingt es in seinem Artikel – trotz der Kritik an seiner machmal fehlenden Unterscheidung zwischen "Religion" und "Kirche" – überzeugend, der Debatte innerhalb der LINKEN einen neuen Schub zu geben. Es bleibt zu hoffen, dass seine Anregungen auf fruchtbaren Boden fallen.
18 Kommentare
Kommentare
Martin Mair am Permanenter Link
Wozu dann noch "gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften"? Fussballvereine etc. haben auch keinen Sonderstatus.
Volkmar H. Weber am Permanenter Link
Wann hat man mal endlich den Mut zu sagen, dass Religion nur eine Ummantelung tatsächlicher wirtschaftlicher Interessen ist, dem viele Menschen wegen des spirituellen Brimbamborium aufsitzen.
Robert Medel am Permanenter Link
"allein die beiden christlichen Großkirchen lassen sich ihre Mitgliedsbeiträge vom Staat einziehen."
Laut Wikipedia tun das weitere 4 Religionsgemeinschaften.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kirchensteuer_(Deutschland)#Kirchensteuereinzug_durch_den_Staat
KDL am Permanenter Link
"Die Freiheit zur Religion, die Freiheit von der Religion und aber auch die Freiheit, Religion öffentlich zu praktizieren"(Im Zitat wurde der Fehler "die Freiheit vor (!) der Religion" korrigiert).
Frank Nicolai kritisiert die Inkonsequenz in der Argumentation von Franz Segbers (Uni Marburg) zu Recht.
„Hier ist Prof. Segbers nicht konsequent in seiner Argumentation. Denn nicht allein muslimischen Frauen ist das Tragen des Kopftuches in Schulen zu verbieten; das gilt auch für das Tragen (oder das Aufhängen in Klassenzimmern, Büros und Gerichtssälen) von Kreuzen“.
V.a das durch Gerichte stets angemahnte „Überwältigungsverbot“ durch das Tragen religiös aufgeladener Symbole, ob Kreuz oder Kopftuch oder Kippa etc. in den genannten öffentlichen Institutionen sollte beachtet werden, weil sonst eine ideologische, weltanschauliche Vereinnahmung derjenigen stattfindet, die sich im Sozialisations-prozessen von Kita, Kindergarten und Schule befinden und dagegen „wehrlos“ sind. Vor Gericht, in öffentlichen Einrichtungen, die den Gegenüber unvoreingenommen wahrnehmen und behandeln sollen, verbieten sich nachvollziehbar religiöse Symbole.
„Gefordert wird die Einführung des verfassungsrechtlich garantierten Religionsunterrichts für alle religiösen Gruppen und ein entsprechender Unterricht für Säkulare“.
Dieser Forderung ist eine breite Debatte zu wünschen. Warum soll Religion Teil des Schulunterrichts an öffentlichen Schulen sein?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Religionsunterricht für "alle" religiösen Gruppen? An allen Schulen? Warum nur? F. Segbers nimmt m.E. Religion(en) unnötig in Schutz.
little Louis am Permanenter Link
Aus dem " Intro" zu Segbers Artikel (link):
"......Doch die Erfahrun-
gen im laizistischen Frankreich stimmen eher nachdenklich: Um Religionskonflikte zu vermeiden, verdrängt dort der Staat
die Religion aus der Öffentlichkeit und produziert dabei einen Religionskonflikt. Wenn ein Staat seinen religiösen Bürge-
rInnen die gleiche Anerkennung verweigert, schließt er sie aus und bedroht das Menschenrecht auf Religionsfreiheit. Eine
konsequente linke Religionspolitik müsste alle drei Aspekte des Menschenrechts auf Religionsfreiheit ernst nehmen: d......
(Zitatende)
Segber scheint davon auszugehen,dass der französische Laizismus einzig und allein muslimische Religions- "Bekundungen" aus der "Öffentlichkeit verbannen wolle - was wohl etwas kontrafaktisch sein muss.
Da monotheistische Religionen ihren Konkurrenten zumindest theologisch häufig feindlich gegenüberstehen, können öffentliche Bekundungen immer auch als als agressive Missionierung verstanden werden. Und solche bergen durchaus das Potential, eine Gesellschaft zu sprengen. Das zeigt die Historie zur genüge.
Zudem sind Religionen auch nicht gerade der Urquell der Toleranz und Duldsamkeit und damit peine prinzipielle Bedrohung offener Gesellschaften.Wir dulden deshalb hierzulande ja auch keine öffentliche (historische) Nazisymbolik.
Zudem wird ein nicht laizistischer Staat ständig und immerwährend in Exegeseprobleme bezüglich nicht verfassungskonformer Glaubensdetails verstrickt.
