Spruchtaxi: Kein Verstoß gegen § 166 StGB

Freispruch für "Gotteslästerer"

In zweiter Instanz wurde der pensionierte Lehrer Albert Voß gestern durch das Landgericht Münster vom Vorwurf des Verstoßes gegen den sogenannten "Gotteslästerungsparagrafen" §166 StGB freigesprochen. Für "gotteslästerliche" Sprüche auf der Heckscheibe seines Autos war er im Vorjahr durch das Amtsgericht Lüdinghausen in erster Instanz schuldig gesprochen worden.

Der kreuzlose Saal A06 im Landgericht Münster war bis auf den letzten Platz besetzt. Gut 20 Zuschauer sowie Vertreter lokaler und überregionaler Medien folgten am gestrigen Mittwoch der Berufungsverhandlung des "Heckenscheiben-Ketzers" Albert Voß aus dem münsterländischen Lüdinghausen. Im Oktober 2015 wurde der heute 68-jährige Voß wegen Verstoßes gegen §166 angezeigt, weil er auf der Heckscheibe seines Toyotas vermeintlich "gotteslästerliche" Sprüche angebracht hatte.

Zunächst den Spruch:

"Wir pilgern mit Martin Luther:
Auf nach Rom!
Die Papstsau Franz umbringen.
Reformation ist geil!"

(Daneben ein Google-Symbol sowie die Suchworte "Luther Papst umbringen")

Etwas später dann den Spruch:

"Kirche sucht moderne Werbeideen. Ich helfe.
Unser Lieblingskünstler:
Jesus – 2000 Jahre rumhängen
Und noch immer kein Krampf!"

Spruchtaxi-Martin Luther
Foto: Albert Voß/spruchtaxi.de

Laut Anklage wird Voß die "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen", insbesondere ein Verstoß gegen § 166 Abs. 2 zur Last gelegt, der das Beschimpfen einer in Inland bestehenden Religionsgesellschaft sowie ihrer Einrichtungen und Gebräuche unter Strafe stellt, sofern dies in einer Weise geschieht, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Nach Auffassung der juristischen Standardkommentare umfasst dies beispielsweise auch die Christusverehrung, das Leiden Christi sowie das Papsttum.

Spruchtaxi
Foto: Albert Voß/spruchtaxi.de

Vor dem Amtsgericht Lüdinghausen hatte Voß im Februar 2016 den Sinn seiner Spruch-Aktion erklärt: Nach einer durch und durch münsterländisch-katholischen Kindheit und Jugend sei ihm durch die Lektüre von Büchern wie Karlheinz Deschners "Abermals krähte der Hahn" bewusst geworden, dass sein Glaube auf fragwürdigen Fundamenten ruhe. Insbesondere sei es für ihn sehr interessant gewesen zu entdecken, welche Passagen der Heiligen Schriften von den Kirchen bewusst verheimlicht würden. Im Gespräch mit Freunden und Bekannten habe er immer häufiger bemerkt, dass sie überhaupt nicht wüssten, was sie glauben. Als ihm dann ein Auto mit einem der üblichen positiven Bibelsprüche auf der Heckscheibe über den Weg gefahren sei, habe er den Entschluss gefasst, seine Mitmenschen auf genau demselben Wege darüber aufzuklären, was ihre Religion sonst noch alles beinhaltet. Im August 2014 beklebte er deshalb erstmals die Heckscheibe seines Autos mit einem jener Bibelsprüche, die üblicherweise lieber verschwiegen werden.

Voß begann schließlich, nicht nur wörtliche Zitate, sondern auch abgewandelte zu verwenden, da er als Lehrer gelernt habe, dass man nur durch "möglichst knusprige Formulierungen" Aufmerksamkeit für einen bestimmten Inhalt erzeugen könne. Voß führte aus, dass es sich auch bei den angezeigten Sprüchen um abgewandelte Zitate handelt.

Der "Papstsau Franz"-Spruch sei im Kern ein Zitat von Martin Luther, der mehrfach dazu aufgefordert habe, Päpste und Bischöfe umzubringen. Durch das Google-Symbol und die entsprechenden Suchworte neben dem Spruch verwies Voß darauf, dass die entsprechenden Lutherschen Originalzitate leicht selbst im Internet ergoogelt werden können.

Bei dem angezeigten "2000 Jahre rumhängen"-Spruch handele es sich um die Abwandlung eines Zitats des bekannten Journalisten Friedrich Küppersbusch, der nach dem Kruzifix-Urteil 1995 mit dem satirischen Satz "2000 Jahre rumhängen ist ja auch kein Vorbild für die Jugend" für allerhand Furore gesorgt habe. Küppersbusch wurde für diesen Spruch nicht nach §166 StGB verfolgt.

