Energiepolitik

Wider das Schwarz-Weiß-Denken der Puristen

Die Realitätsleugnung in Sachen globaler Erwärmung sind wir ja leidvoll gewohnt. Doch leider verschließen auch einige Klimakämpfer und „Klimaretter“ die Augen vor Fakten. In der aktuellen Ausgabe von Correctiv Spotlight wird im Endspurt des Wahlkampfes gegen „Klimaverschmutzer“ hyperventiliert. Dazu gehört nicht nur die böse Industrie, sondern Landwirte, Gewerkschaften und Entscheider in der Politik. Die Feindbilder sind ausgemacht und sie müssen an den Pranger gestellt werden.

Es steht außer Zweifel, dass der Klimawandel ein erhebliches Problem darstellt. Und es ist auch klar, dass es hierfür Lösungsansätze gibt. Einige, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien, sind vorangekommen. Deutschland liegt hier sogar vorn.

Das Correctiv-Autorenteam weist zu Recht auf die Empfehlungen des Weltklimarates IPCC hin. Nur: Die Autoren verschweigen einen Teil der IPCC-Vorschläge. Dieser Teil betrifft auch Deutschland: Im Papier wird ausdrücklich die Kernkraft als eine von fünf breiten Option genannt.

Der IPCC empfiehlt:

Increasing the use of nuclear power. Nuclear energy could replace baseload fossil fuel electricity generation in many parts of the world if acceptable responses can be found to concerns over reactor safety, radioactive waste transport, waste disposal, and proliferation.
(Übersetzung: … die Nutzung von Kernenergie zu vergrößern. Kernenergie könnte die Basislast der zurzeit durch fossile Träger getragenen Stromversorgung ersetzen, wenn akzeptable Antworten zu den Befürchtungen über Reaktorsicherheit, Transport und Lagerung von radioaktivem Abfall und Proliferation (von Kernwaffen) gefunden werden.)

Und das hat was mit Deutschland zu tun?

Alle bisherigen Fortschritte bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien wurden nicht dazu genutzt, Kohlekraftwerke abzuschalten. Es wurden Kernkraftwerke stillgelegt. Damit wird eine angeblich umweltschützerische Priorität deutlich: Der Klimawandel ist nicht so schlimm wie die Gefahren der Atomkraft.

Auch die Umstellung von Kohle auf Gas – ebenfalls vom IPCC empfohlen – würde erhebliche Verbesserungen in Sachen Klima bewirken. Der Einsatz von erneuerbaren Energien ist eine der genannten fünf Maßnahmen, neben Kernenergie und der Ersetzung von Kohle durch Gas.

Im neuesten, fünften IPCC Bericht (AR5) heißt es in Kapitel 7:

Multiple options exist to reduce energy supply sector GHG emissions(robust evidence, high agreement). These include energy efficiency improvements and fugitive emission reductions in fuel extraction as well as in energy conversion, transmission, and distribution systems; fossil fuel switching; and low-GHG energy supply technologies such as renewable energy (RE), nuclear power, and carbon dioxide capture and storage (CCS). [7.5, 7.8.1, 7.11]

Kurz übersetzt: Es gibt mehrere Optionen, um im Energiesektor Treibhausgase zu reduzieren, nicht nur erneuerbare Energien und Kernkraft. Gas wird in einem späteren Absatz ebenfalls erwähnt.

In Deutschland hingegen gilt dogmatisch: Alles andere als erneuerbare Energien ist ein Sakrileg! Man sucht sich aus den IPCC-Berichten einfach heraus, was einem in den Kram passt, und ignoriert den Rest.

wagner

Die Veröffentlichung von Friedrich Wagner, Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Greifswald, zeigt eindrucksvoll (Eur. Phys. J. Plus (2016) 131: 445), was ein Nichtausstieg aus der Kernenergie und die Umstellung von Kohle auf Gas auf die Stromerzeugung bewirken würde.

Die roten Punkte zeigen, wo wir ohne Abschaltung der Kernkraftwerke wären. Die weißen zeigen, wo wir ohne Abschaltung der Kernkraftwerke und mit dem Umstieg von Kohle auf Gas wären. Die Emissionen 2022 wären nur halb so groß. Wäre das nicht ein Grund, mal über den eigenen Schatten zu springen?

Die Welt ist nicht einfach, und es gibt keine Patentlösung für komplexe Probleme. Deshalb geht es mir auch nicht darum zu behaupten, dass etwa Kernkraft und Gas allein die Lösung wären. In einer komplexen Welt brauchen wir eine differenzierte Antwort auf die Herausforderung Klima, und dürfen dabei die ebenso wichtige Herausforderung Ernährung nicht vergessen.

Wir leben jedoch offenbar in einer Zeit des Schwarz-Weiß-Denkens und der Puristen. Seine Vertreter kennen nicht nur das Problem, sondern haben auch die einzige Lösung, die wir alle unter hohem moralischen Druck akzeptieren sollen, ohne die Tauglichkeit der Rezepte zu hinterfragen.

In diesem Zusammenhang steht auch meine Kritik am Buch von Harald Lesch und Klaus Kamphausen "Die Menschheit schafft sich ab" im aktuellen SKEPTIKER 3/2017.

Und noch etwas sollten wir bei der Behandlung der Gefahren nicht vergessen: den Nutzen. Die Entwicklung in der Welt hat uns in den letzten 200 Jahren sehr große Fortschritte gebracht, wie die Zusammenfassung unten zeigt.

Grafik

Wir haben einiges erreicht. Dazu haben Kohle und fossile Energien beigetragen.

Gleichzeitig wissen wir inzwischen, dass die Nutzung fossiler Energien erhebliche Nachteile mit sich bringt, die die Vorteile überwiegen. Deshalb müssen wir aus der Kohleverbrennung aussteigen. Und heute verfügen wir über Alternativen.

Dennoch habe ich volles Verständnis für die Bergarbeiter, die sich um ihre Zukunft sorgen. Sie haben viel für uns alle geleistet und ihnen gebührt Respekt.

Es sollte selbstverständlich sein, dass Politiker bei ihren Entscheidungen die Angst von Bürgern um ihre berufliche Zukunft berücksichtigen. Gleichwohl kann man sich sehr wohl anschließend wegen der Lösungen die Augen reiben. Der Weiterbetrieb von Braunkohlekraftwerken ist von allen denkbaren Lösungen die schlechteste.

Was wir wirklich benötigen, ist die Kombination von gesellschaftlich sinnvollen Projekten, wie den Kohleausstieg, mit der Wertschätzung gegenüber den vielen Beschäftigten, die zum Nutzen aller im Bergbau tätig waren und heute noch sind. Sie sollten nicht die Zeche dafür bezahlen müssen, dass wir alle jetzt zu neuen Erkenntnissen gekommen sind.

Wir brauchen aber auch eine Abkehr vom blinden Wutbürgertum gegen die Kernkraft. Beides sind Herausforderungen für die Politik.

(Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog der GWUP.)


Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde am 20.09.2017 um einen Absatz ergänzt.