Gerichtsverhandlung

Atheismus als Asylgrund

Weil er als atheistischer Blogger in Pakistan um sein Leben fürchten muss, floh Hussain P. 2015 nach Deutschland und beantragte Asyl. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Antrag ab. Am Mittwoch wurde der Fall vor dem Verwaltungsgericht Münster verhandelt.

Hussain P.* stammt aus einer streng religiösen Familie in Pakistan. Sein Vater ist Imam. Auch Hussain, der heute Mitte Zwanzig ist, besuchte eine Islamschule. Doch kamen ihm während dieser Zeit erste Zweifel am Islam und an Religionen insgesamt. Vor allem, dass sich Angehörige unterschiedlicher Religionen und sogar religiöse Sekten innerhalb derselben Religion blutig bekämpfen, schreckte ihn ab. Durch seine theoretische Beschäftigung mit den Grundlagen der Religionen wurde er zum Atheisten. Doch als Kind einer streng religiösen Familie konnte er sich niemandem anvertrauen. Im Internet traf er auf Gleichgesinnte aus anderen muslimischen Ländern und beschloss 2014, ebenso wie sie in ihren Ländern auch in Pakistan atheistische und humanistische Gedanken im Internet zu verbreiten und die Menschen über die zweifelhaften Grundlagen und Auswirkungen der Religion aufzuklären. Er begann, anonym zu bloggen.

Doch 2015 verschärfte sich die Situation in Pakistan. Die Regierung nahm verstärkt das Internet und die Sozialen Medien ins Visier, um dort stattfindende Verstöße gegen das Blasphemie-Gesetz des Landes zu ahnden, das im schlimmsten Fall die Todesstrafe vorsieht. Wobei es im Islam bereits Blasphemie ist, an der Existenz eines Gottes zu zweifeln. Aber nicht nur von staatlicher Seite droht einem säkularen Blogger in Pakistan Gefahr, sondern auch durch die immer mehr erstarkenden fundamentalistischen Kräfte im Land. Umso mehr als laut Koran der Abfall vom Islam mit dem Tode zu bestrafen ist und jeder Muslim dazu berechtigt ist, diesen Akt der Bestrafung durchzuführen.

Als 2015 religiöse Fundamentalisten auf Hussain aufmerksam wurden, entschloss er sich zur Flucht. Im Oktober 2015 erreichte er Deutschland. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte seinen Asylantrag im Dezember 2016 ab. Die Begründung: Bei Bedrohungen durch fundamentalistische Muslime handele es sich lediglich um kriminelle Handlungen Einzelner und im Übrigen könne Hussain ja in der Anonymität der Großstädte untertauchen. 

Angesichts der weiteren Verschärfung, die die Lage in Pakistan seit Hussains Flucht erfahren hat, eine geradezu zynische Begründung. Anfang 2017 verschwanden fünf säkulare Blogger in Pakistan spurlos, im April wurde dort ein Student zu Tode geprügelt, weil er sich auf Facebook den Beinamen "Der Humanist" gegeben hatte, und im Juni 2017 wurde ein Mann wegen eines angeblich blasphemischen Kommentars bei Facebook offiziell zum Tode verurteilt. Grund genug, gegen den ablehnenden Asylbescheid des BAMF beim Verwaltungsgericht Klage einzureichen.

Laut Michael Labrenz, Pressesprecher des Verwaltungsgerichts Münster, spielt Religion bei den dortigen Asylverfahren eine immer größere Rolle. Meist werde hierbei der Übertritt vom Islam zum Christentum als Asylgrund genannt. Das Gericht müsse deshalb in jedem Einzelfall prüfen, ob es sich um einen vorgeschobenen Grund handle, oder ob der Betreffende tatsächlich tiefere innere Gründe für die Änderung seiner weltanschaulichen Ausrichtung habe und ob er aufgrund dieser Repressalien in seinem Heimatland zu befürchten habe.

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Im Gerichtssaal (Foto: © Daniela Wakonigg)

Auf Herz und Nieren geprüft wurde auch Hussain in der knapp zweistündigen Verhandlung am Mittwoch. Richterin Bozovic wollte von ihm genau wissen, wie es dazu kam, dass er sich vom Islam abgewandt habe, wie er sich weltanschaulich-philosophisch positioniere und wie die Abkehr vom Islam sein tägliches Leben und die Beziehung zu seiner Familie beeinflusst habe. Hussain antwortete auf Deutsch. Unter anderem berichtete er davon, dass sein Vater ihm empfohlen hat, mehr zu beten, und dass ihn seine Mutter als "schmutzig" bezeichnete. Ergänzt wurden Hussains persönliche Ausführungen durch Erklärungen von Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, die vom Gericht informatorisch angehört wurde.

Zu einer Entscheidung kam das Gericht am Ende der Verhandlung noch nicht. Richterin Bozovic teilte mit, dass sie die Entscheidung im Verlauf der kommenden Wochen schriftlich Hussains Anwalt mitteilen werde. Allerdings deutete ihre intensive Beschäftigung mit der aktuellen politischen und religiösen Situation in Pakistan darauf hin, dass sie zugunsten von Hussain P. entscheiden könnte.

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Dem Gericht und der Presse stand Mina Ahadi vom Zentralrat der Ex-Muslime Rede und Antwort (Foto: © Daniela Wakonigg)

Für Mina Ahadi wäre es wünschenswert, wenn Atheismus bei Menschen aus muslimischen Ländern endlich grundsätzlich als Asylgrund anerkannt würde. "Wer sich entscheidet, dem Islam abzuschwören, durchlebt einen schmerzhaften Prozess", so Ahadi. "Nicht nur, weil einem das alles von Kindesbeinen an als wahr verkauft wurde, und deshalb ein Teil von einem selbst kaputt geht, sondern auch und vor allem, weil es in muslimischen Ländern durch den Abfall vom Glauben massive Probleme mit der eigenen Familie und dem Staat gibt und man sozusagen zum Abschuss freigegeben ist. Für westliche Gesellschaften sind diese Menschen dagegen eine große Bereicherung, denn sie sind meistens sehr modern eingestellt."

Für Hussain jedenfalls ist es eine Bereicherung, dass er in Deutschland mit all seinen Freiheiten angekommen ist und von dort aus seine säkularen Blogs weiter betreiben kann. "Ich habe als der Mensch, der ich wirklich bin, erstmals in Deutschland gelebt", sagte Hussain dem Gericht. "Vorher war ich ein toter Mensch - jetzt bin ich endlich kein Zombie mehr."

(* Name von der Redaktion geändert)


Hinweis der Redaktion: Bereits vor einigen Jahren hat die Giordano-Bruno-Stiftung ein Grundlagenurteil zum Thema "Asyl für Ex-Muslime" erkämpft.