In Heidelberg wurde lebhaft über Wirkung, Gegenwart und Zukunft der Religion diskutiert

Verdunstet Religion?

Brauchen wir – in Anlehnung an den "Brexit" – einen "Rexit", eine Trennung von Staat und Religion? Seit 100 Jahren, seit der ersten demokratischen Verfassung Deutschlands, ist dies Verfassungsauftrag, der zwar vor 70 Jahren ins Grundgesetz übernommen, aber trotzdem bis heute nicht vollständig ausgeführt wurde. So diskutierten Helmut Ortner, Hamed Abdel-Samad und Michael Schmidt-Salomon in Heidelberg darüber, welche gesellschaftlichen Verwerfungen Religion heute produziert und wie die Zukunft aussehen könnte.

Das Deutsch-Amerikanische Institut (DAI) Heidelberg lud zusammen mit der Regionalgruppe Rhein-Neckar der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) in seinen Räumen zu einer Podiumsdiskussion über "Weltanschauliche Neutralität zwischen Politik, Staat und Verfassung" ein. Ein trockenes Thema, das kaum Interesse weckt? Nicht, wenn sich drei Schwergewichte in diesem Themenbereich auf dem Podium versammeln: So diskutierte Michael Schmidt-Salomon, der streitbare Philosoph, der sich in zahlreichen Werken kritisch mit wichtigen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. Neben ihm nahm der nicht minder bekannte ägyptische Politikwissenschaftler und Historiker Hamed Abdel-Samad Platz. Er profilierte sich als einer der international wichtigsten Kritiker des politischen Islam. Wegen seiner sachlich fundierten, doch deutlichen Worte lebt er unter ständiger Todes-Fatwa islamischer Geistlicher und muss entsprechenden Personenschutz erleiden.

Das Trio komplettierte der Journalist und Publizist Helmut Ortner, der mehr als 40 Mal für seine Arbeiten als Medienentwickler ausgezeichnet wurde. In über 20 Büchern stellt er seine Gedanken zur Politik und wichtige Biographien vor. In seinem dieses Jahr erschienenen Buch "EXIT – Warum wir weniger Religion brauchen" trägt Ortner Essays vieler renommierter Wissenschaftler und Autoren zusammen, die die Notwendigkeit der strikten staatlichen Neutralität in weltanschaulichen Fragen – also einem vollzogenen "Rexit" – klar herausarbeiten. Die Moderation des Abends übernahm die charmante Nadine Pungs, die an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität Geschichte und Literaturwissenschaft studierte und sich im Bereich Schauspiel, Gesang und Comedy ausbilden ließ. Sie arbeitet darüber hinaus auch als freie Autorin.

Helmut Ortner und Nadine Pungs
Helmut Ortner und Nadine Pungs (Foto: Bernd Kammermeier)

Die Debatte beginnt

Angesichts dieses Podiums verwundert es nicht, wenn bei einem scheinbar trockenen Thema 300 neugierige Besucher den großen Saal des DAI bis auf den letzten Platz füllten. Ihre Neugier wurde nicht enttäuscht. In der Vorstellungsrunde stellte Schmidt-Salomon "eine hinkende Trennung von Staat und Kirche" fest. Aber nicht nur um das Christentum sollte sich die Diskussion drehen. Abdel-Samad musste lange überlegen, als ihn Nadine Prungs fragte, was ihm am Islam gefiele. "Wasserpfeife, Pfefferminztee, Gastfreundschaft", gab er zur Antwort. Es gebe in jeder Religion positive Aspekte, mit denen er keine Probleme habe, solange es privat bleibe. Ihm gefalle jedoch nicht, wenn die Trennung von Staat und Religion verhindert werden solle. Und da sei der Islam Weltmeister. Helmut Ortner sieht in Deutschland keinen Gottesstaat, sondern einen Rechtstaat, "und der schützt den Gläubigen, aber nirgendwo den Glauben."

