Einen Tag vor dem internationalen "Human Genome Editing"-Gipfel ließ der Wissenschaftler He Jiankui in China verkünden, zwei von ihm mittels "Genschere" veränderte Zwillingsmädchen seien geboren worden und dabei so gesund wie andere Babys. Die Genveränderung habe sie gegen HIV immunisieren sollen. Die Nachricht wirft nicht nur wissenschaftliche, sondern auch ethische Fragen auf.
He Jiankui gab an, zukünftige Generationen vor HIV und AIDS schützen zu wollen. Neben den körperlichen Folgen einer HIV-Infektion hätten infizierte und kranke Menschen in China auch unter weitgehender Stigmatisierung, dem Verlust von Arbeit und Sozialkontakten sowie dem erschwerten Erhalt von Behandlungen zu leiden. Darum habe er sich bemüht, eine Möglichkeit zu finden, eine Infektion bereits vor der Geburt unmöglich zu machen.
Ermöglicht haben soll ihm dies die so genannte Genschere, wie die CRISPR/Cas9- Methode, oft zur Veranschaulichung der Funktion genannt wird. Diese geht auf die Arbeit einer Forschungsgruppe um die Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna zurück. Seit 2013 steht fest, dass die Methode auch beim Menschen funktioniert.
Wie bei jeder sensationellen Meldung fragt sich die Menschheit, ob das Ende von Krankheit und Leid gekommen ist. Doch Hes Forschung wirft einige Fragen auf, die noch geklärt werden müssen. Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob Hes Experiment stattgefunden hat, ob also tatsächlich gentechnisch veränderte Kinder geboren wurden. Weder He noch sein Team haben bisher nachvollziehbare Daten in einem Wissenschaftsjournal veröffentlicht, noch konnten weitere Wissenschaftler*innen der Presse übergebenes Material als Erfolg werten. Aufgrund der überlassenen Daten ließen sich keine Tests zur Prüfung von Wirksamkeit oder Schaden ansetzen.
Jedoch lassen die Daten erkennen, dass Hes Versuch, das CCR5-Gen abzuschalten, welches ein Protein formt, das es dem HI-Virus ermöglicht, an den menschlichen Zellen anzudocken, nur teilweise erfolgreich gewesen sind. So sind nur bei einem Zwilling beide Kopien des CCR5 ausgeschaltet, bei dem anderen Mädchen nur eines. Obwohl die vorgelegten Daten bei beiden keine Schäden an anderen Genen erkennen lassen, wäre das Mädchen mit dem einen abgeschalteten CCR5 noch immer nicht immun gegen HIV. He glaubt aber, dass ein Ausbruch von AIDS allein dadurch hinausgezögert werden kann.
Die Veränderung des CCR5-Gens kann für Menschen übrigens fatale Folgen haben. So haben Personen ohne normales CCR5 ein höheres Risiko, sich mit dem fast weltweit verbreiteten West-Nil-Fieber anzustecken oder an der Grippe zu sterben. Viele Wissenschaftler*innen haben daher empört auf die Veröffentlichung Hes reagiert. Allein aus China gab es über 100 Protestbriefe. Aber auch weltweit gibt es von wissenschaftlicher Seite Kritik, da eine Infektion mit dem HI-Virus auch anders vermeidbar sei und die Folgen eines solchen Versuchs für die Zwillinge selbst sowie potentielle Kinder der beiden nicht absehbar seien.
He hatte - nach eigenen Angaben - Paare mit Kinderwunsch ausgewählt, bei denen die Väter mit HIV infiziert und die Mütter nicht infiziert waren, um ihren potentiellen Kindern die Gefahr einer Ansteckung zu ersparen. Die Väter nahmen Medikamente, die die Vermehrung des Virus ohnehin unterdrückten. Das Sperma wurde vor der Befruchtung sogar gewaschen, um das Seminalplasma zu entfernen, sodass auch hier keine Infektion hätte stattfinden können. Bei einigen dieser Paare nahm He eine Einpflanzung von befruchteten Eizellen vor. Bei einem Paar, welches für Interviews nicht zur Verfügung stehe, entwickelte sich eine erfolgreiche Schwangerschaft, die in der Geburt der beiden gesunden Babys mündete, so He.
Selbst wenn Hes Angaben stimmen, warnen andere Wissenschaftler*innen davor, dass heute gesunde Kinder womöglich in Zukunft an Nebenwirkungen der genetischen Veränderung leiden könnten. Immerhin wurden im Laufe der Arbeit mit dieser noch jungen Methode schon mehrfach Probleme entdeckt. So kann das ursprünglich aus Streptokokken stammende Eiweißmolekül Cas9 beispielsweise Immunreaktionen im menschlichen Körper auslösen, die Sicherheit und Erfolg einer Therapie beeinflussen können. Da die Zwillinge ihre veränderten Gene natürlich vererben können, beeinflussen sie womöglich zukünftige Generationen, die vielleicht immun gegen das HI-Virus sind, jedoch die jährlichen Grippewellen nicht überstehen.
