Der Lehrer André Sebastiani nennt in dem Buch "Anthroposophie. Eine kurze Kritik" eine Fülle von Einwänden insbesondere gegen die Anthroposophie als Weltanschauung und die Waldorfpädagogik als Praxis. Dabei überzeugt insbesondere seine Analyse von Rudolf Steiners Werk, bei den Ausführungen zur Waldorfpädagogik hätte man sich ein wenig mehr Differenzierung gewünscht – gleichwohl handelt es sich um eine aufklärerische Kritik und ein beachtenswertes Werk.
Die Anthroposophie verbindet man heute insbesondere mit Demeter-Produkten und der Waldorfpädagogik. Im erstgenannten Bereich geht es um Nahrungsmittel aus dem ökologischen Landbau, im zweiten Bereich um Schulen ohne Leistungsdruck. Doch was steckt eigentlich sonst noch hinter der Anthroposophie als Idee wie als Praxis? Ist das auch mit Esoterik einhergehende Image durchweg in der Realität so positiv? Nein, antwortet André Sebastiani auf diese Frage. Er ist Lehrer in Bremen und in der Skeptiker-Bewegung aktiv. Beides motivierte ihn in Kombination miteinander dazu, sich kritisch mit der Anthroposophie zu beschäftigen. Die Ereignisse seiner Recherchen und Reflexionen kann man in einer gut strukturierten Zusammenfassung lesen. "Anthroposophie. Eine kurze Kritik" heißt das Buch. Es will einen kritischen Überblick über Klischees geben und über die weltanschaulichen Hintergründe aufklären. Dabei werden jeweils Behauptungen genannt und einer kritischen Erörterung ausgesetzt, was der Konzeption für die Schriftenreihe entspricht.
Zunächst geht es ausführlich um die Anthroposophie als Weltanschauung, wobei die Auseinandersetzung insbesondere mit dem Begründer Rudolf Steiner erfolgt. Es könne hier keinesfalls von einer Wissenschaft gesprochen werden, mangele es doch an Intersubjektivität und Überprüfbarkeit. Gesondert geht der Autor dabei auf das Menschenbild und die Weltanschauung ein, auch der Anthroposophie-Kontext zu Nationalsozialismus, Rassismus und Verschwörungsvorstellungen steht im Zentrum. Deutlich wird dabei: "Die Anthroposophie trägt alle Merkmale einer Religion … Es gibt Engel und Erzengel, Elementarwesen und Dämonen" (S. 56). Danach geht es um die Waldorfpädagogik, wo das damit einhergehende Lernkonzept, das Klassenlehrer-Modell und die Rolle der Eurythmie kritisch kommentiert werden. Sebastiani geht davon aus, dass dort Leistungsdruck und Versagensängste sehr wohl auch an der Tagesordnung seien. Dies sei mit die Folge einer "anmaßenden, manipulativen Gesinnungspädagogik" (S. 112).
Diesen beiden Hauptkapiteln folgen dann noch einige Nebenkapitel: Darin geht es zunächst um die anthroposophische Medizin, welche eine "Pseudomedizin" sei und "Magie als Ganzheitlichkeit" (S. 139) verkaufe. Und bei dem Blick auf den "Bioverband Demeter" stellt der Autor einen Vergleich zum ökologischen Landbau an: "Die biologisch-dynamische Methode unterscheidet sich durch den esoterischen Überbau und das Anwenden magischer Rituale von andren Arten des ökologischen Landbaus" (S. 155). Hier bedürfe es einer Differenzierung, es gebe auch keine Belege für die Überlegenheit der anthroposophischen Variante. Und schließlich spricht Sebastiani noch kurz den politischen und wirtschaftlichen Kontext an. Bilanzierend heißt es: Ihr menschenfreundliches Image entspreche nicht ihrer menschenverachtenden Ideologie. "Die Anthroposophie ist im Kern eine elitäre, dogmatische, irrationale, esoterische, rassistische, antiaufklärerische Weltanschauung" (S. 164).
