Entwicklungen in Deutschland von 1972 bis heute

Legalisierte Abtreibung: Ein Geschenk der DDR zum Frauentag

Es war eine Art "Frauentagsgeschenk", als die Volkskammer der DDR am 9. März 1972 das "Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft" verabschiedete. Und es kam einer Sensation gleich: Mit einer sogenannten Fristenlösung übertrug weltweit erstmalig ein Staat Frauen das Recht, innerhalb von zwölf Wochen "zur Bestimmung der Anzahl, des Zeitpunktes und der zeitlichen Aufeinanderfolge von Geburten … über die Unterbrechung einer Schwangerschaft in eigener Verantwortung zu entscheiden." (Paragraph 1, Absatz 1 des DDR-Gesetzes).

Das Gesetz von 1972: Fristenlösung in der DDR

Das "Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft" basierte auf einer alten sozialistischen Frauenrechtsforderung – aber warum gerade dieser Zeitpunkt? Nach Einschätzung der Autorin Dr. Grit Lemke (mdr-Beitrag, Erstveröffentlichung 2012) wurden Anfang der siebziger Jahre besonders berufstätige Mütter zu Hauptadressatinnen der DDR-Sozialpolitik. Dabei war als Problem erkannt worden, dass unsachgemäß durchgeführte Abtreibungen bei ihnen zu einer besorgniserregenden Sterbequote führten.

Mit der sogenannten Fristenlösung blieb Abtreibung ("mal drei Tage Krankenhausaufenthalt wegen einer Frauensache") zunächst weiterhin selbst sprachlich tabuisiert. An öffentlichen Debatten hatte die SED kein Interesse, von innerstaatlicher Demokratie ganz zu schweigen, hinzu kam die bestehende Prüderie. Die "Schwangerschaftsunterbrechung" – wie es im DDR-Gesetz ja statt "-abbruch" hieß – war erst mit den Jahren den miserablen Vorbereitungen entronnen. Sie war daraufhin nicht nur zur Normalität geworden, sondern wurde in fast allen Krankenhäusern nahezu "fließbandartig" vorgenommen. Landesweit kamen laut mdr-Beitrag zwischen 1972 und 1986 auf 100 Lebendgeburten 47 Abtreibungen.

Wenngleich die Rate der durchgeführten Abbrüche ab 1972 zunächst sehr stark angestiegen war, hatte es in der Ärzteschaft der DDR anfangs doch erhebliche Zurückhaltung und Unsicherheit gegeben.

Beibehaltene Strafrechtsregelung und Beratungsmängel

Zudem blieben ergänzend zum neuen Nicht-Strafrechtsgesetz von 1972 die §§ 153–155 im DDR-Strafrecht (siehe Kasten unten) bis zuletzt unverändert in Kraft: Damit galt in der DDR eine Schwangerschaftsunterbrechung strafrechtlich als unzulässig, wenn sie eben "entgegen den gesetzlichen Vorschriften" (von 1972) vorgenommen wurde. In der gesellschaftlichen Praxis blieb dies jedoch unbemerkt und wird heute von Ex-DDR-Frauenrechtlerinnen negiert, die in dieser Frage über ihr untergegangenes Land kein einziges nicht genehmes Wort sagen wollen. Zu tief sitzt der beleidigende Affront durch die rückschrittliche Wiedereinführung eines dann bundeseinheitlichen Strafrechtsparagraphen 218.

Eine 1979/80 in der DDR durchgeführte Studie resümierte, der Umgang mit dem Gesetz zur Unterbrechung der Schwangerschaft sei "sehr verantwortungsbewusst" – es werde hauptsächlich von berufstätigen Frauen in Anspruch genommen, die schon Kinder hätten. Doch es wurden auch Mängel angesprochen: Nämlich eine Vernachlässigung der im Gesetz ausdrücklich vorgeschriebenen ärztlichen Beratungspflicht aufgrund einer oftmaligen "Massenabfertigung" mit sofortiger Terminvergabe.

In der DDR hatte es – von kirchlichen Kreisen abgesehen – keine Chance gegeben, sich der Frage ernsthaft anzunähern, ob und ab wann dem Ungeborenen vielleicht auch Beachtung zu schenken sei. Erst 1985 forderte erstmalig der Arbeitskreis Ethik in der Medizin der Humboldt-Universität, künftig auch die Würde des "unerwünschten werdenden Lebens" zu berücksichtigen, zumal in der zweiten Schwangerschaftshälfte. Grit Lemke resümiert: "Wirklich aufgearbeitet wurde das Problem der Abtreibung in der DDR jedoch bis heute nicht." In der Erinnerung bleibt die DDR-Regelung als – vielleicht – der einzig wirkliche antikapitalistische Befreiungsschlag. Die unreflektierte Forderung, die Paragraphen 218 ff. seien ohne Wenn und Aber ersatzlos zu streichen, liegt dann auf der Hand – obwohl auch die DDR-Rechtslogik ja nicht ohne ergänzende Strafrechtsregelung ausgekommen ist.

Von 1972 unter Willy Brandt in der BRD bis zum Einigungsprozess

In der damaligen BRD galt der § 218 Strafgesetzbuch (StGB), der seit Gründung des Deutschen Reichs im Jahr 1871 bestand und ursprünglich für jede Abtreibung bis zu fünf Jahre Zuchthaus vorsah. Trotz verschiedener Änderungen blieb er berüchtigt und wurde leidenschaftlich bekämpft aufgrund seiner Frauen- und Selbstbestimmungsfeindlichkeit im Sinne einer staatskirchlichen Sittenlehre. Die SPD-FDP-Koalition unter Willy Brandt wollte – möglicherweise im Lichte des neuen DDR-Gesetzes – den Strafrechtsparagrafen 218 ebenfalls in eine "Fristenlösung" umwandeln. Dies scheiterte jedoch. Im Februar 1975 erklärte das Bundesverfassungsgericht der BRD die Fristenlösung für verfassungswidrig – rechtlicher Würdeschutz gebühre dem Ungeborenen ab der Empfängnis (!) auch gegenüber seiner Mutter.