He schließt zukünftige Gefahren aus und beruft sich diesbezüglich auf seine jahrelange Forschung an Mäusen, Affen und menschlichen Embryonen. Die wissenschaftliche Gemeinschaft jedoch verurteilt größtenteils seine Menschenversuche, die in vielen Ländern der Welt nicht erlaubt wären. Sicherlich träumen die meisten Menschen davon, ihre Erbkrankheiten heilen zu können oder nicht an die eigenen Kinder weiterzugeben. Eine Genschere aus der Apotheke ist jedoch noch lange nicht in Sicht.
9 Kommentare
Kommentare
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Eine Neid-Debatte?
Australopithecen haben sich beschwert, dass sie nicht bei den Homo rudolfensiern dabei sein durften. Diese beschwerten sich über die ersten Homo Ergaster, jene über die ersten Erectiden. Und die Erectiden beschwerten sich über die ersten Sapienter.
Der rezente Homo sapiens sapiens beschwert sich nun über die ersten Validiiden. Vielleicht, weil er die zukünftigen Generationen um ihre Fähigkeiten und Eigenschaften beneidet.
Doch die Evolution geht weiter. Die Frage ist nur, ob wir sie dem Zufall überlassen, oder durch Vernunft selber mitgestalten wollen.
Roland Schütze am Permanenter Link
Ja, die Frage ist richtig gestellt.
Kay Krause am Permanenter Link
Bei allem (meinem!) Respekt vor der Wissenschaft müssen werdende Eltern sich wohl nun überlegen, wie sie ihre in der Entwicklung befindlichen Kinder vor solchen Wissenschaftlern schützen können?!
Roland Schütze am Permanenter Link
Nein, aber die Gesellschaft wird sich sehr genau überlegen müssen, wie es gelingen kann, diese Technologie so zu regulieren, dass Träume und nicht Alpträume wahr werden.
Bernd Vowinkel am Permanenter Link
Die Kinder müssen nicht vor den Wissenschaftlern geschützt werden, sondern im Zweifelsfall vor ihren Eltern.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Seit 2013 steht fest, dass die Methode auch beim Menschen funktioniert."
Steht fest?
Der verlinkte Artikel gibt das leider auch nicht her.
Von den Nebenwirkungen mal ganz abgesehen.
Heinz-Peter Fohrmann am Permanenter Link
Zitat:
Mutationen, welche dazu führen, dass zu wenige Exemplare ein fortpflanzungsfähiges Alter erreichen, werden eo ipso nicht vererbt.
Bernd Vowinkel am Permanenter Link
Es ist klar, dass es für gentechnische Veränderungen am menschlichen Genom gesetzliche Rahmenbedingungen geben muss, die negative Auswirkungen jeglicher Art verhindern.
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Wer ist schuld am eventuellen Leid der Kinder?
Natürlich werden einige Experimente schief gehen! Aber diese „Designer“-Kinder werden nie geboren werden und es nie mitbekommen! Weder Eltern noch Forscher verursachen Leid, wenn eine Zelle aufgrund letaler genetischer Defekte nicht über ein bestimmtes Stadium der Zellteilung hinauskommt. Die meistens werden absterben, bevor sie überhaupt ein Bewusstsein haben.
Auch heute sterben Millionen von befruchteten Eizellen ab – ohne das die Mütter dies überhaupt mitbekommen – da sie mit dem Immunsystem der Mütter inkompatibel sind.
Wer sich über die Ungerechtigkeit der Natur/des Menschen aufregen möchte, sollte sich lieber um die Tausenden von geborenen Kindern kümmern, die tagtäglich verhungern müssen, während wir über in diesem Blog über „Ethik von Eizellen“ diskutieren.
Was maßen wir uns an?
Wenn es nach den Australopithecen gegangen wäre, dann wäre die Abspaltung der Hominiden verboten worden. Sie hätte gegen die damals herrschende Moral und Ethik verstoßen. Zum Glück störte dies die Hominiden aber nicht, denn sie entwickelten ihre eigene Moral und Ethik, die die Australopithecen gar nicht verstehen konnten. Diesen fehlte ja die entsprechende genetische Homo-Ausstattung, um eine neue Ethik zu entwickeln.
Wer möchte denn heute dem neuen Trans-Homo vorschreiben, ob er laut unserer Ethik existieren darf oder nicht. Der neue Trans-Homo wird seine eigene Moral und Ethik entwickeln. Wir fragen doch heute auch keinen Affen mehr, ob es richtig war vom Baum zu steigen.
Gönnen wir der eventuell neuen Art doch einfach ihr Glück und hoffen das Beste für ihre Zukunft. Denn diese Zukunft gehört ihnen – nicht uns!