"Jacobin" – eine Anthologie zu einer neuen linken Theoriezeitschrift aus den USA

Im Schatten von Trump-Skandalen hat sich in den USA auch eine Renaissance der politischen Linken entwickelt, wobei deren intellektuelle Repräsentanten in der Zeitschrift "Jacobin" ein Forum finden. Jetzt gibt es auch eine Edition von wichtigen Beiträgen aus den letzten Jahren in deutscher Übersetzung.

Folgt man den Meinungsumfragen in den USA, so gilt dort Bernie Sanders als gegenwärtig beliebtester Politiker. Dabei handelt es sich aber um einen bekennenden demokratischen Sozialisten. Ein Sozialist – in den USA der beliebteste Politiker? Dies hätte man sich vor wenigen Jahren kaum vorstellen können. Gleichzeitig gibt es einen rapiden Anstieg der Mitglieder der Democratic Socialists of America (DSA), waren es bis vor kurzem nur 5.000 mit einem Altersdurchschnitt von über 60 Jahren, sind es jetzt 35.000 mit einem Altersdurchschnitt von Mitte 30. Das sind in einem so großen Land nicht viel, gleichwohl bewegt sich dort einiges im Schatten der vielen Trump-Skandale. Geahnt hat diese Entwicklung wohl schon früh der Publizist Bhaskar Sunkara, der 2010 die Online-Zeitschrift Jacobin gründete. Seit 2011 erscheint sie auch als gedruckte Vierteljahreszeitschrift und erreicht so insgesamt 700.000 Leser. Für deutsche Leser gibt es jetzt einen Reader, der zwölf Beiträge und Interviews aus den Jahren 2011 bis 2018 in Übersetzung enthält.

Cover

Bei der Lektüre sollte man vielleicht hinten beginnen: Dort findet sich ein Interview mit Sunkara, das der Leiter des ähnlich ausgerichteten deutschsprachigen Online-Magazins Ada Loren Balhorn mit ihm geführt hat. Sunkara macht darin seinen politischen Standort deutlich, definiert er sich doch einerseits als Marxist, andererseits aber als Verfechter eines demokratischen Sozialismus. Sunkara sieht hier keinen Gegensatz, macht er doch seine Ablehnung von allen autoritären Formen des Sozialismus deutlich. Die dokumentierten Beiträge sind meist inhaltlich marxistisch geprägt, aber nicht orthodox-dogmatisch ausgerichtet. Mike Beggs argumentiert etwa gegen einen "Zombie-Marxismus", mit der Analyse von über 100 Jahre alten Texten, die auf eine "Scholastik" hinauslaufe. Derartige Denkungsarten drängten die Interpretation der Welt in den Hintergrund. Dafür soll der Blick in die Zukunft geworfen werden. So reflektiert Peter Frase etwa darüber, wie die fortschreitende Automatisierung für eine gleichere Gesellschaft genutzt werden könne.

Beachtenswert auch und gerade für die deutsche Diskussion ist das Interview mit Walter Benn Michaels, der gegenüber der Linken die Konzentration auf kulturelle Diversität bei gleichzeitiger Abwendung von dem Problem ökonomischer Ungleichheit kritisiert, habe diese Denkungsart doch nicht nur den Protest gegen den Neoliberalismus untergraben, sondern mit den Erfolg von Trump bei den Präsidentschaftswahlen ermöglicht. Andere Artikel wie der von Seth Ackerman beklagen, dass die Linke nicht über konkretere Zukunftsmodelle reflektiert. Er entwickelt dazu einige Gedanken einer "partizipativen Ökonomie" in klarer Negierung des früheren "real existierenden Sozialismus". Alyssa Battistoni betont demgegenüber die Bedeutung des Klimawandels, solle dessen Bekämpfung doch der Hintergrund der gesamten Politik der Linken sein. Und Sam Gindin benennt einige Grundprinzipien für die Kritik am Kapitalismus, der aus seiner Sicht nicht nur aufgrund partieller Probleme, sondern als ökonomische Struktur weltweit beseitigt gehöre.

Darüber hinaus findet man in der Anthologie noch viele andere Beiträge mit unterschiedlichen Positionen: Sunkara beklagt etwa die mangelnde soziale Kompetenz vieler Linker, die nicht mit einem breiteren Publikum kommunizieren könnten. Es gibt auch ein längeres Interview mit Bernie Sanders, worin einerseits seine konfrontative Haltung gegenüber den "Superreichen", aber auch seine gemäßigtere Orientierung in Richtung der skandinavischen Wohlfahrtsstaatsmodelle deutlich wird. Demnach hat man es in der Gesamtschau mit einem guten Überblick zu Debatten und Positionen der US-amerikanischen Linken zu tun. Dabei sind die meisten Artikel eher wie ein Essay gehalten, d. h. ihnen fehlt es häufig an Stringenz und Struktur. Eher locker reflektierend nähert man sich Problemen und Positionen. Eine Ausnahme davon ist Peter Frases Erörterung von vier Zukunftsentwürfen. Es gibt auch kurze provokative Beiträge, welche Absonderlichkeiten und Schwächen der Linken thematisieren wie Sunkaras Text. Ähnliches kann die deutsche Linke aktuell nicht bieten.

Loren Balhorn/Bhaskar Sunkara (Hrsg.), Jacobin. Die Anthologie, Berlin 2018 (Suhrkamp-Verlag), 314 S., SBN: 978-3-518-07391-9, 18,00 Euro