Kommentar

Hamburg war ein Desaster mit Ansage

Es gibt bereits seit Jahren eine international militante Szene, die Ereignisse wie große internationale Konferenzen und die EZB-Eröffnung nutzt und dort Straßenschlachten plant und durchführt. Wichtig ist stets die internationale Medienberichterstattung. Dass der G-20-Gipfel in Hamburg das Ziel dieser Gruppen sein würde, war zu erwarten. Wer hier als Landesvater mit einem Vergleich zum Hafengeburtstag daneben liegt, darf sich über die Kritik nicht wundern.

Es muss jetzt darum gehen, ein Stück "Ordnung" in die Debatte zu bringen und die unterschiedlichen Fäden einzeln zu untersuchen und dann erst zusammenzufügen. Notwendig ist ein klarer Blick auf die unterschiedlichen gewaltbereiten Tätergruppen, ebenso auf die Strategie der polizeilichen Einsatzführung sowie die Bewertung der Auseinandersetzungen. Kritik am Polizeieinsatz hat nichts zu tun mit einer Entschuldung für die Täter. Sie ist aber notwendig, um aus den Fehlern von Hamburg zu lernen. Nötig sind auch genaue Fakten zur Bewertung der Vorgänge. Parlamentarische Anfragen, auch zum Umgang mit Medien und Rechtsvertretern, werden hier möglicherweise etwas mehr Licht ins Dunkel bringen.

Vergleiche der Extremismusformen

"Linke" erheben mehr oder weniger deutlich den Anspruch, den globalisierten Kapitalismus zu überwinden. Für diese Ziele gingen viele in Hamburg friedlich und gestützt auf das verfassungsmäßig garantierte Versammlungsrecht auf die Straße.

Die Extremisten auf der linken Seite gehen indes einen entscheidenden Schritt weiter. Sie wollen den Staat zerschlagen, der nach ihrer Auffassung nicht mehr ist als ein Büttel des nationalen und internationalen Kapitals. Auf den Trümmern der bürgerlichen Gesellschaft soll dann die neue Gesellschaft errichtet werden. Die Klärung von "Einzelheiten" wird dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf weiteren Mitgliederforen geklärt.

Der Politologe Klaus Schroeder merkt dazu an, dass durch "die Propaganda der Tat" dieses System als angreifbar und zerstörbar vorgeführt werden soll. Die gezielt provoziert Hilflosigkeit einer Polizei, die über Stunden ein Stadtviertel nicht schützen kann, ist dann ein großer Propagandaerfolg nach dem Motto: "Wir haben sie in die Defensive gedrängt."

Schroeder argumentiert überzeugend, dass man die verschiedenen extremistischen Strömungen vergleichen muss, sie aber nicht gleichsetzen sollte. Rechts- und Linksextremismus und Islamismus wollen das bestehende System zwar zerstören. haben aber unterschiedliche Motive und Ziele.

"Die Rechten wollen eine nationale Abschottung und den Nationalismus wieder etablieren. Die Linken wollen die Grenzen öffnen und alle rein lassen. Sie wollen die Nation abschaffen und eine klassenlose Gesellschaft – jedenfalls tun sie so. Die Islamisten wollen einen Gottesstaat errichten. Diese unterschiedlichen Ziele gibt es. Aber im Kampf gegen das System sind sie sich einig" (Schroeder). Zudem richte sich das rechte Gewaltpotenzial oft gegen Ausländer, Fremde oder gegen Flüchtlinge. Dem gegenüber richte sich linke Gewalt gegen politisch Andersdenkende, gegen Burschenschaftler, gegen Banker und gegen vermeintliche oder tatsächliche Rechte. Das Feindbild der Islamisten seien hingegen die Ungläubigen, die mit körperlicher Gewalt zu bekämpften sind. Die Selbstermächtigung zur Gewalt ist dabei jedoch allen extremistischen Strömungen gemeinsam.

Diskussion über Fehler der Sicherheitsstrategie nötig

Das Gewaltmonopol des Staates ist unverzichtbar. Sonst gilt das Recht des Stärkeren. Die Polizei erfüllt eine außerordentlich schwierige Aufgabe. In einem demokratischen Staat wird die Polizei demokratisch durch Parlamente und Öffentlichkeit kontrolliert. Die Polizei wird als menschliche Organisation immer wieder Fehler begehen; auch Polizisten begehen Straftaten.

Wer Diskussionen über Polizeieinsätze, Führungskultur, Qualität von Polizeiarbeit, das Lernen aus Fehlern damit abwürgen will, dass man durch kritische Beobachtung der Polizei in den Rücken falle, verkennt das Wesen der Demokratie und der schwächt zudem auch die engagiertesten und qualifiziertesten Beamtinnen und Beamten in der Polizei selbst.

Wo lagen die Fehler?

Die Fehler der polizeilichen Einsatzstrategie liegen auf der Hand. Die Sicherheitsanalyse selbst war mangelhaft. Fast 500 Beamtinnen und Beamte wurden teilweise schwer verletzt. [1] Unterbringung und Versorgung waren unwürdig. Diese Kritik stützt sich übrigens auf Aussagen von Polizeigewerkschaften und anderen Vertretungen, die gewiss nicht im Verdacht stehen, linke Polizeikritik zu forcieren.