Das Buch ist erklärtermaßen als Kritik konzipiert, insofern darf man sich nicht über Einseitigkeiten beklagen. Es kommt hier immer darauf an, inwieweit sie gut begründet werden. Dies gelingt dem Autor über weite Strecken, insbesondere bei der Auseinandersetzung mit den Lehren von Steiner. Hier kann er viele problematische Aspekte anhand von einschlägigen Zitaten gut veranschaulichen. Bei den Ausführungen zu den Waldorfschulen hätte ein wenig mehr differenziert werden können, kommt es doch jeweils auf die konkrete Schulkultur und den entsprechenden Lehrer an. Insofern kann das Klassenlehrermodell mal die erwähnten Nachteile haben, mal nicht. Sehr gelungen ist hier der nur kurze Hinweis, dass scheinbar flache Hierarchien durchaus mit inoffiziellen Machtzirkeln einhergehen können (vgl. S. 76 f.). Der Rassismusvorwurf trifft Steiner zutreffend, wäre aber nicht in dieser Pauschalität für die gegenwärtige Waldorfpädagogik angemessen. Aber bei aller notwendigen Detailkritik: Es handelt sich um ein aufklärerisches Werk!
André Sebastiani, Anthroposophie. Eine kurze Kritik, Aschaffenburg 2019 (Alibri-Verlag), 176 S., 10,00 Euro
10 Kommentare
Kommentare
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Armin Pfahl-Traughber Sie schreiben: "...
Sie schreiben: "Hängt aber was man so hört sehr stark von der Schule und den konkreten Lehrern ab."
Die Standard-Verteidigung von Befürwortern der Waldorfschule ist: „Waldorfschulen sind nicht alle gleich“
Damit wird jede Kritik zum "bedauerlichen Einzelfall" erklärt.
Natürlich sind nicht alle Waldorfschulen „gleich“, aber gleich ist für alle Waldorfschulen, dass sie zentral vom „Bund der Freien Waldorfschulen“ gelenkt werden:
„Waldorfschule“ darf sich nur nennen, wer vom „Bund der Freien Waldorfschulen“ die Zustimmung dazu bekommt. Um sie zu bekommen, schickt der „Bund der Freien Waldorfschulen“ einen „Gründungslehrer“, der auf die richtige, anthroposophische Ausrichtung achtet … (fast) alles gleich macht.
Neuro am Permanenter Link
@Andreas Lichte: Sorry, aber nur weil Sie mal vor X Jahren traumatische Erfahrungen am Waldorflehrerseminar gemacht haben (Was ich nebenher bemerkt durchaus nachvollziehen kann, auch dort gab/gibt es dort unfähige Men
Andreas Lichte am Permanenter Link
Waldorfschulen sind durch und durch anthroposophische Schulen, sie sind "Bekenntnisschulen der Anthroposophie" – siehe den Artikel von Prof. Klaus Prange beim Humanistischen Pressedienst:
"Die Waldorfschule als Bekenntnisschule
Wenn Anthroposophen bei Artikeln von Andreas Lichte zur Waldorfpädagogik kommentieren, ist sicher, dass sie irgendwann schreiben: "Anthroposophie wird an Waldorfschulen nicht unterrichtet!" Der Erziehungswissenschaftlers Professor Klaus Prange widerspricht dieser Auffassung (...)"
weiter: https://hpd.de/artikel/waldorfschule-bekenntnisschule-15939
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Neuro Die Waldorfschulen haben den, Zitat Euro, "unfähigen Menschen" Rudolf Steiner. Kurt Tucholsky:
"... Immer, wenn übersetzt wurde, dachte ich über diesen Menschen [Rudolf Steiner] nach. Was für eine Zeit –! Ein Kerl etwa wie ein armer Schauspieler, der sommerabends zu Warnemünde, wenns regnet, im Kurhaus eine »Réunion« gibt, alles aus zweiter Hand, ärmlich, schlecht stilisiert ... und das hat Anhänger –! Wie groß muß die Sehnsucht in den Massen sein, die verlorengegangene Religion zu ersetzen! Welche Zeit –! ...", Kurt Tucholsky, "Rudolf Steiner in Paris", https://www.textlog.de/tucholsky-rudolf-steiner.html
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Armin Pfahl-Traughber Das "Klassenlehrermodell" ist nicht "mal so, mal so" – aus meinem Interview mit dem Bildungswissenschaftler Prof. Dr. Stefan T. Hopmann:
„(…) Lichte: Ist es nicht eine Überforderung des Klassenlehrers, 8 Jahre lang alle Fächer unterrichten zu müssen? Welche Qualität kann so ein Unterricht noch haben?
