Die Bremische Evangelische Kirche, ihr Arbeitsrecht und ihre Paralleljustiz

Rechtswidrig und aus der Zeit gefallen

Die Bremische Evangelische Kirche (BEK) beharrt auf ihrem mittelalterlichen Recht, die Gesinnung ihrer Untertanen, heute noch ca. 6500 Angestellte, zu bestimmen. Wer sein grundgesetzlich verbrieftes Recht der Religionsfreiheit wahrnimmt, also auch der Freiheit aus einer Kirche auszutreten, verliert seinen Job oder wird gar nicht erst eingestellt.

Nach der Praxis der BEK befragt, bekräftigt Kirchensprecherin Sabine Hatscher noch einmal die Ablehnung weltlicher Gerichtsbarkeit: "Für uns ist klar, dass kein säkulares Gericht entscheiden kann, wann ein Arbeitsplatz so verkündungsnah ist, dass wir als Arbeitgeber religiös bedingte Anforderungen stellen dürfen." (taz Bremen 30.11.2018)

Das genaue Gegenteil ist die Botschaft der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Beide Gerichte haben festgestellt, dass staatliche Gerichte sehr wohl das Recht haben zu überprüfen, ob die Mitgliedschaft zu einer Kirche für die Erfüllung der Aufgaben notwendig ist.

Die Pressemitteilung des EuGH vom 17. April 2018 ( C-414/16) beginnt mit dem Satz: "Das Erfordernis, dass Bewerber um eine bei der Kirche zu besetzende Stelle einer bestimmten Religion angehören, muss Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können."

Und weiter: "Demnach haben die staatlichen Gerichte zu prüfen, ob die Anforderung notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche (bzw. Organisation) aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten ist."

Bei den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden handelt es sich nicht um irgendwelche esoterisch orientierten Kleinbetriebe. Katholische und Evangelische Kirche mit ihren Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie sind Deutschlands größte Konzerne. Sie beschäftigen insgesamt 1,5 Millionen Menschen. Der Jahresumsatz der christlichen Unternehmen ist höher als der inländische Umsatz der deutschen Autokonzerne. Das christliche Vermögen liegt bei ca. 500 Milliarden Euro. Vergleich: Der Börsenwert von Volkswagen mit weltweit 600.000 Angestellten liegt bei ca. 80 Mrd. Euro. (Carsten Frerk, Kirchenrepublik Deutschland)

Ihre Sozialeinrichtungen, Schulen, Krankenhäuser, Pflegedienste und Obdachlosenunterkünfte werden nicht aus Kirchensteuern, sondern, bis auf die Kindergärten, ausschließlich aus allgemeinen Steuern des Staates, Leistungen der Krankenkassen, der Rentenversicherung oder bei Umschulungen und Fortbildungen der Bundesagentur für Arbeit bezahlt. Die kirchlichen Einrichtungen agieren am Markt der Wohlfahrtsindustrie wie normale Unternehmen.

Der Unterschied ist nur der, dass sie ihr unternehmerisches Wirken als christliche Nächstenliebe und soziale Wohlfahrt verkaufen. Die Obdachlosenunterkunft der Inneren Mission ist christliche Nächstenliebe, die Unterkunft der Arbeiterwohlfahrt schnödes Geschäft. Bei beiden zahlt der Staat. Eigentlich müsste neben jeder Eingangstür einer kirchlichen Sozialeinrichtung ein großes Schild stehen. "Finanziert vom städtischen Sozialamt und den Krankenkassen. Die Kirche hat keinen Cent dazu bezahlt." Die Kirchensteuer landet nicht in den Sozialeinrichtungen.

Somit kann es allen Menschen in diesem Land nicht egal sein, wenn in einem riesigen Sektor mit politischer und wirtschaftlicher Macht relevante Menschenrechte nicht wahrgenommen werden können. Schließlich überweist der Staat jährlich mehr als 100 Milliarden Euro aus Sozialabgaben und Steuern an diese Kirchenunternehmen.

Während die BEK offiziell störrisch daran festhält, nur Mitglieder christlicher Kirchen einzustellen, handelt sie "inoffiziell" ganz anders, wenn es Gewinn und Umsatz der Einrichtungen erfordern. Dazu einige Beispiele der christlichen Doppelmoral.