Ich hoffe nicht ,dass sich der Autor einer alten Propagandatradition bedient: Zuerst ein Zerrbild der gegnerischen Position erstellen um dieses dann anhand der Verzerrungen abschießen zu können. Zudem wird suggeriert, dass der Laizismus Religion aus der (Gesamt-) GESELLSCHAFT entfernen wolle, was ebenso kontrafaktisch ist.
Warum sollte die Religionsfreiheit des Individuums beeinträchtigt sein, wenn der Staat sich der Unterstützung jedweder Religion enthält? Es gibt kein Menschenrecht auf Lobbyismus. Religiösen steht es im Laizismus jederzeit frei, über (die Gründung von) politische (n)Parteien ihre Interessen wahrzunehmen.
Die Alternative zum Laizismus kann eigentlich nur die gleichberechtigte (!!) staatliche Förderung ausnahmslos aller Religionen und Weltanschauungen sein sein. Man sollte dann aber wenigstens darlegen,zu welchem Zweck das geschehen sollte.
Frank Roßner, H... am Permanenter Link
Erstaunlich ist, warum der Artikel dieses deutschen altkatholischen Theologen vom Verfasser benutzt wird, um über Beschlüsse zweier großer Landesverbände der drittgrößten Partei im deutschen Bundestag letztlich negati
Hinweis: Interviews können bei gutem Willen nachgeholt werden!
Mit herzlichem Gruß
Frank Roßner
Achim am Permanenter Link
"Denn – um im Beispiel zu bleiben – allein die beiden christlichen Großkirchen lassen sich ihre Mitgliedsbeiträge vom Staat einziehen."
Kleine Anmerkung. Laut wikipedia tun das außerdem: das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland, die Freireligiösen Gemeinden (Landesgemeinden Baden, Mainz, Offenbach und Pfalz), die Unitarische Religionsgemeinschaft Freie Protestanten sowie die jüdischen Gemeinden.
Stefan Wagner am Permanenter Link
Danke für den klärenden Artikel.
An einer Stelle finde ich die Klärung aber nicht ganz gelungen: Beim Vergleich des Tragens eines Kopftuchs in Schulen mit dem Aufhängen von Kreuzen ist es ja kaum vorstellbar, dass ein einzelner Lehrer zu Beginn seiner Stunde ein Kreuz aufhängt, das der nächste ignoriert und der dritte wieder abhängt - hier würde die Schule als Institution handeln. Beim Kopftuch könnte aber der Lehrerin als Individuum ein anderes Recht zugestanden werden, mehr noch Schülerinnen, die zwar in der Schule oft noch Mädchen sind, aber auch als Frauen auftauchen. Im Text jedenfalls blieb mir unklar, ob auch Schülerinnen gemeint sind.
Ich selbst bin da in meiner Meinung noch nicht festgelegt, würde aber einer Direktion das Recht, Kreuze aufzuhängen oder Lehrerinnen auf ein Kopftuch zu verpflichten, klar absprechen, auch Lehrern eher Glaubensbezeugungen untersagen, bei Schülern aber am ehesten einer Duldung zustimmen - Burka und Nikab wären aber auch bei diesen eine Grenzüberschreitung und schwer erträgliche Abgrenzung. Beim Kopftuch besorgt mich insbesondere dessen Vordringen in jüngerem Alter.
Werner Koch am Permanenter Link
Überzogene Freiheit für die Religion?
In dem Artikel ist zu lesen, dass das ein striktes Verständnis von Laizismus die Religionsfreiheit bedroht und dass Religionen einen Beitrag zum demokratischen Diskurs einbringen können. Die Freiheit, Religon öffentlich zu praktizieren, wird in dem Artikel besonders hervorgehoben.
Hier wird meines Erachtens die Religionsfreiheit überdehnt. Es ist leider immer wieder zu beobachten, dass Personen, die den Kirchen nahestehen, solche Forderungen vertreten.
Sonderrechte im Namen der Religionsfreiheit, die zu hinterfragen sind, gibt es viele:
• Religionsfreiheit steht über dem Tierschutzgesetz – bei der Schächtung.
• Religionsfreiheit steht über dem Recht auf körperliche Unversehrtheit – bei der Beschneidung.
• Religionsfreiheit steht über der Meinungsfreiheit – siehe Blasphemie-Paragraph.
• An kirchlich-staatlichen Feiertagen wird das Tanzen u.a.m. verboten.
• Es gibt Sonderrechte für den Lärm der Kirchenglocken.
• Kirchen haben das Selbstbestimmungsrecht nach 1945 überdehnt (in der Weimarer Reichsverfassung gab es noch die Einschränkung „innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze“).
