Interview

Integration ist kein Diktat "von oben"

Der islamische Theologe Abdel-Hakim Ourghi fordert im Interview die Trennung von Politik und Religion auch im Islam. Er fordert die in Deutschland lebenden Muslime auf, sich als Bürgerinnen und Bürger Deutschlands zu verstehen und aufzuhören, sich nur über ihre Religion zu definieren.

Constantin Huber: Guten Tag Herr Dr. Ourghi, ich heiße Sie ganz herzlich willkommen und freue mich, Sie als meinen Interviewpartner begrüßen zu dürfen. Erzählen Sie den Lesern doch ein wenig über sich. Wer sind Sie? Wie sieht ihr kritisch-rationaler Standpunkt in der Auseinandersetzung mit dem Islam aus?

Abdel-Hakim Ourghi: Mein Name ist Abdel-Hakim Ourghi. Ich unterrichte das Fach islamische Theologie und Religionspädagogik an der pädagogischen Hochschule in Freiburg. Dabei vertrete ich den sogenannten liberalen Islam, der für eine Aufklärung des Islams anhand der reflektierenden Vernunft steht. Die kanonischen Quellen, die Tradition des Propheten und die Geschichte des Islams werden in meinen Vorlesungen und Seminaren mittels der historisch-kritischen Methode behandelt.

Viele Islamkritiker, wie der in Saudi-Arabien inhaftierte Raif Badawi, fordern einen staatlich konsequent umgesetzten Säkularismus (Trend zur Verweltlichung) und Laizismus (Trennung von Staat und Religion). Halten Sie diese Forderungen für erstrebenswert oder sind diese eher nicht zielführend?

Es ist wichtig, dass man zwischen dem Weltlichen und dem Religiösen trennt. Wenn die Kanzel der Moschee eine politische Rolle übernimmt, besteht stets die Gefahr, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Zahlreiche Beispiele dafür finden sich in der Geschichte des Islams. Auch wir Muslime hier in Deutschland müssen zwischen der Religion als eine individuelle, private Sache und einer weltlichen, einer politischen unterscheiden. Der private Glauben sollte sich dabei nicht in die Politik einmischen.

Sie geraten mehr und mehr ins Kreuzfeuer konservativer Islamverbände, die versuchen, Sie mittels Diffamierungen mundtot zu machen. Diese Verbände behaupten, sie sprächen im Namen aller hier lebender Muslime. Stimmt das? Und was könnte Ihrer Ansicht nach getan werden, damit solche Diffamierungen nicht mehr vorkommen?

Die Dachverbände behaupten zwar, dass sie alle Muslime hierzulande vertreten, aber sie vertreten gerade einmal 15% davon. Diesbezüglich habe ich immer dafür plädiert – und das ist eine der wichtigsten Lösungen, um einen liberalen Islam hier zu etablieren –, dass der Staat den Mut haben möge, einen Rat unter den Muslimen zu gründen, der tatsächlich für alle Muslime sprechen kann und bei dem meinetwegen auch konservative Muslime dabei sind, also auch Vertreter von den Dachverbänden, aber eben auch Vertreter der liberalen Muslime.

In einer gemeinsamen Erklärung fordern bekannte Islamkritiker, darunter Mina Ahadi, Maryam Namazie, Nazanin Borumand, Arzu Toker, Ufuk Özbe u. v. m., ein Kopftuchverbot für Grundschullehrerinnen und religionsunmündige Schülerinnen an öffentlichen Schulen. Welchen Standpunkt vertreten Sie?

Viele behaupten ja, das Kopftuch sei eine islamische Vorschrift, was aber nicht stimmt. Das Kopftuch ist ein historisches Produkt der männlichen Herrschaft, um den Körper und Geist der Frauen zu kontrollieren und zu beherrschen.

Für mich ist es dennoch geboten, dass ich als ein Vertreter der liberalen Muslime kein Kopftuchverbot fordere, sondern dass ich auch andere dazu animiere, darüber aufzuklären, darüber zu schreiben und offen darüber zu reden. Ein Verbot des Kopftuchs z. B. bei Schülerinnen würde nur zu Gegenreaktionen führen – das kann keine Lösung sein.

Ich persönlich lehne zwar das Kopftuch ab, möchte aber gleichzeitig auch jedem Menschen die Freiheit zugestehen, das Gewünschte zu tragen. Und diese Entscheidung auch respektieren.

Welche inhaltlichen Schwierigkeiten sehen Sie als Pädagoge im islamischen Religionsunterricht? Wie soll mit kritischen Suren und Versen umgegangen werden?