Die beiden großen kirchlichen Einrichtungen Friedehorst in Lesum und das Diako Krankenhaus in Oslebshausen lassen weitgehend konfessionslos putzen. In beiden Einrichtungen existieren sogenannte "Facility Managament" Firmen. Die "Söffge-Friedehorst-Service GmbH" mit dem Geschäftsführer Michael Schmidt, der auch gleichzeitig Chef bei Friedehorst ist. Beim Diako heißt der entsprechende Dienstleister "A-Z Service GmbH", auch hier mit dem Anstaltsleiter des Diako Herrn Eggers als Geschäftsführer. Hier arbeiten jeweils knapp über 100 Personen, überwiegend ZuwanderInnen ohne christliche Konfession. Das Ganze ist ein "Doppeltrick". Mit dieser Auslagerung kann man konfessionslos putzen lassen und gleichzeitig geltende Tarife unterlaufen. Das hat sich die Kirche bundesweit bei der Industrie abgekupfert.

Im Diako geht es noch weiter. Christliche ÄrztInnen und PflegerInnen, die Arabisch, Türkisch und Kurdisch mit den Patienten sprechen können, sind offensichtlich Mangelware. So ist mittlerweile ca. ein Drittel der Belegschaft ohne christlichen Glauben. Wenn es der Umsatz und die Funktionsfähigkeit notwendig machen, kann also auf die christliche Hand am OP-Tisch verzichtet werden.

Forum Säkulares Bremen

Die Egestorff-Stiftung, eine bremische Alten- und Pflegeeinrichtung mit 300 Beschäftigten, ist Ende 2017 kurzerhand aus dem Diakonischen Werk ausgetreten und hat somit die Kirche verlassen. Grund: Die Kassen sind leer und mittels Einsparung des Mitgliedsbeitrages für das Diakonische Werk und der Möglichkeit, die dort geltenden Gehälter zu unterbieten, beschloss der Aufsichtsrat den Austritt aus dem "Christlichen Verbund". Pikant dabei ist: der Aufsichtsrat setzt sich paritätisch aus jeweils drei Vertretern der Domgemeinde und der Ansgarigemeinde zusammen. Diese Gemeinden gehören zum Herzstück der evangelischen Kirche in Bremen. Die Aufsichtsratsmitglieder sind in ihrer Freizeit Diakone der Gemeinden, aber im Hauptberuf überwiegend als Unternehmer tätig. Profitorientierung und Lohndumping gehören zu ihrem Tagesgeschäft. "Bei der öffentlichen Debatte der Egestorff-Entkirchlichung kam dann auch heraus – man glaubt es kaum –, dass nur 100 der 300 Beschäftigten Kirchenmitglieder sind." (taz Bremen 25.4.2018)

Die Erde ist eine Scheibe!

Das soll sie nach Meinung von BEK Sprecherin Sabine Hatscher am 29.11.2018 gegenüber Radio Bremen auch bleiben: "Die Mitgliedschaft in einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) wird weiterhin als Einstellungsvoraussetzung in unseren Stellenausschreibungen stehen."

Die überalterten kirchlichen Privilegien, das Image der christlichen Nächstenliebe und das besondere kirchliche Arbeitsrecht schaffen einen Konkurrenzvorteil für die Kirchenkonzerne gegenüber der weltlichen Konkurrenz. Denn mit kirchlichem Arbeitsrecht entfallen die Mitbestimmungsrechte eines Betriebsrates, die DGB Gewerkschaften nehmen unverständlicher Weise das Streikrecht nicht wahr und es können unliebsame KollegInnen besser vor die Tür gesetzt werden.

Die Stiftung Friedehorst hat so jahrelang mit erheblichen Lohnsenkungen die Kosten gedrückt.

Natürlich wollen die Kirchen mit der starren Beibehaltung der Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung auch Mitglieder bei der Stange halten. AbsolventInnen von Studien- und Ausbildungsgängen, (ErzieherInnen, Pflegekräfte, SozialpädagogInnen), die insbesondere von kirchlichen Einrichtungen stark nachgefragt werden, bekommen neben dem nötigen Fachwissen auch die Erkenntnis vermittelt, dass eine Kirchenmitgliedschaft für den Einstieg in das spätere Berufsleben von Vorteil ist.

Würden die Kirchen auf die Einstiegsvoraussetzung und den Schutz vor Kündigung durch Kirchenmitgliedschaft öffentlich verzichten, hätte dies wahrscheinlich eine große Austrittswelle zur Folge.

In Bremen sind bei der BEK gerade noch 31 Prozent der Bevölkerung Mitglied, bei jüngeren Jahrgängen gerade noch 20 Prozent. Somit dürften unter den ca. 6500 Kirchen- und Diakoniebeschäftigten überwiegend Menschen sein, die nur wegen des Jobs in der Kirche sind bzw. bleiben.