Das Amtsgericht Lüdinghausen zeigte sich jedoch wenig interessiert an den Ausführungen von Albert Voß und sprach 2016 eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus: 30 Tagessätze zu 100 €, ausgesetzt für ein Jahr auf Bewährung. Als Bewährungsauflage soll Voß eine Geldbuße von 500 € zahlen. Der Aufklärung seien Grenzen gesetzt – so das Amtsgericht - und Albert Voß habe sie überschritten. Deswegen sei er nach §166 StGB zu verurteilen. Voß legte gegen das Urteil Berufung ein.

Landgericht Münster
Landgericht Münster (Foto: Daniela Wakonigg)

Bei der gestrigen Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Münster erhielt Albert Voß durch den Vorsitzenden Richter Dr. Klenk sowie zwei Schöffen Gelegenheit, den Hintergrund seiner Spruch-Aktion ausführlich zu erläutern. Voß wiederholte die Ausführungen aus der Verhandlung in der ersten Instanz und machte deutlich, dass es ihm ein ernstes und wichtiges Anliegen ist, seine Mitmenschen über die Inhalte von religiösen Schriften und über Äußerungen religiöser Gestalten aufzuklären. Es herrsche geradezu "eine Verwahrlosung des religiösen Wissens", die durch den Religionsunterricht erzeugt werde, der nur den Teil der Religion lehre, der den Kirchen genehm sei. Würde er diese Aufklärung nicht betreiben, so würde er sich schuldig fühlen, sagte Voß.

Mit seinen Sprüchen auf der Heckscheibe, wolle er nicht provozieren und niemanden beschimpfen, er wolle zu dieser Aufklärung beitragen sowie zum Nachdenken und zur Diskussion anregen.

Die Frage des Richters, ob er nie Angst gehabt habe, dass man ihm die Scheibe einschlägt, verneinte Voß. Im Gegenteil: Er habe bisher vor allem Zuspruch erhalten. Sowohl in Lüdinghausen, wo er hauptsächlich mit seinem Auto unterwegs ist, als auch weltweit. Durch den Medienrummel um die Verhandlung in der ersten Instanz habe er Sympathiebekundungen aus der ganzen Welt erhalten. Ein Landtagsabgeordneter aus Kiel habe aus Solidarität mit ihm das eigene Auto sogar ebenfalls mit einem seiner Sprüche beklebt und sich selbst angezeigt. Das Verfahren gegen den Landtagsabgeordneten wurde eingestellt.

In seinem Plädoyer wies der Verteidiger von Albert Voß, Rechtsanwalt Dr. Rath, auf den Kern von §166 StGB hin. Es gehe eben nicht darum, dass durch §166 religiöse Gefühle oder Religionsgemeinschaften vor Kritik grundsätzlich geschützt würden. Nur insofern die Beschimpfung religiöser Einrichtungen dazu geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören, sei diese strafbar. Ein Kriterium, das nur schwer fassbar sei. Jedoch könne die Tatsache, dass Albert Voß bislang hauptsächlich positive Rückmeldungen erhalten habe, als Indiz dafür gewertet werden, dass seine Sprüche nicht dazu geeignet seien, den öffentlichen Frieden zu stören.

Ferner verwies der Verteidiger darauf, dass §166 StGB im Licht von Artikel 5 des Grundgesetzes betrachtet werden müsse, dem Schutz der Meinungsfreiheit. Er wies darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem "Wunsiedel-Beschluss" geurteilt habe, dass das Recht auf Äußerung der eigenen Meinung ein hohes Gut sei und der öffentliche Friede massiv gefährdet sein müsse, um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu rechtfertigen. Solange keine Hetze betrieben werde, sei laut Bundesverfassungsgericht das Recht auf Meinungsfreiheit nicht anzutasten.

Das Recht auf Religionsfreiheit beinhalte umgekehrt nicht das Recht, über seine Religion nicht zum Nachdenken gebracht zu werden, so Dr. Rath. Religiöse Gemeinschaften, die die von ihnen als wahr erachteten Ansichten in die Öffentlichkeit tragen, könnten nicht erwarten, dass sie dies ungestört tun dürften. Ansonsten wäre es bereits unmöglich, beispielsweise katholischen Ansichten zum Thema Homosexualität oder Verhütung etwas entgegenzusetzen, ohne Gefahr zu laufen, für die Verletzung religiöser Gefühle verurteilt zu werden.