Anschließend zählte die Moderatorin eine Reihe kirchlicher Privilegien in Deutschland auf und fragte Schmidt-Salomon, warum trotz abnehmender Kirchenzugehörigkeit der Bürger in Deutschland für deren Abschaffung keine Mehrheit im Bundestag zustande komme. "Wir müssen das Grundgesetz gar nicht verändern, wir müssen nur dafür sorgen, dass die Bestimmungen des Grundgesetzes durchgesetzt werden", erwiderte der Philosoph. "Wir könnten es an einigen Punkten ein bisschen erläutern, damit Politikerinnen und Politiker verstehen, was da eigentlich in dem Text steht." Das Grundgesetz sei bereits bei seiner Verfassung 1949 seiner Zeit weit voraus gewesen, so Schmidt-Salomon weiter. So weit, dass es noch heute den meisten Politikern voraus sei: "Wir müssen tatsächlich am Grundgesetz gar nichts ändern, wir müssen dafür sorgen, dass aus dem sehr guten Verfassungstext endlich Verfassungswirklichkeit wird."

Helmut Ortner versuchte eine Antwort auf die Frage, warum auch die Justiz so zögerlich sei, das Grundgesetz in puncto Kirchenprivilegien anzuwenden: "Staat und Kirche ist eine historische Komplizenschaft, die bis in die Gegenwart reicht. Da ist kein Lebensbereich ausgenommen." Besonders evident sei diese Schieflage bei solchen skandalösen Ereignissen wie dem Missbrauch. Dass da der Staat versagt habe, erklärt sich Ortner mit einer Art Paralleljustiz, die oft im Islam kritisiert würde. Den Grund, warum es diesbezüglich keinen "Aufschrei der Bevölkerung" gebe, verortete der Journalist bei den Medien, aber auch bei den politischen Parteien, die alle beim Thema "Kirchenskandale" erstaunlich ruhig blieben. Sein Fazit: "Eine Heuchelei, eine Bigotterie und eigentlich ein Skandal."

Abdel-Samad sieht wegen dieser kirchlichen Komplizenschaft ein Problem beim Umgang mit dem Islam, dem man deswegen kaum die gleichen Privilegien verwehren könne. Er zählte eine Reihe der Forderungen der Islamverbände auf – Kopftuch, Beschneidung et cetera – und forderte unter dem Beifall der Zuhörer: "Beide – Islam und Kirchen – sollten diese Privilegien an den Staat zurückgeben – und an die Zivilgesellschaft." Leider hätten die aus dem Ausland gesteuerten Islamverbände wegen der Rückendeckung von kirchlicher Seite die Kontrolle über den Islamunterricht an deutschen Schulen erhalten. So sei dessen Ziel, den Islam in die Moderne zu transformieren, in sein Gegenteil verkehrt worden. Die mittelalterlichen Verbände seien nun die Wächter über die Diskussion. "Bei jeder Debatte über Kopftuch und Beschneidung tun sich dann die Religionsgemeinschaften zusammen – gegen die Säkularisierung und eigentlich gegen die Kinder der eigenen Communities."

Hamed Abdel-Samad
Hamed Abdel-Samad (Foto: Bernd Kammermeier)

Schmidt-Salomon forderte einen allgemeinverbindlichen Unterricht für alle Kinder, egal aus welchem Haushalt sie stammten. "Das können wir mit unserem Grundgesetz wunderbar vereinbaren." Dort stehe zwar, dass Religionsunterricht ordentliches Schulfach sei, aber die meisten übersähen, dass dies laut Artikel sieben Absatz drei nicht für bekenntnisfreie Schulen gelte. "Es gibt nicht eine einzige bekenntnisfreie Schule in Deutschland", beklagte der Philosoph. Die Probleme im Zusammenhang mit Religionsunterricht seien also durch entsprechende Beschlüsse leicht zu lösen. "Natürlich ist die Indoktrination von Kindern ein Verbrechen, denn Kinder haben das Recht auf eine solide, vorurteilsfreie Bildung." Sie einseitig zu manipulieren, sei ein Verstoß gegen die Auflagen des Staates.

Nach einer Debatte über "Religion und Kommerz" referierte Schmidt-Salomon, dass aus seiner Sicht gerade in der Kommerzialisierung von Religion deren größtes Schwächungspotential zu finden sei. In dem Maße, in dem Religion zur Folklore verkomme, schwinde deren Einfluss auf die sich säkularisierende Gesellschaft. Dies erkläre, warum sich die Kirchen in einem Rückzugsgefecht befänden. