Kommentar

Säkulare als Schrecken der Parteien

Hamed Abdel-Samad hat in seinem hpd-Kommentar treffsicher die deutschen Parteien für unkritische Behandlung von Religionsgemeinschaften angegriffen. Weitere Beispiele dafür lassen sich an vielen Stellen ergänzen.

Die aktuellen Probleme mit den vielen streng islamistischen Gemeinschaften heute begründen sich auch auf der Unfähigkeit der Bundesrepublik, nach nunmehr 70 Jahren ihr Verhältnis zu den christlichen Kirchen endlich auf eine zukunftsfähige Grundlage zu stellen. Solange dieser verfassungsrechtliche Sonderstatus andauert, stehen auch Ditib, Moslembrüder und andere reizende Zeitgenossen auf der Matte und verlangen Gleichbehandlung. Parteien und Öffentlichkeit sollten endlich diesen Zusammenhang zwischen längst obsolet gewordenem "Staatskirchenrecht" und den Ansprüchen islamistischer Gruppen erkennen und daraus die überfälligen Konsequenzen ziehen.

Gründung eigener Partei als falscher Weg

Ob eine neue Partei den Reformprozess voranbringen kann, ist mit Fug und Recht zu bezweifeln. Die rührend rührige Partei der Humanisten (PdH) ähnelt einer richtigen Partei wie die Zwergschule einer Universität. Sie dient – wenn sie überhaupt bemerkt wird – den Gegnern einer Trennung von Staat und Kirchen eher als Beleg für ihre Behauptung, dass Säkulare ohnehin nichts Wirksames auf die Beine stellen können.

Gegen eine eigenständige säkulare Partei spricht auch die Dynamik des politischen Prozesses. Parteien müssen binnen weniger Jahre die gesamte Palette der Themen abdecken, von der Umwelt- und Sozialpolitik über auswärtige Beziehungen und die Zukunft des Internet. Welchen Zugang zu diesen hochkomplexen Fragestellungen soll sich jedoch eine Partei verschaffen, deren einzige gemeinsame Grundlage sich auf die Trennung von Staat und Kirchen beschränkt? Der Laden fliegt doch bei erster Gelegenheit aus der Kurve – wie zuletzt die Piratenpartei.

Säkulare Bestandaufnahme bei den Parteien als Expedition ins Unbekannte

Eine ehrliche Bestandsaufnahme säkularer Politikansätze in den Parteien verlangt eine hohe Frustrationstoleranz. Da erleben wir ohne allgemeinen Aufschrei eine Brüskierung der Säkularen Sozialdemokraten durch Führung ihrer Partei. Diese verweigert beharrlich die Anerkennung der Säkularen als Arbeitskreis. Da wollen Nahles und Co. auf der einen Seite ihre alten linken Werte aus den Zeiten eines August Bebel wieder exhumieren – und kappen dabei ihre kirchenkritischen Wurzeln.

Bei den LINKEN wiederum führte bereits ein bescheidener Reformantrag auf dem Programmparteitag 2017 in Hannover zu einem Debakel. Auf Druck der Parteiführung wurde ein tags zuvor gefasster Beschluss wieder zurückgenommen.

Hat jemand aus dem Kreis der Leserinnen und Leser etwas davon gehört, dass die FDP sich ihrer Freiburger Thesen und des legendären Kirchenpapiers besinnt und die konsequente Trennung von Staat und Kirchen anstrebt? Wer was weiß, möge sich beim Autor melden und nach Finderlohn fragen.

Die Grünen haben immerhin eine Säkulare Bundesarbeitsgemeinschaft anerkannt und in Münster 2016 ihren von einer Fachkommission unter Beteiligung der Säkularen Grünen vorbereiteten Grundsatzbeschluss gefasst. Der hat einige Lücken, so beim Religionsunterricht und der Kirchensteuer, ist aber immerhin eine solide Grundlage.

Kirchenbindung der Parteien

Die Gründe für die verbreitete Haltung in den Parteien sind durchaus unterschiedlich und für die Ausarbeitung einer säkularen Strategie erheblich. Der Hinweis auf die Kirchenbindung vieler FunktionsträgerInnen ist zwar nicht falsch, aber allzu verschwörungstheoretisch angelegt. Er greift zu kurz, weil er letztlich nicht zwischen den verschiedenen Parteien differenziert.

Die Union hat den christlichen Anspruch in ihrer DNA (wie glaubhaft das alles ist, steht erst einmal auf einem anderen Blatt).

Die SPD wiederum leidet in periodischen Schüben unter dem Phantomschmerz ihrer alten Ausgrenzung aus der bürgerlichen Gesellschaft; bis heute ein Grund für die Willfährigkeit gegenüber den Kirchen.

Die LINKE sehnt sich ähnlich wie die SPD nach gesellschaftlicher Reputierlichkeit, für die der kirchenfreundliche Thüringer Ministerpräsident steht. Wie auch bei den Grünen ist bei den LINKEN die Besorgnis verbreitet, Kirchen als Bündnispartner in der Sozial- und Flüchtlingspolitik nicht vor den Kopf zu stoßen.

Bei den Grünen wiederum dominiert in (un)schöner Regelmäßigkeit der Schutzinstinkt für alles und jedes, was den als Opfer geadelten Status der drangsalierten Minderheit beansprucht. Allzu gern versteht sich die Partei als Geleitschutz auf dem Hindernislauf durch gesellschaftliches Feindesland. Da schaut man lieber nicht so genau hin, was sich da unter dem Rockzipfel tummelt.

Was aber tun?

Aktives Einwirken auf die bestehenden Parteien ist mühsam, aber unverzichtbar. Wem fällt was Besseres ein?

Den Führungen – zumindest der linken Parteien und der FDP – werden im Angesicht dramatisch sinkender Mitgliederzahlen der Religionsgemeinschaften irgendwann einmal eine überzeugende Ansprache für die fast 40 Prozent Konfessionsfreien finden müssen. Wollen die Parteien den Anschluss an die Änderungen gesellschaftlicher Tiefenströmungen nicht verpassen, sollten sie endlich kapieren, dass die Zeiten der Identität von Bürger und Christ unwiederbringlich vorbei ist. In wenigen Jahren sind die Angehörigen der beiden Großkirchen zusammen nur noch eine gesellschaftliche Minderheit. Trotzdem laufen sie noch immer in einer Staatsrobe herum, die ihnen längst viel zu groß geworden ist.

Die Aufgabe der Politik und ihrer (hoffentlich!) weitsichtigen Führungskräfte besteht darin, sich die realen Verhältnisse anzusehen und den tradierten Glaubensgemeinschaften ihren Weg in die Zivilgesellschaft zu weisen. Dort müssen diese sich freilich ihren Platz mit anderen Vereinigungen teilen. Das bedeutet ein Ende von Kirchensteuer und historischen Staatsleistungen.

Die jüngste Entscheidung des Bundesfinanzhofs über die Gemeinnützigkeit von ATTAC zwingt auch hier zu grundlegenden Reformen. Es kann nicht sein, dass alles, was Kirchen tun und lassen, pauschal und ungeprüft steuerlich wie gemeinnützige Arbeit gewertet wird, während NGOs von den Finanzämtern kleinlich unter die Lupe genommen werden. Die steuerrechtliche Bevorzugung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber Vereinen und Verbänden muss ein Ende haben!

Dass ihre luxuriöse Käfighaltung als Staat im Staate mit all ihren Annehmlichkeiten und Privilegien unwiederbringlich zu Ende geht, haben vorausschauende Menschen innerhalb der Kirchen längst erkannt. Sie sind aber in der Minderheit. Warum ohne Not das bequeme Hotel Mutti verlassen und sich um die große Wäsche selber kümmern.

Säkulare: parlamentarisch und außerparlamentarisch unterbelichtet

Parteien bewegen sich oft nicht aus eigenem Antrieb, sie reagieren vielmehr auf gesellschaftlichen Druck von außen. Parteien zucken zurück, wenn Themen – aus Sicht der Führungen – geeignet sind, Anhänger und Mitglieder zu verstören ohne jedoch neue Wähler und Wählerinnen zu mobilisieren. Themen, die keine "kritische Masse" mobilisieren, haben es schwer. Ob ein Thema durchdringt, hat oftmals weniger mit seiner tatsächlichen Relevanz zu tun als mit geschickter Lobbyarbeit bei gleichzeitigem Rückhalt aus der Zivilgesellschaft.

In der geduldigen und beharrlichen Aufklärung der Parteimitglieder liegt eine große Verantwortung der Säkularen. Von selbst passiert nichts. Mit einem schäumenden Antiklerikalismus ist hier übrigens nichts gewonnen; ganz im Gegenteil. Parteien sind immer Bündnisse unterschiedlicher Strömungen und Richtungen. Mehrheiten lassen sich nur durch Bündnis auch mit denen erreichen, die in bestimmten Punkten anderer Meinung sind; falsche Feindbilder blockieren solche Bündnisse. Was eine NGO darf, geht bei einer Partei noch lange nicht. Wer das nicht beachtet, ist schnell isoliert und verliert jede Einwirkungsmöglichkeit. Säkulare sollten aus Fehlern der Vergangenheit lernen.

Neben der Kernerarbeit innerhalb der Parteien sind Säkulare auch auf deutlich mehr gesellschaftlichen Rückhalt angewiesen als bislang. War man beim Erlass der Weimarer Verfassung der Auffassung, mit der Gleichstellung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften das Problem unkontrollierter staatskirchlicher Überheblichkeit zu lösen, erweist sich diese Annahme heute als Irrtum. Wer die Kirche verlässt, tritt deshalb keiner Weltanschauungsgemeinschaft bei. Diese spielen daher gesellschaftspolitisch keine – den Kirchen auch nur im Ansatz vergleichbare – Rolle.

Das Bündnis BASTA gegen die historischen Staatsleistungen könnte hier eine gute Chance bieten, säkulares Denken verstärkt in die Parteien hineinzutragen und zu verankern. Die Bewährungsprobe steht freilich noch aus. Erfolg wird sich nur einstellen, wenn das Bündnis seine Basis verbreitern kann und sich nicht an selbst auferlegten Nebenfragen zerlegt.

Um die Durchschlagskraft säkularer Argumente ist es auch deshalb schlecht bestellt, weil es in Deutschland kein säkulares Gesicht gibt. Weder in der Politik, noch in der Kultur, der Wissenschaft oder im Sport haben sich weit und breit keine überzeugenden säkularen Sympathieträger hervorgetan. Das ist kein aktueller Befund, sondern schon seit Jahrzehnten ein Problem. Herren im gesetzten Alter – der Autor ist einer von ihnen – geben nach wie vor den Ton an.

Es muss ja kein junges Gretchen mit langen Zöpfen zum säkularen Aushängeschild werden, aber ein wenig mehr Publicity wäre schon willkommen.