Große Menschenaffen

Gibt es eine Grammatik der Schimpansen?

BERLIN. (hpd) Die Schimpansen des Taï-Nationalparks in der Elfenbeinküste mögen Nauclea-Früchte. Die junge kanadische Primatenforscherin Ammie Kalan vom Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig fand heraus, dass sie nahe dieser Fruchtbäume stets einen spezifischen Futterruf ausstoßen. Dabei ändern sie ihn in der Tonhöhe, je nachdem, wie groß der Nauclea-Baum ist. Im Interview mit dem hpd erläutert Ammie Kalan die Bedeutung dieser Entdeckung.

hpd: Sie untersuchten bei Ihren Forschungen an den Schimpansen im Taï-Nationalpark während der Futtersuche der Tiere die verschiedenen Tonfolgen angesichts fünf unterschiedlicher Fruchtbaumarten.

Ammie Kalan: Die Futterrufe waren dabei deutlich anders für Nauclea diderichi, wo im statistischen Mittel die Töne höher waren, als für die vier anderen in die Untersuchung miteinbezogenen Fruchtarten.

 

Sie fanden nun weiter heraus, dass sich, wenn sie auf einen solchen Baum stoßen, die Tonhöhe eines Futterrufes der Schimpansen je nach Größe des Fruchtbaums Nauclea diderichi ändert und so eine zusätzliche Information zur Futtermenge neben der Fruchtart des Baumes enthält. Kann man von nun an von einer Sprache mit elementarer Grammatik bei den Schimpansen sprechen?

Ja, wir fanden heraus, dass die Höhe der Töne direkt die Größe des Umkreises auf dem Boden, innerhalb dessen die Früchte gefunden wurden, reflektierte. Doch ich glaube, es ist zu früh, von einer Schimpansengrammatik zu sprechen. In der Tat zeigen unsere Forschungen, dass die Lautäußerungen der Schimpansen sehr komplex sind und viel mehr Informationen enthalten können, als wir vorher gedacht haben, aber wir brauchen viel mehr Untersuchungen über die Reaktion auf diese Rufe.

 

Wie ist auszuschließen, dass nicht abhängig von der Futtermenge mit mehr oder weniger Enthusiasmus auch einfach geäußert wird: “viele” oder “sehr, sehr viele Nauclea-Früchte”? Also eine Art Begeisterungs-Exklamation, die sich mit der Menge des zu erwartenden Futters steigert?

Ammie Kalan
Ammie Kalan

Ein interessanter Aspekt unserer Resultate ist, dass Futterrufe in niedrigerer Tonlage in Zusammenhang mit größeren Nauclea-Bäumen auftreten. Das ist das Gegenteil von dem, was zu erwarten wäre, wenn die Schimpansen nur Aufregung ausdrückten. Wir nehmen daher an, dass es zusätzliche Gründe dafür geben muss, warum diese besondere Modifikation des Futterrufs beobachtet wurde, wie zum Beispiel, dass niedrigere Tonlagen im Urwald eine größere Reichweite haben.

 

Wie kann man sicher sein, dass es sich nicht um ein angeborenes Lautrepertoire handelt, wie sie Cheney bei den Makaken betreffs Feinden beobachtet hat? Dazu müsste man ja ausschließen können, dass Schimpansen irgendwo anders in einer identischen Situation nicht auch gleiche Laute von sich geben.

Genau, wir können nicht sicher sein, ob der Futterruf angeboren ist oder nicht, da wir bis jetzt nur die Daten einer Schimpansengruppe untersucht haben. Da Schimpansen in sehr verschiedenen Habitaten leben können und eine entsprechend sehr unterschiedliche Diät haben, ist anzunehmen, dass in den verschiedenen Gruppen unterschiedliches Futter bevorzugt wird, was wiederum unterschiedliche Futterrufe hervorgebracht haben könnte.

 

Rufen die Schimpansen derartig differenziert vor dem Baum, wenn alle dort sind, oder wird einer Gruppe damit ein Futterziel gewiesen? Was passiert dann nach diesen Lauten? Folgt die Gruppe automatisch dem Rufer? Kommt es zu einer Art Entscheidungsfindung? Wenn ja, wie? Oder sind die von Ihnen beschriebenen Lautfolgen selbst schon Aufforderung, nicht nur Mitteilung nach dem Motto: “Kommt mit mir zu einem so und so großen Nauclea-Fruchtbaum”? Womit die Tonfolge ja schon drei Aussage-Elemente enthielte.

Diese Rufe werden von den Schimpansen ausgestoßen, wenn sie bereits am Baum sind und futtern. Was unsere Untersuchungen nahe legen, ist, dass in der Nähe befindliche Schimpansen den Ruf hören und sich zu dem Rufer am Baum gesellen. Wir haben an großen Nauclea-Bäumen, angezogen von Futterrufen, mehr Schimpansen gesehen.

Die Schimpansen stoßen jedoch nicht immer Futterrufe aus, und es kommen nicht immer andere Schimpansen hinzu. Deshalb muss es auf Seiten des Rufers einen Entscheidungsprozess geben, genauso wie auf der Seite des Gerufenen.

Wir analysieren gegenwärtig unsere Daten weiter daraufhin, ob wir erfassen können, warum die Schimpansen manchmal diesen Ruf ausstoßen und manchmal nicht. Weitere Untersuchungen werden nötig sein, um dahinterzukommen, wie die Schimpansen in der Nähe, die den Ruf hören, wohl entscheiden, ob sie sich an der Futtersession beteiligen oder nicht.

 

Man hat eine angeborene differenzierte Kommunikation über Feinde bei einigen Tieren festgestellt. Hier geht es aber um Futter. Ist dieser Bereich eher eine Sache einer erlernten und tradierten Sprachkultur? Auch weil hier viel mehr Varianten möglich sind. Wohingegen vielleicht bei dem, was unbedingt zu vermeiden ist, bedeutend weniger variabel und sicherer über den Instinkt kommuniziert wird.

So haben manche Forscher tatsächlich argumentiert, und es ist wahr, dass Irrtum und Variation bei den Futterrufen einen größeren Raum einnehmen als bei den Alarmrufen vor Raubtieren, denn immerhin steht hier nicht gleich das Leben auf dem Spiel. Das führt jedoch auf Ihren dritten Fragenkomplex zurück – wir brauchen noch viel mehr Daten unterschiedlicher Schimpansengruppen, um herauszufinden, wann es sich um gruppenspezifische Abweichungen handelt, die nicht einem genetisch angeborenen Repertoire zugeschrieben werden können.

 

Das Interview führte Simone Guski für den hpd.