Ja mei, dös Kreiz … is dös a Kreiz! – oder:

Braucht der demokratische Staat das Kreuz?

Es könnte alles so einfach sein, heißt es doch schon in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.12.1965: "Das Grundgesetz legt … dem Staat als Heimstatt aller Bürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf. Es … untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse." Kein Kreuz, kein anderes religiöses Symbol in einer staatlichen Einrichtung, so einfach. Die Kippa oder Jarmulke, das Kopftuch und eben das Kreuz gehören zum Ausdruck religiöser Lebensform, sind ihr Symbol und somit zu tolerieren. Diese Unterscheidung ist wichtig, um der Religionsfreiheit willen.

Nun aber – angesichts anstehender Landtagswahlen in brachialem Akt und unter massenmedialer Begleitung – der bayerische "Kreuz-Befehl", Ministerpräsident Söder schreitet zur Tat, bringt ein Kreuz gleich selbst im Eingangsbereich der Bayerischen Staatskanzlei an und twittert in die Welt: "Klares Bekenntnis zu unserer bayerischen Identität und christlichen Werten." Diesen Tweet wird er um Differenzierungen anreichern, nachdem sich massive Kritik aus dem ganzen Land regt. In einem Tagesthemen-Interview sah er das Kreuz "zu den Grundfesten des Staates" zählend, wies ihm "identitätsstiftende, prägende Wirkung" zu. Und legte nach, er sei "der festen Überzeugung, dass die Werte, die im Christentum verankert sind, auch Basis waren für den säkularen Staat, für die Menschenwürde". Seine Überzeugungen steigerten sich freilich noch, denn Toleranz, Nächstenliebe, Respekt basierten auf der "christlich-abendländischen Idee, geprägt von jüdischen und humanistischen Wurzeln". Diese Werteordnung habe Grundlagen in den Erlebnissen im Nationalsozialismus, als "keine Anbindung an Werte" vorherrschte. Hans-Joachim Kulenkampff wird das Zitat zugeschrieben: "Jeder blamiert sich, so gut er kann – und einige noch etwas besser." Trefflicher kann man die Aussagen des Markus Söder kaum kommentieren. Es sei allerdings nicht versäumt zu erwähnen, dass dem Ministerpräsidenten auch "die religiöse Erziehung" und "die kirchliche Prägung dieses Landes" eine Betonung wert waren.

Selten wurde so exklusiv "religiöse Erziehung", die mit einer unglaublichen religiösen Verbildung und einer ebenso unglaublichen Geschichtsvergessenheit einhergeht, demonstriert. Es war ebenfalls ein Politiker, Karl Kautsky, der 1910 betonte: "Es gibt keinen einzigen christlichen Gedanken …, der nicht schon vor Jesus in der 'heidnischen' oder jüdischen Literatur nachweisbar wäre". "Das Christentum hat uns um die Ernte der antiken Kultur gebracht …", sagt ebenso luzide Friedrich Nietzsche. Die (christliche) Religion hat ihre normierende Funktion zu einem Gutteil an andere Diskurse abgeben müssen. Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, immer stärker auch die Justiz werden unabhängiger. Der faktische Rückzug der Religion aus dem öffentlichen Raum wird jedoch immer wieder torpediert, nun durch den Kreuz-Erlaß der bayerischen Landesregierung.

So wäre also vielmehr zu fragen, was unter dem Zeichen des Kreuzes jahrtausendelang praktiziert und gelehrt wurde? Kommt es tatsächlich von ungefähr, dass Philosophen, Künstler, Politiker, Poeten, Naturwissenschaftler, Freigeister ihr Problem mit dem "Kreuz" hatten und haben? Zuwider war ihm das Kreuz wie "Gift und Schlange". "Das leidige Marterholz", so schrieb er im Brief an Carl Zelter (09.06.1831), sei "das Widerwärtigste unter der Sonne". Goethe war der Autor dieser Zeilen. (Wir dürfen ihn hoffentlich weiter zur deutschen Kultur zugehörig wähnen?) "Marterholz", der Begriff stellt klar: ein antikes Folter- und Mordinstrument. Und dieser Bestimmung entsprechend praktizierte die Religion der Liebe in "Anbindung an Werte": Gewissens-, Glaubens- und Meinungszwang, Leibeigenschaft und Versklavung. Auch war und ist da die Geringschätzung und Benachteiligung der Frau. Ungeniert tönten die "größten Kirchenlehrer" Ambrosius, Augustinus, Johannes Chrysostomos, die Frau sei nicht nach Gottes Ebenbild geschaffen, sie sei ein subalternes Wesen. Thomas von Aquin, im späten 19. Jahrhundert noch zum ersten Lehrer der Catholica erhoben, erklärte die Frau sowohl körperlich als auch geistig minderwertig, eine Art "verstümmelter", "misslungener" Mann sei sie. Und die andere Fraktion sieht sehr real mit Luther die Frau als "ein halbes Kind", "ein Toll Thier", erklärt dann immerhin: "die größte Ehre, die es hat, ist, dass wir allzumal durch die Weiber geboren werden …" Freilich wird christliche Erziehungskunst dann einmal mehr die Tatsachen verdrehen und behaupten: "In keiner Religion oder Weltanschauung ist die Frau so geachtet und geehrt wie im Christentum" (Bernhard Häring). (Abgesehen von allen Auswüchsen späterer Marienverehrung spielt Maria im Neuen Testament kaum eine Rolle. Ignoranz gegenüber Marien bei Paulus, im ältesten Evangelium, im Johannesevangelium, in der Apostelgeschichte wie im Hebräerbrief. Jesus nennt sie nie Mutter, spricht nie von Mutterliebe …)