• Kirchliche Einrichtungen wie Caritas und Diakonie dürfen nach kirchlichem Arbeitsrecht (konfessionsfreie, homosexuelle, …) diskriminieren.
Sogar der meines Erachtens kirchenfreundliche ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo die Fabio mahnte an, dass es auch für die „Religionsfreiheit“ Einschränkungen gebe und schreibt z. B. „Neutral könne die Demokratie nur sein, wenn sie "trotz wohlwollender Kooperation inhaltlich sichtbar Distanz zu Glaubensgewissheiten und Weltanschauungen hält".“ Quelle: „Ehemaliger Bundesverfassungsrichter zur Rolle von Religion - Religionen müssen staatliche Neutralität respektieren“ https://www.domradio.de/nachrichten/2016-12-22/ehemaliger-bundesverfassungsrichter-zur-rolle-von-religion.
Diese Distanz zwischen Staat und Kirchen fehlt meines Erachtens in Deutschland, wenn man die Lobbytätigkeit der kichlichen Büros beim Bundestag und bei den Landtagen betrachtet. Die Distanz fehlt auch, wenn man die Ämterverquickung zwischen Staat und Kirchen inklusive Übergangsmöglichkeiten zwischen dem kirchlichen Dienst und dem öffentlichen Dienst unter Mitnahme der Pensionsansprüche betrachtet.
Die Kirchen nutzen ihre Lobbymöglichkeiten gerne zur Bevormundung aller Bürger, indem sie z. B. versuchen, kirchliche Glaubensgrundsätze in für alle geltende Gesetze einzubringen. Das war beispielsweise bei der im Jahr 2015 beschlossenen Verschärfung der Sterbehilfe (§ 217 „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“) zu beobachten.
Befremdlich ist auch, wenn der Bund prominene Kirchenvertreter in Gremien wie z. B. in die Ethikkommission für sichere Energeiversurgung beruft (Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, Ulrich Fischer, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden).
Die Kirchen ihrerseits berufen auch Politiker in ihre Gremien, wie man z. B. an der den berufenen „Einzelpersönlichkeiten“ im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sehen kann http://www.zdk.de/organisation/mitglieder/einzelpersoenlichkeiten/. Der jetzige Außenminister ist Präsidiumsmitglied des DEKT und sollte eigentlich Präsident des DEKT werden - jetzt wird er wohl Bundespräsident.
Solche Verhältnisse würde man eher in Gottesstaaten vermuten. Dies ist mangelnde Distzanz zwischen Staat und Kirche und wird als deutscher Sonderweg beschrieben „Kooperation zwischen Staat und Kirche“, aber auch als „hinkende Trennung“ – Deutschland hat etwas von einer Kirchenrepublik.
Man könnte heutzutage die Menschenrechte überarbeiten und das historisch bedingte Recht auf Religionsfreiheit ganz abschaffen. Es gibt ja auch kein Recht für Esoterik, oder Recht für Sänger.
Siehe auch: „Für die Abschaffung des Grundrechtes auf Religionsfreiheit“
https://www.piratenpartei-hessen.de/piratengedanken/2015-04-01-fuer-die-abschaffung-des-grundrechtes-auf-religionsfreiheit
Rudi Knoth am Permanenter Link
Diese Forderung soll wohl ein Aprilscherz sein. Dies steht auch so im Kommentarbereich drin.
Thomas am Permanenter Link
Danke für Ihren klarsichtigen Kommentar und den interessanten Link.
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
Die absolute Trennung von Staat und Kirche scheint den Linken also weniger das Problem.
Doch die Trennung von Staat und Religion. Dabei beisst sich das doch gar nicht mit der Praktizierung von Religion in der Öffentlichkeit. Wenn der Staat aus Legislative, Exekutive und Judikative besteht, dann heisst das konkreter etwa:
Legislative:
Keine Gesetze schaffen die Religiöse Vorstellungen/Normen in für alle geltendes Recht gießen (Vgl. Steberhilfegesetz)
Exekutive:
Keine Sonderbehandlung für Religiöse. Wenn jugendliche Gangs am 6. Januar umherziehen und Hauseingänge mit CMB taggen, so ist das sofern der Eigentümer/Bewohner das nicht wünscht oder ein öffentliches Gebäude betroffen ist genauso zu verfolgen wie das taggen durch Sprayer. Die Vorschützung religiöser Motive darf keinen Unterschied machen. Jeder darf schliesslich sein Haus oder das Anderer taggen wenn das im Einzelfall erlaubt oder gewünscht wird.
Judikative:
keine Religiösen Symbole im Gerichtsaal, keine Akzeptanz der Rechtfertigung durch religiöse Motive. Beispiel: Verstümmelung bleibt Verstümmelung gleich ob man sie Beschneidung nennt und damit religös verbrämt.