Einen Höhepunkt erlebte die Abtreibungsdebatte nach der Wiedervereinigung. Es sollte aus den Modellen in Ost und West ein neues gesamtdeutsches entwickelt werden. Im August 1992 verabschiedete der Bundestag einen reformierten § 218, der die Fristenlösung mit Beratungspflicht vorsah. In diesem Fall sollte auch Anspruch auf Leistungen der Krankenkasse bestehen. Doch auf Beschwerde der Bayerischen Staatsregierung wurde mit Urteil vom Mai 1993, analog zu 1974, wiederum die Fristenlösung für verfassungswidrig erklärt. Diese Maßgabe findet nunmehr im deutschen Strafrecht in den §§ 218, 218 a–c dahingehend seinen Niederschlag, dass zunächst sogar die befruchtete menschliche Eizelle mit der Einnistung in der Gebärmutter geschützt werden soll – mit Strafandrohung von bis zu drei Jahren Gefängnis (§ 218 Abs. 1 Satz 2 StGB). Nach herrschender medizinethischer und philosophischer Bewertung entbehrt dies jeglicher nachvollziehbaren Begründung und ist nur theologisch vermittelbar.

In § 218 Abs. 2 sowie auch in § 218 c sind dann Straftatbestände aufgeführt, die teils wortgleich denen der §§ 153–155 des StGB-DDR entsprechen. In § 218 a schließlich sind dann die Ausnahmen von der Strafbarkeit geregelt.

Bestehenden § 218 im Strafrecht abschaffen – aber völlig ersatzlos?

Auch wenn Frauen heutzutage in Deutschland straffrei bleiben, wenn sie sich an die Ausnahmebedingungen halten, ist die in § 218 Abs. 1 ausgesprochene grundsätzliche Rechtswidrigkeit der Abtreibung keineswegs hinnehmbar. Es handelt sich um ein Zugeständnis an den rigoros-religiösen Lebensschutz. Der bestehende § 218 im Strafgesetzbuch stigmatisiert ÄrztInnen, auch wenn sie völlig zulässige Abtreibungen vornehmen, und dient dazu, bei Frauen zumindest ein schlechtes Gewissen hervorzurufen. Ihre diesbezüglich vorgeschriebene Beratung hat auch den Schutz des Embryos zu betonen, der noch nur aus einem "Zellhaufen" besteht. Eine Abschaffung des Strafrechtsparagraphen 218 in seiner jetzigen Form (!) ist also überfällig und dringend erforderlich. Eine kompromisslose, einfache Forderung nach ersatzloser Streichung kann jedoch der komplexen Abwägungsproblematik kaum gerecht werden.

Laut Selbstverständnis des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung ist dessen Kernforderung der "uneingeschränkte Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch und die Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch". Das Bündnis lässt keinen Zweifel aufkommen, dass damit der Verzicht auf – auch eine zieloffene – Beratungspflicht ebenso gemeint ist wie die Herausnahme des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafrecht überhaupt. Dadurch aber würden dann auch betroffen sein: Nötigungen zum Schwangerschaftsabbruch (etwa durch unterhaltspflichtige Kindesväter oder aufgrund eines traditionell-familiären Sittenkodex), Gesundheitsgefährdungen der Frauen und Schmerzzufügungen bei einem bereits empfindungsfähigen Fötus durch nicht-ärztliche Eingriffe, die Tötung im späten bereits selbstständig überlebensfähigen Stadium des Fötus.

Für genau dieselbe radikale Streichungsforderung wurde den JUSOS von der AfD und Lebensschützern vorgeworfen, die Abtreibung von Föten noch im neunten Schwangerschaftsmonat zulassen zu wollen. Der JUSO-Vorsitzende Kevin Kühnert hat die Forderung nach Aufhebung der Frauenkriminalisierung ("Warum lassen wir das zu?") überzeugend dargelegt. Er hat jedoch eingeräumt, dass zur ersatzlosen Streichung des Paragraphen 218 gleichzeitig Alternativvorschläge, insbesondere was eine Fristenlösung betrifft, hätten vorgelegt werden sollen. Es besteht also bei der dringend notwendigen Reform der gesamten Thematik des Schwangerschaftsabbruchs erheblicher Aufklärungs- und Diskussionsbedarf, zumal es sich um eine der schwierigsten medizinethischen Fragen handelt.

Aus dem Strafrecht der DDR: Unzulässige Schwangerschaftsunterbrechung

§ 153. (1) Wer entgegen den gesetzlichen Vorschriften die Schwangerschaft einer Frau unterbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.

(2) …

§ 154. (1) Wer die Tat ohne Einwilligung der Schwangeren vornimmt, oder wer gewerbsmäßig oder sonst seines Vorteils wegen handelt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer durch Mißhandlung, Gewalt oder Drohung mit einem schweren Nachteil auf eine Schwangere einwirkt, um sie zur Schwangerschaftsunterbrechung zu veranlassen.

§ 155. Schwere Fälle. Wer durch eine Straftat nach den §§ 153 oder 154 eine schwere Gesundheitsschädigung oder den Tod der Schwangeren fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren bestraft.

Quelle: http://www.verfassungen.de/ddr/strafgesetzbuch74.htm