Wir müssen zunächst unterscheiden zwischen dem islamischen Religionsunterricht an Schulen und dem Unterricht, der am Wochenende in den Moscheen stattfindet. Der Koranunterricht in den Moscheen hat die Aufgabe, in den Gemeinden eine Pädagogik der Unterwerfung zu vermitteln. Das ist eine Pädagogik, die nur Schwarz und Weiß kennt, mit einem strafenden Gott, der nur darauf wartet, die Menschen, sobald sie sündigen, in die Hölle zu schicken.

Der islamische Religionsunterricht in den Schulen ist hingegen eher ein Unterricht, der versucht, die Kinder in der eigenen Religion aufzuklären. Es geht darum, diese Kinder bei der Reflexion der religiösen Identität zu unterstützen. Ebenso wichtig ist es, den muslimischen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, dass sie eine religiöse Identität haben und auch den Mut entwickeln sollen, diese in Frage zu stellen – und das machen sie in den Schulen auch hervorragend. Das geschieht allerdings nicht in der Moschee.

Von elementarer Bedeutung ist dabei, dass wir den interreligiösen Dialog in den Schulen befördern und auch die Schülerinnen und Schüler dazu ermutigen, sich daran zu beteiligen. Ein interreligiöser Dialog, der Erfolg haben könnte, muss auch über Konflikte debattieren. Z. B. warum muslimische Schüler jüdische Schülerinnen und Schüler hänseln, schlecht behandeln oder beleidigen. Das sind Konflikte, die es real gibt und diese müssen im Rahmen des interreligiösen Dialogs behandelt und nicht ausgeklammert werden als gäbe es sie nicht.

Die Partei der Humanisten setzt sich nachdrücklich für die Abschaffung von konfessionell gebundenem Religionsunterricht an staatlichen Schulen ein. Solange dennoch islamischer Religionsunterricht stattfindet, plädieren wir unbedingt für die Mitgestaltung der Lehrpläne durch liberale und moderate Muslime. Inwiefern stufen Sie die momentane Zusammenarbeit mit konservativ-traditionalistischen Verbänden wie DITIP, ZMD, IGMG, etc. als problematisch ein?

Also ich rate davon ab, dass die Dachverbände als ein Ansprechpartner bei der Gestaltung des islamischen Religionsunterrichts herangezogen werden. Diese müssen sich zunächst einmal zu unserem Grundgesetz bekennen, u. a. indem sie sich von dem fremden Einfluss befreien. Stichwort: Ditib und Ankara. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht deren politischer Islam in unseren Schulen vermittelt wird, damit wir nicht den gleichen Fehler wie in den Moscheen machen. Es gibt genug Fachleute von Universitäten, die die Inhalte vermitteln und bei der Auslegung mitbestimmen können.

Wie sieht für Sie eine sinnvollere Integrationspolitik in den kommenden Jahrzehnten aus? Wie und mit welchen muslimischen Verbänden sollten Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten?

Es gibt neben dem MFD (Muslimisches Forum Deutschland) und dem LIB (Liberal Islamischer Bund) auch noch die Säkularen Muslime, zu denen ich gehöre, die unter anderem die erste liberale Moschee in Berlin gründeten.

Es ist wichtig festzuhalten, dass Integration kein Diktat "von oben" ist, sondern letztendlich eine persönliche, individuelle Entscheidung. Der Schlüssel für die Integration ist die Sprache. Jeder, der nach Deutschland kommt, muss die deutsche Sprache lernen. Man muss sich allerdings auch mit dem Staat, in dem man lebt, identifizieren können. Wir müssen endlich aufhören, uns nur als Muslime zu definieren. Die Muslime müssen sich als Bürgerinnen und Bürger Deutschlands verstehen, wodurch die Loyalität zum Grundgesetz in unserer kollektiven Identität verankert wird.

Welche Herausforderungen kommen Ihrer Ansicht nach in den nächsten Jahren auf westliche Staaten und offene Gesellschaften zu? Besonders mit Blick auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen im arabischen Raum und den innerreligiösen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten.

Diesen innerreligiösen Konflikt gibt es seit dem 7. Jahrhundert, also seitdem betrachten sich viele Sunniten und Schiiten als verfeindet. Doch diese müssen endlich lernen, miteinander zu sprechen, denn es geht ihnen um denselben Gott und es ist wichtiger, dass man sich gegenseitig respektiert und nicht von vornherein ablehnt.

Wie das in der Zukunft aussehen wird und was auf uns zukommt, weiß ich nicht. Es ist schwer absehbar. Keiner hätte z. B. gedacht, dass Saudi-Arabien für Reformen des Islams plädiert. Das ist für viele ein kultureller Schock. Aber ob das stimmt, muss erst einmal unter Beweis gestellt werden.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Erstveröffentlichung auf der Webseite der Partei der Humanisten (PdH)