Mit dieser quälenden Frage wendet sich ein kleiner Junge bei einem öffentlichen Auftritt des Papstes an das Oberhaupt der katholischen Kirche. Der Papst entzieht sich einer Antwort, indem er das rhetorisch ermunterte Publikum antworten lässt. Kein Wunder, würde seine eigene, zwangsläufig an der katholischen Dogmatik orientierte Antwort dem kleinen Jungen doch das Herz brechen und den Papst als Unmenschen dastehen lassen.
Am 15. April besuchte Papst Franziskus die Paul-vom-Kreuz-Gemeinde im südrömischen Brennpunktviertel Corviale, wo Jung und Alt auf weise Worte seiner Heiligkeit gespannt waren. Nachdem die üblichen Plattitüden wie "Jesus ist uns nah und will uns Gutes" heruntergespult waren und die Kinder dem Papst Fragen stellen durften, ging der kleine Emanuele, vielleicht sieben Jahre alt, ans Mikrophon, um dem Papst eine drängende Frage zu stellen. Doch er zögerte zunächst. Geistliche ermutigten ihn, sich dem Papst zu nähern, und schließlich flüsterte er dem Papst seine Frage ins Ohr: ob sein verstorbener Vater in den Himmel gekommen sei. Emanuele und seine drei Geschwister sind getauft, sein Vater jedoch war es nicht, und so quälte ihn die Vorstellung, dass es Papa im Jenseits womöglich nicht allzu gut gehen könne. Immerhin wird den Kindern in Italien (85 % Katholiken) ja viel von der Hölle erzählt.
Nachdem Emanuele weinend auf seinen Platz zurückgekehrt war, richtete Papst Franziskus seine Antwort ans Publikum:
"Emanuele ist besorgt, dass sein Vater, der kein Gläubiger war, nicht in den Himmel kommen könne. Gott entscheidet, wer in den Himmel kommt, doch wie schlägt Gottes Herz gegenüber einem Vater wie diesem? Was denkt ihr? Das Herz eines Vaters. Gott hat das Herz eines Vaters. Und gegenüber einem Vater, der, auch als Ungläubiger, sein Kinder taufen ließ, und Seine Güte an sie weiterreichte – glaubt ihr, dass Gott ihn verstoßen würde? Glaubt ihr das?"
"Nein", antworteten die anwesenden Kinder.
"Sagt es laut, mit Mut!", forderte der Papst.
"NEIN!", wiederholten die Kinder wie auf einem Rockkonzert, wo auch die Frage "Are you ready to rock???" grundsätzlich zweimal gestellt werden muss, um die Masse in Stimmung zu bringen.
"Gibt Gott seine Kinder auf?", fuhr der Papst fort.
"Gibt Gott seine Kinder auf, wenn sie gut sind?"
"NEIN!"
"Hier, Emanuele, ist deine Antwort."
Was den berichtenden Medien von CNN bis zur Huffington Post in den Tagen danach zu einer erbaulichen kleinen Geschichte über päpstliche Menschlichkeit und göttliche Barmherzigkeit gereichte, ist bei näherer Betrachtung wie immer nur oberflächlich herzerwärmend – tatsächlich befand der Papst sich in einer interessanten Zwickmühle.
Denn der Katechismus der katholischen Kirche besagt unmissverständlich:
"In Todsünde sterben, ohne diese bereut zu haben und ohne die barmherzige Liebe Gottes anzunehmen, bedeutet, durch eigenen freien Entschluss für immer von ihm getrennt zu bleiben. Diesen Zustand der endgültigen Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen nennt man 'Hölle'." (Hervorhebung BV)
Zwei Absätze weiter wird klargestellt: "Die Lehre der Kirche sagt, dass es eine Hölle gibt und dass sie ewig dauert. Die Seelen derer, die im Stand der Todsünde sterben, kommen sogleich nach dem Tod in die Unterwelt, wo sie die Qualen der Hölle erleiden, 'das ewige Feuer'."
Wenngleich in Talkshows gelegentlich von der Hölle als reiner "Trennung von Gott" schwadroniert wird, so gibt der Katechismus der katholischen Kirche doch glasklar vor, dass die Hölle das ewige Feuer ist. Der Fall ist damit klar: Emanueles Vater ist nicht im Himmel, sein Schicksal ist auch nicht offen, es ist eindeutig. Er schmort im ewigen Feuer.
Nun mag man sich fragen, ob der Papst den Katechismus nicht kennt. Als Vorsitzender eines jeglichen Betriebes kennen Sie das ISO-Handbuch Ihrer Firma allein durch die tägliche Praxis fast auswendig. Nicht unbedingt wortwörtlich, aber zumindest inhaltlich. Man fragt sich, was den Obersten Hirten hier geritten haben mag.
