Pakistan: Ultrareligiöse Selbstjustiz wegen angeblicher Blasphemie

Selbsterklärter "Humanist" zu Tode geprügelt

In Pakistan haben Studenten einen Kommilitonen ermordet, weil er sich auf seinem Facebook-Kanal den Beinamen "The Humanist" gegeben hatte. Dies berichten zahlreiche Medien. Über zwanzig Männer seien mit Stöcken über ihn hergefallen, bevor er von einem Schuss getroffen wurde. Ob das 23-jährige Opfer tatsächlich eine humanistische oder atheistische Einstellung hatte, ist demnach unklar. In Pakistans Parlament wurde nach dem Vorfall die Forderung gestellt, Menschen, die andere fälschlicherweise der Blasphemie beschuldigen, genauso behandelt werden sollten wie Blasphemiker selbst. Auf Gotteslästerung droht in Pakistan die Todesstrafe.

Mit unmenschlicher Grausamkeit haben etwa ein Dutzend ultrareligiöse muslimische Studenten der Abdul Wali Khan Universität in der nordpakistanischen Stadt Mardan vor wenigen Tagen einen Kommilitonen zu Tode geprügelt. Wie zahlreiche Medien berichten, sind die männlichen Studierenden mit Stöcken und Knüppeln über den 23-jährigen Studenten Mashal Khan hergefallen. In schockierenden Videoaufnahmen, die von Youtube bereits gesperrt wurden, in anderen sozialen Netzwerken unbegreiflicherweise aber immer noch online sind (wir sehen an dieser Stelle bewusst von einer Verlinkung ab), ist zu sehen, wie zahlreiche Männer auf dem blutüberströmten und entkleideten Studenten herumspringen, ihn brutal treten und mit Knüppeln und Schlägern malträtieren. Selbst als ein(!) Sicherheitsbeamter eintrifft und die Menschen versucht, von dem Mann fernzuhalten, wird der reglose Körper des Studenten weiter mit Schlägen auf Kopf, Rücken und Intimbereich traktiert. Khan erlag noch am Ort des Überfalls an den schweren Verletzungen.

Der Mord hat sich Berichten zufolge in der universitären Unterkunft des Studenten ereignet. Demnach ist Khans lebloser Körper anschließend aus dem zweiten Stockwerk des Gebäudes geworfen worden, bevor die Polizei nach eigenen Aussagen das Anzünden des Leichnams durch den Mob verhindern konnte. Kurz vor dem brutalen Lynchmord war bereits ein Bekannter Mashal Khans von der ultrareligiösen Meute überfallen und verprügelt worden. Polizeikräfte haben den Bekannten namens Abdullah aus der Mitte des tobenden Mobs befreien können, bevor dieser dann zur Unterkunft des Mordopfers weitergezogen ist. Infolge des Vorfalls sollen zehn Männer festgenommen worden sein, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters.

Der Grund für den Überfall sei das "blasphemische" Gebaren des 23-Jährigen gewesen. Dies bestand im Wesentlichen darin, den eigenen Facebookaccount mit dem Beinamen "The Humanist" zu versehen. Ob sich der Student der Kommunikationswissenschaften tatsächlich als Humanist oder Atheist verstanden hat, ist unbekannt, für die Einordnung des Vorfalls letztendlich aber auch unerheblich.

Auf dem Campus sei der Student aufgrund seiner liberalen und säkularen Auffassung in der Vergangenheit immer wieder bedroht worden, heißt es im englischsprachigen Wikipedia-Eintrag zu dem Lynchmord. Demnach soll Mashal Khan von anderen Studierenden sowie von Offiziellen der Universität beschuldigt worden sein, der islamischen Ahmadiyyah-Gemeinschaft nahezustehen. Die selbsternannte Reformbewegung des Islam wird in der islamischen Welt als häretische Religionsgemeinschaft aufgefasst, die Gemeinschaften und ihre Anhänger werden bekämpft und verfolgt.

Der Mord an dem Studenten ist einer von vielen Fällen von Übergriffen auf Nicht- und Andersgläubige in der muslimischen Welt. In Pakistan hat er sich inmitten einer angespannten innenpolitischen Situation ereignet. Erst im März hatte der pakistanische Premier Nawaz Sharif Blasphemie als Angriff auf die Gesellschaft bezeichnet, nachdem in den sozialen Medien zahlreiche "blasphemische" Meldungen und Informationen entfernt wurden. Sharif rechtfertigte den staatlich gelenkten Eingriff damit, dass solche Meldungen einen "unverzeihlichen Angriff" darstellten und "strikt bestraft" werden sollten. Kurz darauf wurden die pakistanischen Atheisten Ayaz Nizami und Rana Nouman festgenommen, weil sie sich in verschiedenen Onlineforen religionskritisch geäußert haben. In Pakistan gilt Blasphemie als schweres Vergehen. Verdächtigen droht laut Paragraf 295-C des Strafgesetzbuches die Todesstrafe, sofern sie nicht vorher wie Mashal Khan bei einem gewaltsamen Übergriff zu Tode kommen.

Das Gesetz wurde in der Kolonialzeit von den Briten eingeführt, um religiöse Konflikte zwischen Hindus und Muslimen aus dem Weg zu räumen und von dem extremistisch-islamischen Militärdiktator Zia-ul-Haq 1987 verschärft. Während es laut Amnesty International zwischen 1927 und 1986 zu lediglich sieben Anklagen wegen Blasphemie kam, wurden allein seit 1987 über 1.300 Blasphemieklagen registriert. Als Strafe für Blasphemie sieht das Gesetz den Tod durch den Strang vor – weder mildernde Umstände noch eine Begnadigung sind möglich.

