Großbritannien

Religions-Chef der BBC ist Atheist

In einem Radiointerview kurz vor Weihnachten enthüllte James Purnell, Chef des BBC-Radios sowie der Bildungs- und Religionsabteilung des öffentlich-rechtlichen britischen Senders, dass er Atheist ist. Ein Sturm des Entsetzens fegte durch die englische Boulevard-Presse und heizte religiöse Gemüter an.

Es war der 20. Dezember 2017 gegen 7:20 Uhr morgens. In der täglichen Morgen-Show "Today" auf BBC Radio 4 interviewte Moderator Nick Robinson seinen Chef James Purnell, Leiter der BBC-Radioprogramme. Thema: Eine demnächst anstehende Änderung in der Programmausrichtung des Senders. Nicht gerade etwas, das schlaftrunkene Radiohörer vor Aufregung ihren Kaffee verschütten lässt. Moderator Robinson offenbarte, dass die BBC plant, demnächst ihre Berichterstattung über Religionen aller Art auszubauen, statt, wie bisher, das Religiöse in erster Linie auf dem Gottes-Sendeplatz "Gedanken zum Tage" zu belassen.

Langsam wurde es also interessant – wenigstens für den ungläubigen Hörer, dessen Kaffeehand bei der Vorstellung einer Zunahme von religiöser Berieselung im Öffentlich-Rechtlichen vor Wut vielleicht doch ein leichtes Zittern ergriffen haben mag. Doch zum Glück stellte sich Moderator Robinson mit genau der richtigen Frage diesem wütenden Zittern entgegen: "Gerade erst hat eine Umfrage ergeben, dass mehr als die Hälfte von uns keiner Religion angehört – warum also setzt die BBC auf mehr Religion?"

Als langjähriger Politiker der Labour-Partei und Medienmacher in gehobener Position lieferte Purnell die passende Hochglanz-Antwort auf diese unangenehme und im höchsten Maß berechtigte Frage ab: " Nun, es ist wichtig, um zu verstehen, wer wir sind, wie wir gut leben, wer wir als Gesellschaft sind. Man muss ja verstehen, woher wir kommen, unseren religiösen Hintergrund als Gesellschaft und unseren Glauben. (…) Man kann Großbritannien nicht verstehen und auch nicht, wie sich die Welt verändert, ohne Religion und Glaubensüberzeugungen zu verstehen."

Und noch mehr enthüllte Purnell. Es gehe nämlich nicht allein darum, dass religiöse Feste oder verschiedene Religionen stärker im Programm der BBC repräsentiert werden, sondern darum "Religion und Glauben ernster zu nehmen". "Es wird bei uns beispielsweise in den BBC Nachrichten ein Spezialteam für globale religiöse Angelegenheiten geben, um sicherzustellen, dass wir fachlich qualifiziert sind, Fakten richtig zu verstehen", sagte Purnell. Insgesamt gehe es darum, dass Religion nicht an den Rand gedrängt werde, so Purnell, vielmehr wolle man sicherstellen, dass sie "im Herzen unseres Programms ist und in einer Art und Weise aufbereitet wird, die wirkungsvoll ist und Menschen dazu bringt, hinzusehen, nachzudenken und ihre Sichtweisen in Frage zu stellen."

Moderator Nick Robinson stellte seinem Chef nun eine offensichtlich unerwartete Frage. Nämlich, ob er denn selbst religiös sei. Purnells Antwort nach einem kurzen Moment der Überraschung: "Nein, das bin ich nicht. Ich bin Atheist." Trotzdem fände er die neue Programmausrichtung aus den genannten Gründen wichtig.

Während sich der eine oder andere ungläubige Kaffeetrinker an dieser Stelle wahrscheinlich zu Recht verschluckt hat, sprangen bei einigen religiösen Bevölkerungsteilen die Alarm-Module an. Dass ihr Glaube demnächst mehr Raum im BBC-Programm einnehmen würde – was bedeutet das schon angesichts der Tatsache, dass ein Atheist die Religionsabteilung der BBC leitet? Ein weiterer Schlag gegen sie, die zuerst hinnehmen mussten, dass nach Jahrzehnten christlicher Besetzung dieses Postens ein Muslim zum Leiter der Programmabteilung geworden war, um schließlich zu ertragen, dass der Posten ganz abgeschafft und seine Funktion dem Portfolio von BBC-Radio-und Bildungs-Chef Purnell zugeschlagen wurde. Und jetzt auch noch das: Purnell outet sich als Atheist!

Die britische Boulevard-Presse stürzte sich genüsslich auf die unerwartete, vorweihnachtliche Offenbarung von Purnell. Die Online-Zeitung Metro berichtete gar davon, dass einige Hörer außer sich gewesen seien. So zum Beispiel eine 50-jährige Dame aus Warwick, deren Cornflakes beinahe auf dem Boden gelandet wären, als sie Purnells Offenbarung im Radio hörte. "Wie um alles in der Welt kann er sich mit Hingabe, Sorgfalt und Interesse religiösen Inhalten widmen, wenn er denkt, dass das alles Unsinn ist? Das ist so als würde man einem Anarchisten die Aufsicht über ein Gefängnis übertragen. Das zeigt, wie wenig sich die BBC um uns kümmert, diejenigen die (…) tatsächlich gläubig sind und in die Kirche gehen. Wenn Mr. Purnell auch nur eine Unze Redlichkeit in sich hätte, würde er kündigen und jemanden den Job machen lassen, der besser dafür geeignet ist."

Sicherlich wird James Purnell in den kommenden Tagen mit einigen Stapeln Hörerpost von erzürnten religiösen Menschen zu kämpfen haben. Dabei sollte ihn eigentlich noch weit mehr erzürnte Hörerpost von nicht-religiösen Menschen erreichen. Denn dass jemand, der als Atheist eigentlich die Problematik von Religionen erkannt haben sollte, dafür sorgt, dass sie im Programm ernster genommen werden und mehr Raum erhalten, der also eine öffentlich-rechtliche Missionierung ins Leben ruft in einer Zeit, in der die Religionszugehörigkeit unter die 50% Marke gerutscht ist – das ist der eigentliche Aufreger der Purnellschen Offenbarung.