Mensch-Tier-Beziehung mit einseitigem Vorteil

Tauben – die ersten Haustiere der Menschen?

BERLIN. (hpd) Die ersten Tiere, mit denen eine Gruppe von Hominiden über Generationen Seite an Seite lebte, um sich von ihnen zu nähren, waren wahrscheinlich die Tauben. Das fand ein Team von Paläoanthropologen um Ruth Blasco und Clive Finlayson vom Gibraltar Museum heraus, als es die Höhlen von Gorham am sturmumtosten Felsen von Gibraltar untersuchte.

Nicht das Tier folgte zuerst dem Menschen, wie für den Beginn des Domestikationsprozesses im Fall der ersten Wölfe vor über 30.000 Jahren angenommen, sondern der Mensch siedelte sich dort an, wo das Tier Unterschlupf gesucht hatte. Und dieser erste Mensch war vermutlich nicht der Homo sapiens, sondern schon der Neandertaler.

Die Wissenschaftler fanden mit Kerben von Menschenhand versehene Taubenknochen aus dem Mittelpaläolithikum in der iberischen Höhle. In prähistorischen Zeiten könnten Millionen Felsentauben dort riesige Kolonien gebildet haben. Ähnlich den größten jemals beobachteten Vorkommen von Vogelansammlungen einer Spezies: der inzwischen gänzlich ausgestorbenen Wandertauben in Nordamerika, glauben die Forscher. Die Vögel nisteten in den Felsspalten um und der Höhle.

Blick aus der Höhle von Gorham aufs Meer
Blick aus der Höhle von Gorham aufs Meer

Datiert wurden die Überreste in vier Schichten auf ein Alter von 12.000 Jahre in der Jungsteinzeit bis zu 67.000 Jahren, das heißt in das Mittelpaläolithikum. Entdeckt wurden sie zusammen mit ab diesem Zeitraum typischen Schabern, Klingen aus Flint, Sandstein und Quarz so wie bearbeiteten Zähnen. Die Knochen wiesen außerdem Spuren von großer Erhitzung auf. Sie mögen mit dem Fleisch über dem Feuer geröstet worden sein, ehe der Mensch mit einem scharfen Gegenstand das Fleisch vom Knochen trennte. Zudem fand man Überreste von Federn.

Zwar wurden einzelne Taubenfedern schon in Höhlen mit gleichaltrigen Funden in Bolomar in Spanien, der Grotta di Furmane in Italien, auch Raubvogelklauen und Überresten von Felstauben in Frankreich geborgen, aber nie die Überreste eines sich über die Jahrtausende so kontinuierlich fortbestehenden Siedlungszusammenhangs mit beständig gleicher Nahrungszusammensetzung. In der Höhle von Gorham erstreckt er sich vom Mousteríen in der Mittelsteinzeit über das Solutréen bis zum Magdalenién in der Jungsteinzeit.

Die Wissenschaftler vermuten, dass die frühen Menschen in Gibraltar die Tauben mit Bastkörben leicht einfangen konnten. Vielleicht haben sie den Nestern auch meist nur die Eier oder die Küken entnommen. Aber auch die Elterntiere dürften für die Menschen damals leicht zu fassen gewesen sein, da sie sie sich gewöhnlich schwer von ihrem Gelege trennen. Bei Nacht, wenn die Tauben praktisch blind sind, war ihrer noch leichter habhaft zu werden. Außer den Kerben zeigten sich an den Knochen keinerlei Spuren menschlichen Einwirkens. Wir können also annehmen, dass die Hominiden die Tauben mit einem gezielten Biss getötet haben…

So wird der Mensch sich über mehr als 40.000 Jahre von den zeitweise immensen Kolonien der Tauben genährt haben, die ihm als zuverlässige Nahrungsquelle sogar in der häuslichen Höhle zur Verfügung standen - anders als die Beute weitaus unsicherer und gefährlicherer Großwildjagd.

Vor über 150 Jahren kam in Gibraltar einer der ersten bekannten Neandertaler-Schädel überhaupt zum Vorschein. Erst in Folge dieses - dritten - Fundes klassifizierte William King 1864 wegen seines ersten Fundorts, dem Neandertal, diesen Frühmenschen als eigene Menschenart, den Homo Neanderthalensis King.

Neandertaler Ritzungen
Neandertaler Ritzungen

Die Höhle von Gorham hat es in sich, und die Neandertaler dort hatten es faustdick hinter den Ohren: Auf ein Alter von fast 40.000 Jahren werden auch aufgrund ihrer Versinterung acht vor wenigen Monaten ebenfalls entdeckte rautenförmige auf einen Fels geritzte Linien eingeschätzt. Sie kreuzen sich auf einer Fläche von 300 Quadratzentimetern und befinden sich auf einer Plattform 40 Zentimeter über dem Boden. Sie werden als Beweis interpretiert für abstraktes Denken und Ausdrucksvermögen der Neandertaler. Sie wurden mit einem für eine Linie mehrfach angesetzten spitzen Steinwerkzeug erzeugt. Dass die Linien durch Häuten oder Zerlegen von Jagdfleisch von seinerzeit dort lebenden Hirschen oder Gemsen entstanden sein könnten, halten die Forscher für ausgeschlossen, nachdem sie sich selbst an Ort und Stelle an einer Schweinshaut als Amateurmetzger versucht hatten.

Aus den Felsentauben, deren natürliche Habitate Fels- und Gebirgsfelsen sind, gingen irgendwo und irgendwann die Haustauben hervor, die bis heute in der Gestalt ununterscheidbar von ihren Vorfahren die Metropolen der ganzen Welt bevölkern. Vor fünftausend Jahren begann man sie in Mesopotamien erstmals zu züchten.