Über die Freiheit, einen imaginären Gott zu beleidigen

BERLIN. (hpd/rdf) Ein Artikel von Sam Harris aus dem September 2012 wurde in diesen Tagen noch einmal aktuell. Er schreib diesen Text, als es wegen des Videos “Unschuld der Muslime” zu wütenden Protesten und Angriffen auf Botschaften durch Islamisten kam. Angesichts von Reaktionen, die nach den Terroranschlägen von Paris nach mehr Toleranz für und Rücksicht auf Religionen rufen oder gar eine Verschärfung des Blasphemie-Gesetzes fordern, hat die Richard Dawkins Foundation (RDF) den Artikel übersetzt und online gestellt.

Die jüngste Welle muslimischer Hysterie und Gewalt hat sich nun auf über zwanzig Nationen ausgebreitet. Die Mauern unserer Botschaften und Konsulate wurden durchbrochen, die Grundstücke wurden dem triumphierenden Mob überlassen und viele Menschen wurden getötet – alles als Reaktion auf ein nicht sehenswertes Internet Video mit dem Titel: “Unschuld der Muslime”. Ob nun wegen eines Films, eines Cartoons, einer Geschichte, eines Schönheitswettbewerbs, oder eines unglücklich benannten Teddybärs, die darauf folgenden Ausbrüche frommen Zorns sind so vorhersehbar wie die Dämmerung. Das ist bereits eine alte und langweilige Geschichte, über alte, langweilige und tödliche Ideen. Und ich befürchte sie wird uns für den Rest unseres Lebens begleiten.

Unsere Panik und moralische Verwirrung nahmen zuerst in Angriffen auf den unglücklichen Gouverneur Romney Gestalt an. Ich bin kein Fan Romneys und ich fände die Aussicht auf seine Präsidentschaft lächerlich, wenn sie nicht so deprimierend wäre, aber er hat die ersten Aufschreie der Angst in den Reaktionen der Obama Administration auf diese Krise sehr genau erkannt. Romney hat die Abfolge der Geschehnisse falsch gedeutet – in dem er, wie viele andere auch, ein Statement der U.S. Botschaft in Kairo mit einer offiziellen Antwort der Regierung auf die Ermordung von Amerikanern in Libyen verwechselte. Aber die Wahrheit ist, dass das Weiße Haus das gleiche Entschuldigungsschreiben veröffentlichte, in der sie die beleidigende Rede verleugnete, während sie behauptete die Freie Rede an sich zu verteidigen. Es mag ein kleines Detail sein, der Hitze der Situation geschuldet, aber das ist eine zitternde Lippe auch.

Unsere Regierung folgte dem Weg des Appeasement weiter, in dem sie versuchte den unbezähmbaren Vollidioten Pastor Terry Jones zum schweigen zu bringen, der das Verbrennen von Ausgaben des Koran gerade so lange unterbrach, wie er brauchte um den Film zu veröffentlichen. Die Administration verlangte außerdem von Google “Unschuld der Muslime” von den Servern zu entfernen. Diese Manöver zeugten von einer von zwei psychologischen und diplomatischen Realitäten: Entweder ist unsere Regierung nicht willens das Problem beim Namen zu nennen, oder das Problem ist so groß und bedrohlich, dass wir uns entschieden haben, die Barbaren vor den Toren zu besänftigen.

Die Seuche der moralischen Feigheit nahm ihren gewohnten Gang, indem liberale Journalisten und Experten damit begannen, unsere grundlegendste Freiheit im Lichte der sadomasochistischen Wut, die unter Moslems auch als “religiöse Empfindlichkeit” bekannt ist, neu zu überdenken. Mitwirkende der New York Times und NPR (A.d. Ü.: National Public Radio) sprachen von der Notwendigkeit, eine Balance zwischen der Freiheit der Rede und der Freiheit der Religion zu finden – als ob letztere möglicherweise durch ein YouTube Video verletzt werden könnte. So vorhersehbar wie das mobben von Moslems wurde, scheint die moralische Verwirrung von Liberalen ein Teil des Räderwerks zu sein.

Sam Harris
Sam Harris

Man bedenke was tatsächlich passiert: Einige Prozent der Moslems auf der ganzen Welt – fünf Prozent? Fünfzehn? Fünfzig? Das ist noch nicht klar – verlangen, dass alle Nicht-Muslime sich den Einschränkungen Islamischen Rechts unterwerfen sollen. Und wo sie bei ihren Protesten nicht direkt auf Gewalt zurückgreifen, drohen sie damit. Ein Schild mit der Aufschrift: “Köpft die, die den Propheten beleidigen”, mag noch als Beispiel friedlichen Protests zählen, aber es ist ebenso eine Versicherung, dass das Blut der Ungläubigen vergossen würde, wenn der Dummkopf, der das Plakat hochhält mehr Macht hätte. Dieses groteske Versprechen wird natürlich in fast jeder islamischen Gesellschaft gegeben. Einen Film wie die “Unschuld der Muslime” irgendwo im Mittleren Osten zu machen wäre mit gleicher Sicherheit eine Methode des Selbstmords wie die Gesetze der Physik.

Was zeigte der Film genau? Wer hat ihn gemacht? Was waren ihre Motive? Wurde Mohammed wirklich dargestellt? Brannte da ein Koran, oder ein anderes Buch? Fragen wie diese sind obszön. An dieser Stelle muss ein Strich gezogen und ohne Entschuldigung verteidigt werden. Wir haben die Freiheit den Koran oder jedes andere Buch zu verbrennen und Mohammed oder jeden anderen Menschen zu kritisieren. Das sollte niemand vergessen.

In solchen Momenten hören wir unweigerlich – von Leuten, die nicht wissen wie es ist, an das Paradies zu glauben – das Religion nur ein Weg ist öffentliches Unbehagen zu kanalisieren. Die wahre Quelle des Problems kann in der Geschichte der westlichen Aggression in der Region gefunden werden. Es ist viel mehr unsere Politik als unsere Freiheit, die sie hassen. Ich glaube, dass die Zukunft des Liberalismus – und vieles andere auch – von der Überwindung dieser ruinösen Selbsttäuschung abhängt. Religion wirkt nur als Vorwand für politische Gewalt, weil Millionen Menschen glauben was sie sagen, dass sie glauben, dass imaginäre Verbrechen wie Blasphemie oder Apostasie Straftaten sind, die den Tod rechtfertigen.