Fazit:
Die Praktizierung der Religion in der zivilen (nicht staatlichen) Öffentlichkeit jenseits der Handlungsfelder des Staates ist damit in keiner Weise berührt und das Menschenrecht darauf problemlos einhaltbar. --- Beispiel: Eine religiöse Prozession ist dann nichts anderes mehr als eine Demonstration, eine öffentliche Meinungsäußerung, die auch ohne religiöse Motive zu haben zulässig ist. --- Beispiel: Eine Person die in Burka in der Öffentlichkeit ist, ist dann genauso zu tolerieren wie eine Person die nackt in der Öffentlichkeit ist, da es keine justiziable Kleiderordnung gibt, Motive eine Willkürliche Zuschreibung sind, eine unterschiedliche Behandlung aufgrund dieser unterstellten Motive eine willkürliche Diskriminierung ist, und einen Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit darstellt. --- Will sagen, es ist gleich ob man Dinge in der Öffentlichkeit aus religiösen oder anderen Gründen praktiziert solange dies generell toleriert wird - und tolerant ist man gegenüber Dingen die man nicht gut findet und die man persönlich als störend empfindet - solange keine Gefahr für andere davon ausgeht.
Ich verstehe nicht wo das Problem in der Linken ist sich klar zu positionieren. Ist es die Angst, dass die Kirchen Propaganda gegen die Linke machen und dies Stimmen bei Wahlen kostet? Da die Linke zumeist sowieso keine Regierungsbeteiligung hat dürfte diese Überlegung jenseits monetärer Interessen (Parteienfinanzierung propotional zu erhaltenen Stimmen) keinen Unterschied für den Status als Opposition machen.
Ralf Michalowsky am Permanenter Link
Kann man aus dem hpd-Kommentar und dem zugrunde liegenden Artikel eines Kirchensoziologen schließen, dass die Linke Angst hat sich "richtig" zu positionieren?
Unterm Strich reduziert sich alles auf die Frage, ob Religion ins Private gedrängt werden soll oder nicht.
Darüber ließe sich trefflich streiten.
Paul am Permanenter Link
--Und somit verweigere der, der eine Privatisierung der Religionen fordert, "den Religionen, dass sie einen Beitrag zum demokratischen Diskurs einbringen können."--
Wer die Demokratie in den eigenen Reihen nicht gestaltet, kann meines Erachtens sehr wenig im großen beitragen, schlimmer noch, wie man aus der Vergangenheit kennt, Gesetze erlassen wurden, die Beschuldigte kannte, jedoch keine Tat, die einen Dritten schädigten, genannt seien der § 175 oder Kuppeleiparagraph. Gesetze, die Aufgrund "religiöser Empfindlichkeiten" fundieren, wie der Blasphemie-Paragraph haben in einer aufgeschlossenen Gesellschaft nicht zu suchen. Ferner sehe ich meine Freiheit eingeschränkt, wenn diese Kuttenträger von mir fordern, ihren Herren und Gott zu verehren, unterwürfig auf den Knien vor einem "Nichts" zu rutschen, mich in die "Hölle" wünschen, wenn ich deren kruden Vorstellungen nicht befolge. Religion hat weder etwas in Gesetzen, in Schulen oder in öffentlich rechtlichem Rundfunk was zu suchen.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
> Religion hat weder etwas in Gesetzen, in Schulen oder in öffentlich rechtlichem Rundfunk was zu suchen.
Sim am Permanenter Link
Woher weiß man denn eigentlich, dass das Kopftuch ein religiöses Symbol ist?
Auf der anderen Seite kenne ich auch Atheisten die mit Kreuzketten rumrennen aber eben nur als Schmuck.
Gerade im Kinderkartenalter glaube ich nicht, dass sich die Kinder da ernsthafte Gedanken machen. Letzten Endes sind es eben nur Kleidungs- und Schmuckstücke welche mit Bedeutung erst aufgeladen werden müssen.
Aber es gibt ja auch Kleidungsvorschrifften die eine Art Whitelist der Dinge darstellen die man als Richter oder Beamter im öffentlichen Dienst tragen darf. So bleibt man glaubhaft und jemand der gerne ein Kopftuch trägt, egal aus welchen Gründen, muss sich nicht diskriminiert fühlen weil auch Basecap, Baggy Pants und Bikini nicht vom Richter angezogen werden dürfen ;)
Paul am Permanenter Link
Das Kopftuch ist im Katholizismus ebenfalls religiös aufgeladen, noch zu meiner Zeit als Ministrant, hatten Frauen in der Kirche den Kopf zu bedecken(bei den Piusbrüdern heute noch).