Hier ist die Erklärung. In seiner Begegnung mit Emanuele stand der Papst vor zwei Optionen:
Entweder könnte er sich an die Dogmen der Kirchen halten und Emanuele sein Beileid dafür ausdrücken, dass sein gottloser Vater in der Hölle schmort. Das ist nicht schön, wäre aber konsequent.
Oder er kann Emanueles Frage durch das Publikum beantworten lassen, nachdem er es in die richtige Richtung angeschubst hat. Menschen wollen Menschen Gutes – und wenn die Dogmen etwas Anderes besagen, dann muss man kreativ werden, das Unangenehme zurückhalten und eine Illusion erzeugen. Der Papst selbst sagte nicht, dass Emanueles Vater im Himmel sei. Er ließ es die Kinder denken, sprach es aber selbst nicht aus.
In jeder Religion gibt es unangenehme Regeln, denn menschliche Ethik entwickelt sich weiter. Religiöse Doktrin jedoch will einen ethischen Stillstand, der der Zeit entspricht, in der sie entwickelt wurde. Die Starrheit der Dogmen zwang den Papst dazu, sich zu entscheiden, ob er unaufrichtig oder grausam sein wolle. Wenn der Papst es als falsch empfindet, den Kindern zu sagen, dass Emanueles Vater in die Hölle gekommen ist, dann liegt es an seiner menschlichen Ethik, die sich gegen die Dogmen aufbäumt. Das Eingeständnis, dass in diesem Fall mit den Dogmen etwas nicht stimmen könnte, kann man vom Papst jedoch nicht erwarten.
Für die Einhaltung der Dogmen ist übrigens nicht der Papst zuständig, sondern die Glaubenskongregation, deren Hauptaufgabe die Reinhaltung der kirchlichen Lehre ist. Die Glaubenskongregation hieß bis zum Jahre 1908 noch "Inquisition" und glänzt heutzutage durch Erlässe wie "Allgemeines Dekret in Bezug auf die Straftat (sic) der versuchten Ordination einer Frau" aus dem Jahre 2007.
Der Papst hat gar nicht die Macht für theologische Alleingänge. Ungläubige kommen nicht in den Himmel, denn Gott kann nur lieben, indem er auch verwirft.
Vatican News berichtet natürlich ebenfalls über den päpstlichen Besuch in Corviale, erwähnt die Szene mit Emanuele aber nur als eine von vielen. Auf die Frage eines kleinen Mädchens zum Beispiel, ob Nichtgetaufte auch Kinder Gottes seien, antwortete der Papst: "Wir alle sind Kinder Gottes. Alle. Alle! Auch die Anhänger anderer Religionen, sogar Mafiosi." Wenn das kleine Mädchen aber getauft sei, so der Papst, sei sie noch mehr ein Kind Gottes.
Wir müssen uns hier auch eingestehen, dass wir über Emanueles Vater rein gar nichts wissen. Kinder verteidigen auch ihre alkoholkranken und gewalttätigen Eltern gegen das Jugendamt, sofern sie sich ein Leben ohne ihre Eltern nicht vorstellen können (was sich auch ohne weiteres auf erwachsene Gläubige und ihr Verhältnis zu Gott übertragen lässt). Vielleicht war Emanueles Vater ein guter Mensch, vielleicht nicht. Dass der Papst es daran festmacht, ob er seine Kinder taufen ließ, hat mit Ethik nichts zu tun, sondern entführt die Empathie des Menschen auf die üblichen religiösen Parallelgleise.
Es ist, als würde man das Leben eines Hooligans wie folgt zusammenfassen: "Keule war ein Säufer, ein Schläger, ein Dieb, hat vier Frauen mit Kindern alleine sitzen lassen und trug Spinnennetztatoos im Gesicht – aber er war Schalke immer treu!" Eine ethisch völlig wertlose Aussage, die dennoch den Eindruck vermittelt, man hätte es mit einem Menschen zu tun gehabt, der trotz allem im Grunde gut war.
Und unter all der Rhetorik sehen wir immer noch einen verzweifelten Bambino, der um das Schicksal seines Vaters bangt – ein rein hypothetisches Schicksal, das die Kirche ihm eingeredet hat, für das es nie Beweise gab und von dem der Mensch sich umgehend emanzipieren sollte, statt Kindern eine buchstäbliche Höllenangst zu machen.
14 Kommentare
Kommentare
Martin Mair am Permanenter Link
Interessanterweise verrät der Artikel nicht, ob Atheist laut diesem Katechismus eine Todsünde sein soll ...