Staatsanwalt Dr. Sumpmann verlas in seinem Plädoyer die Urteilsbegründung des Amtsgerichts Lüdinghausen, das Voß in der ersten Instanz schuldig gesprochen hatte. Er betonte, dass dieses Urteil im Ergebnis richtig sei. Auch wenn Albert Voß durch seine Sprüche Aufklärung betreiben wolle, habe er dennoch gegen §166 verstoßen. Wenn diese Sprüche keinen Verstoß gegen §166 darstellten, was dann überhaupt noch ein Verstoß gegen §166 sein könne, fragte er. Auch, dass es sich bei der "Papstsau" um ein Luther-Zitat handle, sei für Voß kein Freibrief, denn "man darf nicht alles, was in der Geschichte mal gesagt wurde, zitieren". Er wolle Luther zwar nicht mit anderen Figuren der Geschichte gleichsetzen, aber man wisse schon, was er meine, sagte der Staatsanwalt. Ferner betonte er den Sinn des §166 StGB – insbesondere nach den Ereignissen um Charlie Hebdo. "Man muss mit dem Beschimpfen von Religionen sehr vorsichtig sein", sagte Dr. Sumpmann, "sonst löst man einen Brand aus". Was wohl passieren würde, wenn Voß statt seiner Kritik am Christentum, Kritik am Propheten Mohamed üben würde, fragte der Staatsanwalt. Deshalb sei es wichtig, mit Kirchen und Religionen tolerant umzugehen.

Angesichts dieses Plädoyers des Staatsanwalts hielt es den Verteidiger nicht auf seinem Stuhl. Er bat erneut um das Wort und wies darauf hin, dass es sich bei Charlie Hebdo um ein äußerst heikles Terrain handle. Gerade Charlie Hebdo, betonte er gegenüber Staatsanwalt und Richterbank, könne eben kein Argument dafür sein, die Meinungsfreiheit zugunsten der Religionsfreiheit einzuschränken.

Das Gericht folgte in seinem Urteil der Argumentation der Verteidigung und sprach Albert Voß vom Vorwurf des Verstoßes gegen §166 StGB frei. Die Sprüche auf der Heckscheibe seines Autos, die Voß in der ersten Instanz eine Verurteilung eingebracht hatten, sind nach Auffassung des Landgerichts Münster nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören und erfüllen damit nicht den Tatbestand von §166 StGB.

Das Gericht betrachtete die beiden verfahrensgegenständlichen Sprüche differenziert. Während das Gericht den "2000 Jahre rumhängen"-Spruch als erkennbare Satire einstufte, die durch Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt sei, sah es im "Papstsau Franz"-Spruch eine unnötig grobe Beschimpfung des katholischen Kirchenoberhaupts, die geeignet sei, Katholiken in ihren religiösen Gefühlen zu verletzen. Dennoch ist auch bei diesem Spruch nach Auffassung des Gerichts nicht zu befürchten, dass er Aggressionen auslöst. Eine Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, liege demnach nicht vor.

Das Gericht griff die Auffassung der Verteidigung auf, nachdem laut höchstrichterlicher Entscheidung (Wunsiedel-Beschluss) Eingriffe in die Meinungsfreiheit nur in sehr engen Grenzen erlaubt sind. Der Wunsiedel-Beschluss sei zwar in einem Volksverhetzungs-Verfahren ergangen, im Ergebnis jedoch auch – anders als es der Staatsanwalt argumentiert hatte - auf §166 übertragbar. Die Grenze zum Rechtsbruch sei bei den Sprüchen von Albert Voß eindeutig nicht überschritten.

Allerdings betonte das Gericht auch, dass es den Aufklärungsauftrag, den Albert Voß sich gesetzt hat, kritisch betrachtet. Es bezweifelte einerseits, dass Voß Sprüche geeignet seinen, die von ihm gewollte Aufklärungsarbeit zu leisten, und andererseits, dass die Gesellschaft eine solche Aufklärung noch nötig habe, da die Kirche doch ohnehin schon kritisch betrachtet werde. "Geschmacklich kann man zwar über diese Sprüche streiten", sagte der Vorsitzende Richter Dr. Klenk zum Abschluss seiner Urteilsverkündung, "trotzdem muss die Gesellschaft sie ertragen".

Albert Voß und sein Verteidiger Dr. Rath betrachten den Prozessausgang mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Bei Albert Voss überwiegt zwar die Freude, dass das Gericht ihm nun Recht gegeben hat, doch durch den Freispruch ist kein Gang durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht mehr möglich, wo man den "Gotteslästerungsparagrafen" §166 StGB selbst auf den Prüfstand hätte stellen können. Aber das bekümmert Albert Voß nicht. Schließlich wird er weiter mit seinem "Spruchtaxi" durch die Gegend fahren und dabei – ungewollt - vielleicht den einen oder anderen religiösen Mitbürger zu einer Anzeige inspirieren. Auch über das Anschaffen eines LKWs denkt Voß bereits nach: "Da hat man eine größere Fläche und kann vielleicht sogar mit zwei Sprüchen gleichzeitig durch die Gegend fahren."