Ein zweiter Fehler der Hamburger Einsatzplanung war deren mangelnde Bereitschaft, aus Erfahrungen anderer Bundesländer zu lernen. So hat Berlin vielfältige Erfahrungen bei der Eindämmung von Gewalt durch eine umsichtige und deeskalierende Polizeistrategie. Stattdessen wurden 200 Berliner Beamtinnen und Beamte in demütigender Weise nach Hause geschickt, weil sie zu laut gefeiert haben, um die Tristesse ihrer Wohncontainer mitten in der Pampa zu überstehen.

Ein weiter Kritikpunkt ist die ausschließliche Konzentration der Verantwortlichen auf den Schutz des großflächigen Konferenzgeschehens mit über 20 Staats- und Regierungschefs und ihrer Stäbe. Hier gilt es aber, sauber zu argumentieren. Es war richtig, die Gäste zu schützen und die Konferenz vor Störungen oder gar einem Platzen zu bewahren. Hätte die Polizei hier falsche Zurückhaltung geübt, wären die Staatsgäste nicht aus ihren Hotels herausgekommen oder sogar persönlich gefährdet gewesen. Diese Risiken galt es – mit Recht – unbedingt zu vermeiden.

Die ausschließliche Fixierung auf den Schutz des G-20-Treffens hatte indes eine fatale Nebenfolge. Der Schutz des Versammlungsrechts und des friedlichen Protests blieben auf der Strecke. Vielmehr geriet jede Form des Protests unterschiedslos unter Generalverdacht. Das Theater um die Schlafplätze und die vorschnelle Auflösung einer genehmigten Demonstration wegen der Teilnahme Vermummter waren für die gewaltbereiten Tätergruppen aus dem In- und Ausland dann auch die willkommene Kulisse. "Abgerundet" wird das Bild noch durch Vorwürfe hinsichtlich des Umgangs mit Journalistinnen und Journalisten. Das wird in jedem Fall ein parlamentarisches Nachspiel haben.

Das harsche Vorgehen auch gegen friedliche Demonstranten mit ihren sehr berechtigten Anliegen hat die Versammlungsfreiheit nicht gestärkt. Es hat vielmehr den längst vorhandenen und mitgebrachten – Hass derer noch mehr angestachelt, die mit dem Vorsatz gekommen waren, die halbe Stadt "platt zu machen" und rücksichtlos Leben und Gesundheit von Menschen zu gefährden. Wie bereits angeführt: Kritik an Fehlern der Sicherheitsorgane dient dazu, derartige Geschehen in Zukunft zu vermeiden, nicht aber, schwere Straftaten zu bemänteln und zu entschuldigen!

Linksautonome isolieren!

Es sollte endlich Schluss gemacht werden mit all den Verharmlosungen sich als "links" gerierender Gewalt. Auch für Menschen mit einer linken Grundhaltung sollte gelten, dass Autonome "keine von uns" sind. Die Aussage, Gewalt habe nichts mit "links" zu tun, ist genauso dümmlich wie der islamische Verbändechoral, wonach der politische Islamismus nichts mit dem Koran zu schaffen hat.

Von daher sollten Diskussionen etwa über die Zukunft der "Roten Flora" pragmatisch und rechtsstaatlich vernunftorientiert geführt werden. Es darf aber keine politische Garantenstellung für diese Orte geben. Rechtsfreie Räume sind Räume, in denen das Recht des Stärkeren gilt. Das kann keine Zukunft haben.

Ob Gesetzesänderungen nötig sind, erscheint mir zweifelhaft, sollte aber nicht reflexhaft diskutiert werden. Nichts hindert die Sicherheitsorgane daran, Straftaten gegen Leib, Leben und Eigentum von Menschen zu verfolgen. Letztlich wird es jetzt darauf ankommen, möglichst viele Tatverdächtige zu erkennen und vor Gericht zu stellen. Hier sind die Sicherheitsbehörden in der Pflicht, mögliche Gesetzeslücken konkret zu benennen und nicht als Ausrede für eigene Fehler zu missbrauchen.

Es wird entscheidend darauf ankommen, so viele Verdächtige wie möglich anzuklagen. Ob darüber hinaus eine europäische Datei von Linksautonomen – analog zur Hooligan-Datei – geschaffen werden müsste, sollte ohne die üblichen kurzatmigen Schnellschüsse beraten und sorgfältig abgewogen werden. Hier bestehen einige Missbrauchsgefahren. Die Definition von "Gewalt" ist in den verschiedenen Ländern der EU uneinheitlich. Es wäre beispielsweise höchst misslich, wenn am Ende die polnische- oder ungarische Regierung mit Hilfe dieser Extremistendatei politisch missliebige Personen an einer Ausreise hindern könnte. Klar ist aber auch, dass Europa nicht tatenlos zuschauen kann, wenn vagabundierende Gruppen von Gewalttätern ganze Innenstädte demolieren und Menschen in Todesgefahr bringen.


[1] Nach aktuellen Angaben ist die Zahl der verletzten Polizisten viel geringer.