Jahrtausendelange Bevormundung in Sachen Sexualität gilt es zu konstatieren. Mit Paulus dann wieder eine Verkehrung. Hatte in den alten Kulturen und Kulten der Sexus noch fundamentale Bedeutung, waren Vulva und Phallus als Träger von Gebär- und Zeugungsfähigkeit gefeiert, so wurde aus der Lust nun Sünde, Affektabtötung, Kasteiung, Leibesverachtung hießen fortan die neuen Paradigmen, selbst die Ehe wird herabgesetzt, erlaubt nur zur Vermeidung "der Hurerei". Besser sei es, "kein Weib zu berühren". (Politiker der C-Parteien sollten mindestens auch hier mit Überlegungen anfangen und das Problem der Familie neu durchdenken.) Homosexualität kommt freilich, als abscheuliche Perversität, ebensowenig in Frage. Dem Kirchenlehrer Petrus Canisius wurde schwules Lieben zur "himmelschreienden Sünde" (peccata in coelum clamantia). Christlichen Mitmenschen wie dem ehemaligen obersten römischen Glaubenswächter, Gerhard Ludwig Müller, ist die Segnung Homosexueller noch immer "Greuel an heiliger Stätte", ein anderer, der emeritierte Weihbischof von Salzburg, Laun, vergleicht die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare mit der Segnung von Konzentrationslagern. (Die Frage, wer pervers ist, stellt sich von selbst.) Noch ein Vordenker der Christenheit, Metropolit Kornili, warnte Männer vor der Rasur. Der Grund? Männer mit größerem Bart seien weniger anfällig für homosexuelle Neigungen.

Zwangsbekehrungen, Sippenhaftung, Wissenschaftsfeindlichkeit sind weitere Praktiken unter dem Symbol des Kreuzes, ebenso Ketzer- und Hexenverfolgungen, desweiteren Exorzismen (beliebt noch in unseren Tagen). Muss christlicher Antisemitismus noch erwähnt werden? Die ersten christlichen Majestäten bereits erließen judenfeindliche Bestimmungen, 638 befahl ein Konzil in Toledo die Zwangstaufe aller in Spanien lebenden Juden, die vollständige Versklavung wurde im Jahre 694 gefordert. Kaiser Heinrich II., er wurde heiliggesprochen, ließ 1012 Juden vertreiben. 1349 entfachte man im Zeichen des Kreuzes in über 350 deutschen Städten und Dörfern eine Jagd auf Juden, verbrannte sie meistens lebendig. Die "Reformation" bedeutete kein Umdenken bei den Nächstliebenden, der Antisemitismus wurde verschärft, besaßen die Juden nach Luther doch "des Teufels Herz", waren das "hurerische Geschlecht" und "schlimmer als eine Sau". Pius X., ein Papst des 20. Jahrhunderts, wird erklären: "Die jüdische Religion war die Basis der unseren; aber sie wurde ersetzt durch die Lehre Christi, und wir können ihr keinen weiteren Bestand zuerkennen." Der Thüringische Landesbischof Martin Sasse, mit Sicherheit besaß er "keine Anbindung an Werte", schrieb: "Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen … In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden." Dieser evangelische Kirchenführer wählte in seinem Machwerk "Martin Luther und die Juden – Weg mit ihnen!" – (sic!) – die Zwischenüberschrift: "Die Juden – der 'Abschaum der Menschheit'".