Prof. Hopmann: Natürlich hat die Konstruktion, eine einzelne Lehrkraft allzuständig sein zu lassen, zwei entscheidende Risiken: Zum einen gibt es keine Lehrkraft, die tatsächlich sämtliche Schulinhalte auf einem so hohen fachlichen Niveau beherrscht, dass sie die unterschiedlichen Lernbedürfnisse und Lernschwierigkeiten angemessen berücksichtigen kann. Die Schulforschung ist sich da ziemlich einig: Spezialisierung ist notwendig. Zum andern öffnet die Verwiesenheit auf eine einzige Bezugsperson natürlich die Möglichkeit, für psychischen (und ggf. physischen) Missbrauch. (…)“
Quelle: „Man kann nicht nur ein ‘bisschen’ Waldorf sein“, https://www.ruhrbarone.de/waldorfschule-„man-kann-nicht-nur-ein-»bisschen«-waldorf-sein“/30117
Kay Krause am Permanenter Link
Ich halte den Vergleich der anthroposphischen Steinerei (oder umgekehrt) mit einer Religion durchaus für berechtigt und angemessen:
Und genauso gibt es auch wunderbare Pfarrer, die ihre Aufgabe nicht als Beruf zum Geldverdienen betrachten, sondern als Berufung, die ein wahrer "Vater" der ihnen anvertrauten Gemeinde zu sein versuchen (und sich nicht sexuell an Kindern und Ehefrauen vergreifen!)
Das Ziel beider Institutionen ist jedoch das selbe: Die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen (also formbaren Menschen) in eine ganz bestimmte Richtung, welche (was Waldorfschulen sowie Kirchen betrifft, hier im hpd zur Genüge beschrieben wurde und nicht wiederholt werden muß. Meine Erfahrung ist, dass man in einer ernsthaften Diskussion mit erwachsenen Waldorfschülern, ebenso wie mit gläubigen Christen, mit Logik und Vernunft nicht weit kommt. Zur Steiner-Lehre gehört einfach der Glaube
daran, und wo der dominiert, kommt das Wissen (und wissen wollen) erst an zweiter Stelle
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Kay Krause Die Einordnung der Anthroposophie als (fundamentalistische) Religion ist korrekt. Und die Waldorfschule ist mehr, als nur eine "Schule":
"(...) Das „Ghetto“ ist die „anthroposophische Lebensgemeinschaft“ Schloss Hamborn, Westfalen, mit Waldorfschule, Waldorfinternat, Demeter-Laden, Altersheim – und eigenem Friedhof. Also nicht unbedingt die typische Waldorfschule. Aber das unvergleichliche Waldorf-Wir-Gefühl findet sich auch an jeder anderen Waldorfschule. Warum? Waldorf ist nicht einfach nur „Schule“. Waldorf ist eine Lebensform, die nicht mit dem Schul-Gong endet. (...)
Mir muss nicht extra gesagt werden, dass man als (zukünftiger) Waldorflehrer Teil einer grossen Gemeinschaft ist, die höhere Ziele verfolgt: „Die Welt wird zum Tempel, die Welt wird zum Gotteshaus“, sagt Rudolf Steiner, der Begründer der Waldorf-Pädagogik. Für Steiner ist die Waldorfschule der „praktische Beweis für die Durchschlagskraft der anthroposophischen Weltorientierung.“ Nicht weniger. Und die Anthroposophie ist Steiners Haus-Religion: Steiner ist ihr selbsternannter Prophet, Hellseher, dessen Worte Offenbarungscharakter besitzen. Und schon erschallt – Hosianna! – das allgegenwärtige „Rudolf Steiner hat gesagt …“ (...)"
