Vorige Woche besuchten zwei prominente europäische Politiker die polnische Hauptstadt: Der neue deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission. Für den ersten war das der Antrittsbesuch und der zweite kam wegen der Verleihung des Titels "Mann des Jahres", zu dem ihn die größte polnische Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" wählte.
Obwohl die Deutschen und die Polen sich besser denn je verstehen; die kühle Distanz zum Nachbarn Deutschland ist einer der Grundsätzen der Außenpolitik der PiS-Regierung. Deshalb war das für den Gastgeber, Präsident Andrzej Duda, kein leichter Besuch. Der Gast hat ihn aber geschont. Auf dem deutschen Stand der Buchmesse nahm Steinmeier das Buch "Der Zauberberg" von Thomas Mann in die Hand und sprach über Lodovico Settembrini, die Lieblingsfigur des verstorbenen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski (Duda war sein enger Mitarbeiter). Settembrini hat für ein aufgeklärtes Weltbürgertum gestanden.
Hat Andrzej Duda den "Zauberberg" überhaupt gelesen, um diese feine Anspielung zu verstehen? War das alles, was das deutsche Oberhaupt dem polnischen Präsidenten zu sagen hatte; dem Mann, der die Verfassung abermals gebrochen hat? Hoffentlich hat Herr Steinmeier wenigstens die Leute gesehen, die vor dem deutschen Stand auf der Buchmesse die polnische Verfassung in erhobenen Händen hielten als Symbol gegen die PiS-Regierung.
Die Ernennung ausgerechnet Frans Timmermans zum "Mann des Jahres" war für die Regierenden wesentlich bitterer als die delikate Kritik des Bundespräsidenten Steinmeiers. Timmermans als zuständiger Kommissar für die Prüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen hat schon einige Male die polnischen Politiker scharf kritisiert.
Die Feierlichkeiten waren groß angelegt. Die Laudatio auf den Preisträger hielt der ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Włodzimierz Cimosiewicz. Unter den zahlreichen Gästen war auch der letzte Präsident des Verfassungsgerichts, Professor Andrzej Rzepliński.
In einem Interview für die "Gazeta Wyborcza" sagte Timmermans: Bitte, blicken sie auf die großen Demonstrationen in Bukarest, Budapest, Warschau. Auf die Menschen, die auf die Straßen gegangen sind um gegen die Korruption zu protestieren, um die Unabhängigkeit der Hochschulen, Medien, Gerichte zu verlangen. Sie hielten die europäischen Fahnen in den Händen. Doch nicht deshalb, weil sie einen Job in Brüssel haben möchten oder Subventionen aus der EU erwarten. Die europäische Fahne symbolisiert bestimmte Werte.
Kommen wir zurück zu der Frage in der Überschrift des Artikels. Wer bildet die Europäische Union; die Regierungen oder die Bürger? Verpflichten die von Timmermans erwähnten europäischen Werte auch Politiker oder nur die Bürger? Ist das, was in Bukarest, Budapest, Warschau geschieht, nur die innere Angelegenheit Rumäniens, Ungarns oder Polens? Verbietet das politische Dogma, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten nicht einzumischen, Herrn Steinmeier, dem Andrzej Duda im Klartext zu sagen, dass dieser gegen sämtliche europäische Werte verstoßt?
Es flossen Milliarden Euro in Form von EU-Geldern in die neuen östlichen Mitgliedsstaaten. Für dieses Geld werden Autobahnen, Kläranlagen, Fußballstadions, Aquaparks und v.a. gebaut, es werden Denkmäler restauriert und aber auch die Plätze und die Straßen in zahlreichen Städten neu gepflastert. Auf diesen Plätzen versammeln sich und marschieren die Demonstranten in Bukarest, Budapest, Warschau. Sie müssen aber die Flugblätter, die Bannern die sie tragen, die Sprechrohre aus eigenen Taschen finanzieren.
Ich bitte die beiden Herren zu überlegen, ob es nicht wichtiger und dringender ist anstatt weitere Aquaparks zu finanzieren das Projekt "Verteidigung europäischer Werte" zu verabschieden und in Rahmen dieses Projekts die Verteidiger dieser Werte nicht nur in Bukarest, Budapest, Warschau zu unterstützen und zu finanzieren. Sie sind die wahren Mitglieder der Europäischen Union und nicht die rechtskonservativen, nationalistischen, fremdenfeindlichen, korrupten Regierungen.
3 Kommentare
Kommentare
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Bitte nicht vergessen: Die Regierungen in Polen, Ungarn und Rumänien sind die Ergebnisse demokratischer Wahlen. Sie sind also die legitimen Vertreter der Bürger.
Man kann also zunächst begründet annehmen, dass die Regierungen den Willen der Mehrheit der Bürger widerspiegeln.
Wenn man eine Diskrepanz zwischen den Taten der Regierung und dem Willen des Volkes behauptet, dann muss man das argumentieren. Zum Beispiel, indem man Wahlbetrug nachweist, oder die Unterdrückung von Oppositionsparteien, oder die Einschränkung der Medienfreiheit.
Irgendwann, vor nicht allzu langer Zeit, sind diese Regierungen jedenfalls auf völlig demokratische Art und Weise von den Bürgern gewählt worden. Militärputsche waren es ja keine. Deshalb erscheint es mir nicht richtig, so gründlich zwischen "Regierung" und "Bürger" zu unterscheiden, wie das in diesem Artikel geschieht.
Demonstrationen sind kein Garant für eine Mehrheitsmeinung.
Almuth Tauche am Permanenter Link
der Hinweis von N.Schönecker ist - bei unterstellt ehrlichen Wahlergebnissen - wichtig, obwohl je nach dessen durchlebter politischer Kultur des Wahlvokes, dieses kaum durchschauen kann, welche Nachteile ihm selbst er
Es fehlt für alle Bürger an der notwendigen, stärkeren Bildungsausrichtung in Sachen "Werte unserer Demokratie in der Europäischen Union" .
Dieses Defizit wird verstärkt weil die Regierungsverantwortlichen - im Rahmen ihres diplomatischen Handelns wegen wirtschaftlicher Vorteile oder aus sonstigen Zwecken - nicht vorblidlich sind. Sie scheuen sich, die Erreichung unseres gemeinsamen Wertekonsenses z.B. als Voraussetzung für Leistungen aus der Gemeinschaft in Verträgen festzulegen.
Unsere Werte müssten viel stärker operationalisiert und immer wieder beispielhaft beschrieben werden.
Andrzej Wendryc... am Permanenter Link
Viele Regierungen in der jüngsten Geschichte sind aufgrund demokratischer Wahlen entstanden und dann Diktaturen und noch mehr geworden. In Polen soeben geschieht so was.