Nicht an Gott zu glauben, wäre ja an sich keine Entscheidung FÜR das BÖSE ;-)
http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P6I.HTM
Thomas Göring am Permanenter Link
@ Martin Mair
Vielleicht hätte der Artikel diese Zusammenhänge noch etwas deutlicher machen müssen. Aber nähern wir uns dieser Angelegenheit doch mal hilfsweise selber (d.h. eigenständig) an!
Also:
a) WAS ist "das BÖSE"? - Die Erklärung dieses Punktes überlasse ich Ihnen.
b) Was wird dem Atheisten bzw. dem Nicht-Glaubenden angedroht? - In meiner konservativ-protestantischen Jugend um 1967/68 hatte ich u.a. dies gelernt:
"Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden." (Mk., 16, 16)
"Wer nicht in mir [= Jesus, T.G.] bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und sie müssen brennen." (Joh., 15, 6)
Im katholischen Internetportal "www.kathnews.de/gibt-es-eine-hoelle" finde ich dazu ergänzend die folgenden Ausführungen:
"Jesus spricht öfters von der „Gehenna“ des „unauslöschlichen Feuers“ (Vgl. Mt 5,22. 29; 13, 42. 50; Mk 9,43-48), die für jene bestimmt ist, die bis zum Ende ihres Lebens sich weigern, zu glauben und sich zu bekehren, und wohin zugleich Seele und Leib ins Verderben geraten können (Vgl. Mt 10,28). Jesus kündigt in ernsten Worten an, dass er … das Verdammungsurteil sprechen wird: „Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer!“ (Mt 25,41). [KKK 1034]
Die Lehre der Kirche sagt, dass es eine Hölle gibt und dass sie ewig dauert. Die Seelen derer, die im Stand der Todsünde sterben, kommen sogleich nach dem Tod in die Unterwelt, wo sie die Qualen der Hölle erleiden, „das ewige Feuer“. Die schlimmste Pein der Hölle besteht in der ewigen Trennung von Gott, in dem allein der Mensch das Leben und das Glück finden kann, für die er erschaffen worden ist und nach denen er sich sehnt. [KKK 1035] ... Niemand wird von Gott dazu vorherbestimmt, in die Hölle zu kommen; nur eine freiwillige Abkehr von Gott (eine Todsünde), in der man bis zum Ende verharrt, führt dazu."
Im Internetartikel "http://www.bibelstudium.de/articles/572/genau-lesen-45-ewig.html" wird zudem ausdrücklich verdeutlicht, dass "ewig" = "ewig" bedeute (betreffend den Lohn für die Gläubigen und die Strafe für die Ungläubigen). -
Hätten wir's damit geklärt, Herr Mair, oder fehlt da Ihrer Ansicht nach noch etwas?
Diese sog. "Religion der Nächstenliebe" verrät mir somit unmissverständlich, was aufgrund meiner todsündigen freiwilligen Abkehr vom Gottglauben – also meiner Apostasie schon in frühen Jahren plus meiner seitherigen strikten Weigerung zu Bekehrung & Glauben – am sog. "Gerichtstag" auf mich zukomme.
Das genügt mir vollends für meine Haltung zu dieser Religion (und zu ihrer islamischen Konkurrenz, die Gleiches für "Gottlose" androht).
Klaus Bernd am Permanenter Link
Was für eine empörende Schmierenkomödie. Ich musste erst mal eine Weile nach Fassung ringen, bevor ich diesen Kommentar verfassen konnte.
1. Sein Religionslehrer und vermutlich auch sein religiöses soziales Umfeld hat den kleinen Emanuele gelehrt bzw. ihm eingebläut, dass sein Vater in der Hölle schmort, weil er Atheist war. Das ist schließlich die offizielle Lehre der r.k.K.
2. Er wird dazu gedrängt, in dieser Show mitzuspielen, die vor allem dazu dient, den Personenkult um den Papst medienwirksam zu zelebrieren.
3. Er wird durch die heuchlerische Nicht-Antwort des Papstes dazu verleitet, zu glauben, dass sein Vater doch nicht in der Hölle ist, was ihn in Opposition zu seinem religiösen Umfeld bringt.
Richtigerweise hätte die Antwort des Papstes lauten müssen, dass Emanueles Vater tatsächlich in der Hölle schmort und dass er selbst auch dorthin kommt, wenn er das nicht glaubt. (Das deutet darauf hin, dass Scalfari die Wahrheit gesagt hat, der Papst habe im Gespräch mit ihm die Meinung geäußert, dass die Hölle gar nicht existiere.)