Im aktuellen Amnesty-Magazin widmet sich ein ausführlicher Beitrag Pakistans Blasphemiegesetz und dessen katastrophalen Folgen. Wenngleich sich der Beitrag wesentlich auf die Verfolgung der christlichen Minderheit durch das Gesetz konzentriert, ist er überaus lesenswert, weil Nichtgläubige und Christen in Pakistan dasselbe Schicksal teilen. So heißt es darin etwa: "Die durch die Entwicklungen in Afghanistan, aber auch durch saudischen Einfluss forcierte religiöse Radikalisierung Pakistans sorgt dafür, dass es immer wieder zu Mobattacken gegen Menschen kommt, die den Islam verunglimpft oder den Propheten beleidigt haben sollen. Das schafft eine Atmosphäre des Misstrauens und der Einschüchterung. Angestachelt durch intolerante Prediger üben gottesfürchtige Dorf- und Stadtbewohner Selbstjustiz aus, statt auf eine Untersuchung durch die Polizei zu warten."

Trotz dieser existenziellen Bedrohung durch Staat und Gesellschaft gibt es Organisationen wie die "Atheist and Agnostic Alliance Pakistan", die der nichtreligiösen Nachrichtenseite Patheos in einer schriftlichen Stellungnahme ihre Sorge über die Ereignisse und die Situation in Pakistan mitteilte.

"Die Verhaftung von Ayaz Nizami und Rana Nouman besorgen uns außerordentlich, der Mord an Mashal Khan alarmiert uns wie noch nie. Wenn in Pakistan die Polizei danebensteht, wenn ein Mob von Studenten, die sich für höher Bildung interessieren sollte, ein solch grausames Verbrechen begeht, ist das ein Verstoß gegen das Gesetz. Was passiert denn, wenn Ayaz Nizami und Rana Nouman im Gefängnis bedroht werden? Werden die Gefängniswärter dann auch nur danebenstehen?" Es werde keine Gerechtigkeit geben, solange "Blasphemie" als Verbrechen angesehen wird und Mörder straffrei davonkommen, schließt die Organisation ihre Stellungnahme, die von einem nicht namentlich genannten Sprecher abgegeben wurde.

Der Vorstandsvorsitzende der International Humanist and Ethical Union (IHEU) Gary McLelland, sagte: "Dieser abscheuliche Mord muss ein Weckruf an die höchstinstanzlichen Richter und all jene Regierungsstellen sowie die Mitglieder der Polizei und anderer Sicherheitsdienste sein, die die Kampagne zur Verfolgung von Einzelpersonen wegen so genannter "Blasphemie" betrieben haben. Denn sie haben den Anti-Blasphemie-Stimmung angeheizt, als sie sich für die Sicherung einzelner Menschenrechte hätten stark machen sollen. Als sie Maßnahmen gegen diejenigen hätten treffen sollen, die gegen die "Gotteslästerer" öffentlich agitiert und ihnen Todesdrohungen geschickt haben, haben sie unschuldige Menschen observieren, verhaften und "verschwinden" lassen." Es sei Zeit, dass Pakistan seine Blasphemie-Verbotsgesetz abschafft und seine inneren sozialen Probleme in den Griff bekomme, so McLelland, der zugleich Sprecher der schottischen Humanisten und einer der Direktoren der Europäischen Humanisten (EHF) ist.

Der brutale Mord an Mashal Khan war inzwischen auch Thema in Pakistans Parlament und im Innenausschuss des Senats. Der Sprecher des Parlaments Javed Abbasi schlug in der Debatte Zeitungsberichten auch vor, dass die Mörder von Mashal Khan stärker bestraft werden sollten als Terroristen. Der Innenausschuss unter dem Vorsitz des kommissarischen Innenministers Rehman Malik stellte nach heftigen Debatten die weitere Verbreitung von Videomaterial des Mordes unter Strafe. Außerdem wurde vorgeschlagen, dass denjenigen, die andere fälschlicherweise der Blasphemie beschuldigen, die gleiche Bestrafung droht wie jenen, die sich der Gotteslästerung schuldig machen.

Wer wissen will, warum die Blasphemiegesetzgebung selbst nicht zum Thema der Diskussion wird, findet in besagtem Amnesty-Beitrag einige Antworten. "Wer es wagt, das Blasphemiegesetz infrage zu stellen, wird von den Extremisten selbst der Blasphemie beschuldigt – und auf die Abschussliste gesetzt", heißt es da. Seit 1990 seien in Pakistan 65 Anwälte und Richter ermordet worden. "Die Situation hat einen Punkt erreicht, wo man keine logische Diskussion mehr führen kann", wird der Ko-Vorsitzende der Menschenrechtskommission in Islamabad Kamran Arif dort zitiert. Es gebe zahlreiche extremistische und militante Gruppen, für die das Blasphemiegesetz "eine Art juristische Nuklearwaffe" darstelle.

Diese Nuklearwaffe bleibt weiterhin unangetastet. Der Vorschlag des Innenausschusses erweist all jenen, die für eine freiere, tolerantere und auf rationalen Argumenten aufgebauten Gesellschaft einen Bärendienst. Denn er setzt Nicht- und Andersgläubige aller Coleur nicht nur auf eine Stufe mit gewaltbereiten Hasspredigern und Menschen, die vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken. Er sagt auch nichts über die fortgesetzte Straffreiheit von Mördern sowie den existenziellen Wahnsinn einer Anti-Blasphemie-Gesetzgebung aus, die, kaum in den Händen religiöser Extremisten, gesellschaftlichen Unfrieden und brachiale Gewalt fördert.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Streichung des Gotteslästerungsparagrafen 166 StGB mehr als überfällig, denn mit der AfD drohen im Herbst nicht wenige religiöse Fanatiker auf dem Ticket der selbsternannten Retter des Abendlandes in den Bundestag einzuziehen.