Kirchliche Paralleljustiz

Die beiden Großkirchen haben nicht nur ein rückwärtsgerichtetes Verständnis von Grundrechten und Schutz vor Diskriminierung, sondern auch eine eigene Kirchengerichtsbarkeit. So ist z. B. das Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland zuständig für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten. Das Kirchengericht der BEK besteht aus sechs rechtskundigen und drei pastoralen Personen. Sie wurden zuletzt auf dem konstituierenden Kirchentag 2013 neu gewählt. (Beschlussprotokoll der 138 Sitzung, 14. März 2013)

Die Namen der rechtskundigen Richter des Kirchengerichts offenbaren eine unselige Verquickung. Vier von sechs der rechtskundigen gewählten Richter sind bzw. waren im Hauptberuf als Richter an Bremischen Gerichten tätig.

  1. Claus Böhrnsen – Richter am Landgericht (Bruder des ehem. Bürgermeisters)
  2. Hendrik Otterstedt – Richter am Amtsgericht Blumenthal
  3. Ann-Marie Wolff – Präsidentin des Amtsgerichts Bremen
  4. Dr. Michael Brünjes – Vorsitzender Richter am Landgericht Bremen

Die Disziplinarkammer der Bremischen Evangelischen Kirche ist zudem mit vier weiteren RichterInnen besetzt, von denen drei dem Oberlandesgericht angehören.

Diese RichterInnen sind unter anderem auch mit arbeitsrechtlichen Streitigkeiten innerhalb der kirchlichen Einrichtungen betraut. Handelt es sich hier um eine Paralleljustiz, wie sie FernsehzuschauerInnen aus den warnenden Hinweisen des deutschen Fernsehens über die Friedensrichter in islamistischen Gemeinden kennen?

Mindestens sollte jede/r BremerIn wissen: Die hiesigen Gerichte können im Streit mit der Kirche als befangen abgelehnt werden. Haben Mitglieder dieses Kirchengerichts Frau Hatscher und die Bremer Kirchenleitung hinreichend über die Veränderungen der Rechtsprechung nach den EuGH und BAG Entscheidungen informiert? Ist es überhaupt zulässig, dass sich Teile der Bremer Justiz in einer religiösen Paralleljustiz betätigen, deren Fälle auch im eigenen Gerichtssaal auftauchen können?

Die Welt verändert sich – bei der BEK soll alles beim Alten bleiben.

In Teilen der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde die veränderte Rechtsprechung zur Kenntnis genommen. Die letzte EKD-Tagung im November 2018 hat den Landeskirchen empfohlen, das kirchliche Arbeitsrecht dahingehend anzupassen, die Wählbarkeit von NichtchristInnen in die MitarbeiterInnenvertretungen möglich zu machen. Dahinter verbirgt sich auch das deutliche Eingeständnis, dass nichtchristliche MitarbeiterInnen tatsächlich innerhalb des Kirchenkonzerns existieren. Die evangelische Nordkirche (Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) hat für ihre Einrichtungen bereits auf die Voraussetzung der Kirchenmitgliedschaft verzichtet.

Es scheint sich bei der Bremischen Evangelischen Kirche um ein extrem konservatives Bollwerk innerhalb der Landeskirchen zu handeln.

Diesem Bollwerk gilt es entgegenzutreten und allen BürgerInnen das Recht auf Schutz vor Diskriminierung zu erkämpfen.

Auch die bremische Politik ist gefordert, hier zu intervenieren. Dies hat die rot/grüne Koalition auch versprochen. So heißt es etwa im Wahlprogramm der SPD aus 2015 und ähnlich in der Koalitionsvereinbarung.

"Wir akzeptieren kein 'Zwei-Klassen-Arbeitsrecht'. Auf Grundlage der bestehenden staatskirchenrechtlichen Verträge werden wir daher Gespräche mit den christlichen Kirchen führen, mit dem Ziel die arbeitsrechtliche Situation von dem kirchlichen Arbeitsrecht unterliegenden Arbeitnehmer/innen insbesondere in nicht verkündungsnahen Bereichen an die außerhalb der kirchlichen Einflusssphäre geltenden arbeitsrechtlichen Bedingungen anzunähern. Sollte dies nicht gelingen, werden wir prüfen, ob es möglich ist Zuwendungen künftig nur noch an kirchliche Einrichtungen zu vergeben, die die allgemeingeltenden arbeitsrechtlichen Grundlagen anwenden."

Das waren bisher allerdings nur Lippenbekenntnisse.

Ein üblicher Weg von Wahlversprechen oder ist der Vorsatz an der enormen Macht der Kirchen in Bremen gescheitert ?

Wenn die Veränderung des kirchlichen Arbeitsrechts und die fortgesetzte Diskriminierung glaubensfreier Menschen nicht von oben kommt; der individuelle Weg zu den Arbeitsgerichten ist offen. Ein Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen existiert nicht. Gewerkschaften können es durch tatsächliches Handeln umsetzen, um damit Tarifverträge zu erkämpfen.