Wenn man optimistisch ist, kann man hoffen, dass Emanuele die richtigen Schlüsse aus diesem Ereignis zieht:
- zunächst mal, dass ihn sein Religionslehrer und sein religiöses Umfeld belogen haben. Er muss ja jetzt davon ausgehen, das hat die Glaubenskongregation von Corviale so entschieden, dass sein Vater nicht in der Hölle schmort;
- später wird er vielleicht darauf kommen, dass ihn dieser Feigling von Papst auf hinterhältige Weise belogen hat, da ja im Katechismus steht, dass sein Vater doch in der Hölle ist;
- zum Schluss könnte er den Schluss ziehen, dass das alles eh Blödsinn ist, und aus der Kirche austreten.
Bleiben wir optimistisch !
PS: Wie schon mal erwähnt, gibt es in der r.k.K. auch eine (häretische) Schule, die glaubt, dass die Hölle zwar existiert, aber leer ist. Ich stelle mir gerade vor, wie das wäre, wenn ich in die Hölle käme, und nicht einmal der Hausherr ist da.
Wolfgang am Permanenter Link
"Ich kann mir einfach nicht vorstellen, das ich nach meinem Tode mit all jenen wieder zusammen bin, die ich schon im richtigen Leben nicht leiden konnte!"
"Habe ich eben vom Himmel gesprochen?"
Roland Fakler am Permanenter Link
Im Katholizismus war Rechtgläubigkeit schon immer wichtiger als Rechtes Handeln. Sie lässt alle Verbrechen vergessen.
Thomas B. Reichert am Permanenter Link
In was für ein kollektiven Wahn sich doch die Menschheit befindet.
Der Papst ist ein Schauspieler!
Himmel: Positive Gedanken- und Gefühlswelt .... Wenn wir jemand anhimmeln, jemand verehren .... ist er in der positiven Gedankenwelt ..... im Himmel
Religionen sind ART(Kunst)Diktaturen.
Der gutgläubige Mensch soll natürlich etwas ganz anderes glauben.
Wolfgang am Permanenter Link
Der Papst ist ein schlechter Schauspieler in einem schlechten Schmierentheater:
Das Märchen von einem der auszog, das Fürchten zu lehren. Ähnlich dem, Bauer sucht Frau.
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Wie bei jeder Lebensversicherung, so auch bei der Weiterlebensversicherung Christentum: nur wer hier brav seine Beiträge an die Hirten zahlt, der wird dort später von Gott belohnt.
Thomas Göring am Permanenter Link
Und in der "Offenbarung des Johannes" ("Apokalypse") werden Feuer und Wasser zum "Feuersee" zusammengebaut, in welchen am Tage des "Weltgerichts" jeder nicht im "Buch des L
Dieter Bauer am Permanenter Link
Frage einen Lügner nach Wahrheit, wirst du niemals Wahrheit als Antwort erhalten.
Dieter Bauer am Permanenter Link
Beschämend, wie ein angeblicher, durch absurd ausufernde Fantasie gestalteter, "Gottesvertreter" einer klaren und rational nicht beantwortbaren Frage aus, indoktrinär beeinflusstem, Kindermund begegnet.
Fazit: Haut den Religioten ihren Schwachsinn um die Ohren. Zeigt Mut durch Hinwendung auf euren Verstand. Achtung und Respekt vor unseren Mitmenschen möge uns leiten unter der Vorgabe „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Unwahrheit, auch im Kleinsten, ist die Wurzel allen Übels.
Der Freidenker!
Hans Trutnau am Permanenter Link
Selbstverständlich komme ich als ungläubiger Atheist in die Hölle EWIG brennenden Feuers (wie schon Ratze aka B XVI in 2007 praktisch letztgültig anmerkte); aber wenn mir das so sch***egal ist wie fast sonst nix, hat
awmrkl am Permanenter Link
FALLS es so wäre, wie die Religioten behaupten (Himmel, Hölle usw), dann freue ich mich darauf, mit den interessantesten Geistern wo gibt und gab, eine Ewigkeit zu teilen: Das machen wir uns so lustig und interessant
Allerdings werde ich kurz vorher noch dieses "Gott" zur Sau machen. Was bildet sich dieses Arschloch eigentlich ein, so mit empfindungs- und schmerzfähigen "Geschöpfen" umzugehen! Ich werde den so zurichten, das er nicht mal mehr von einem Planck-Volumen unterscheidbar ist. Und ich bin mir sicher, das werden viele so machen. Und weil das so ist, bin ich mir sicher -selbst wenn es ihn mal so wie behauptet gegeben haben sollte-, der ist im berühmten Logikwölkchen verschwunden.
Das ist (m)eine Antwort auf die Pascalsche Wette.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nicht schlecht!