Quelle: "Waldorfschule Schloss Hamborn, das anthroposophische Zentrum in Ostwestfalen", https://www.ruhrbarone.de/waldorfschule-schloss-hamborn-das-anthroposophische-zentrum-in-ostwestfalen/15711
Jo Lorenz am Permanenter Link
Sie schreiben: „Bei den Ausführungen zur Waldorfpädagogik hätte man sich ein wenig mehr Differenzierung gewünscht.“.
Ich hätte das nicht. Das Argument „Not all Waldorfschulen!“ wird ja gerade von den Verfechtern der Waldorfpädagogik gerne hervorgebracht, siehe das Feld im Waldorf-Bullshit-Bingo: „In unserer Schule ist das aber nicht so!“.
Wichtig ist, was der Bund der Freien Waldorfschulen und die Gründungslehrer grundsätzlich für eine Intention haben. Es wird durch die Anthroposophen klar definiert, wie die Waldorfschule zu sein hat – auch wenn davon im Einzelfall abgewichen wird.
André hat ja bereits in vielen Interviews umsichtig und rational darauf hingewiesen, dass er keineswegs pauschal über alle Schulen urteilen will – und kann.
Ich stimme dann hier voll zu: „Eine gut strukturierte Zusammenfassung“. In der Tat! Fachbegriffe werden meist kurz erklärt, so dass auch Nicht-Akademiker dem Thema folgen können.
Zu jeder verklärenden Aussage von Waldorf und Co. (z. B. „Wir unterrichten keine Anthroposophie!“) kommt der entsprechende Gegenbeweis, findet man eine Urquelle, und am Ende ein klares Fazit – dass man ohne weiteres als gutes Argument in Diskussionen verwenden kann.
Ist das Buch also einseitig? Vielleicht.
Die „andere Seite“ ist jedoch übermächtig und findet sich nun wirklich an jeder Ecke: Bei deiner Bank, im Supermarkt, beim Arzt und auf dem Frühstückstisch. Jegliche skeptische Aufklärungsarbeit kann hier nur helfen, das Ungleichgewicht, also die übertrieben positive Selbstdarstellung der Anthroposophen, auszugleichen.
Es ist eine große Leistung, den extrem komplexen Glauben der Steiner-Jünger so klar zusammenzufassen. Und gerade wegen der Komplexität des Themas ist für mich der einzige Kritikpunkt an Andrés Buch: dass es zu kurz ist.
Wer einen fundierten Einblick in „Deutschlands einflussreichste Sekte“ (Colin Goldner) will, der sollte die paar Euro investieren und das Buch kaufen.
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Jo Lorenz Armin Pfahl-Traughber übernimmt in seiner "Rezension" die Position des "Bundes der Freien Waldorfschulen", Zitat: "...
Andreas Lichte am Permanenter Link
André Sebastiani, "Anthroposophie – Eine kurze Kritik", Reihe Kritikpunkt.e, Alibri 2019, Zitat:
"2.2 Gründung einer Waldorfschule
(…) dass es meist Anthroposophen sind, häufig mit waldorfpädagogischer Ausbildung, die den harten Kern der Elterninitiativen [zur Gründung einer Waldorfschule] bilden und die mitnichten weltanschaulich neutral sind. Über jede Waldorfschulgründung wacht der ‘Bund der Freien Waldorfschulen’, der mächtige Dachverband der Waldorfschulen in Deutschland. Er hält die Namensrechte, er erteilt schlussendlich die Genehmigung und deshalb bestimmt er auch die Regeln. Zwingend vorgeschrieben ist dazu ein Gründungslehrer, der die Schulgründung ganz im Sinne des ‘Bundes der Freien Waldorfschulen’ beaufsichtigt und der dafür sorgt, dass am Ende auch Anthroposophie drin ist, wo Waldorfschule draufsteht. (…)"