Klerikale Kreise betrachteten die Demokratie bis in 20. Jahrhundert hinein als "Wahnsinn". Eine bayerische Stimme – (Michael Faulhaber) – schmettert: "Das lebenslängliche Bekenntnis zu den Kronrechten des Kaisers ist Nachfolge Jesu." Aber er entblödet sich auch nicht "die Kanonen des Krieges" als "Sprachrohre der rufenden Gnade" zu lobpreisen. Noch während des Weltkrieges wurde Faulhaber durch Benedikt XV. zum Erzbischof von München gemacht, drei Jahre später war er Kardinal. Im Hirtenbrief vom 01. November 1917 verwarfen die deutschen Bischöfe die Idee von der Volkssouveränität ebenso wie das "Schlagwort von der Gleichberechtigung aller Stände". Sie entrüsteten sich gegen einen Frieden "als Judaslohn für Treubruch und Verrat am Kaiser", denn Gott habe "unseren Herrschern von Gottes Gnaden den Herrscherstab in die Hand gelegt". Im Namen der katholischen Herde folgte das Bekenntnis: "Wir werden stets bereit sein, wie den Altar so auch den Thron zu schützen gegen innere und äußere Feinde, gegen die Mächte des Umsturzes." Mit dem folgenden Untergang der Monarchie war das natürlich alles vergessen, die Millionen Kriegstoten und Opfer bestenfalls eine Randnotiz wert und natürlich in einer Weise, als hätten die Kirchen mit der Situation nichts zu tun, wären ihre Warnungen überhört worden. Im ersten Hirtenbrief des deutschen Klerus – 22. August 1919 – beklagt man viel lieber die Einführung einer "religionsfreien, gottlosen Volksschule". Hier macht man den Anfang eines Kulturkampfes aus, hier sieht man das Schicksal des deutschen Volkes besiegelt.

Nach Weltkrieg II verlautbarte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im Oktober 1945: "Nun soll in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht werden. Gegründet auf die Heilige Schrift, mit ganzem Ernst ausgerichtet auf den alleinigen Herrn der Kirche …" So einfach kann es also sein, sich seiner Geschichte zu entledigen. Somit soll ausgerechnet das Kreuz zu einem Symbol unserer Rechtsordnung und unserer demokratischen Gesellschaft sein? Die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, die Werte und Güter unseres Zusammenlebens, fixiert im Grundgesetz und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, seien unter dem Symbol des Kreuzes gewachsen, ist eine ungeheure und anmaßende Verdrehung historischer Tatsachen.

Mit der Weimarer Reichsverfassung und dem nachfolgenden Grundgesetz wird die Religionsfreiheit garantiert und die Festlegung getroffen, dass es keine Staatskirche gibt. Der Kreuz-Erlass der bayerischen Landesregierung ist somit ein Verstoß gegen die Pflicht des Staates zur Neutralität. Mit dem Staatsgrundgesetz vom 04. Januar 1919 gilt die volle Religionsfreiheit auch in Bayern, sie gilt für alle mit der Verfassung übereinstimmenden Religionen und weltanschaulichen Gruppierungen. Vielleicht sollte auch in Erinnerung gerufen werden, dass das Christentum – ebenso wie der Islam und das Judentum - eine Religion des Orients ist. Das "christliche Abendland" wird erst durch Papst Gelasius I. (492–496) und seine Lehre von den zwei Gewalten (Kirche und Staat) gekennzeichnet. Der Aufklärung verdankt sich dann die Trennung von Staat und Kirche. Auch die unklare Bezugnahme der bayerischen Landesregierung auf das "christliche Abendland" ist eine Mär.

Der Staat kapituliert nicht, wenn er sich religiöse Neutralität auferlegt, er begreift, nicht Hüter eines wie auch immer gearteten Heilsplans zu sein. Religiöse wie weltanschauliche Sinnstiftungen können staatlicherseits unmöglich verbindlich geklärt werden. Ist der Staat hier indifferent, kann er volle Religionsfreiheit gewähren. Die Richterin, die ihr Kopftuch auf der Straße trägt, drückt vermutlich eine Lebensform aus, das ist in Ordnung. Das Tragen aber von Kopftuch oder eines sichtbaren Kreuzes als Kette oder Anstecker durch Amtspersonen im Dienst und eben auch das Wandkreuz im Gerichtssaal wie in der öffentlichen Schule sind mit der staatlichen Neutralität nicht vereinbar. Der demokratische und säkulare Staat hat keine Eigenschaften, folglich hat er nichts zu bekennen. Seien wir wachsam, der säkulare Mensch bedarf keiner Kontamination durch Religion, und lassen uns beständig mit André Gide erinnern: "Die Kultur" und die Politik "muss begreifen, dass sie mit dem Versuch, das Christentum zu absorbieren, etwas für sie selbst Tödliches absorbiert. Sie versucht, etwas zuzulassen, das sie nicht zulassen kann; etwas, das sie verneint." Der "Staat als Heimstatt aller Bürger" … Es könnte alles so einfach sein.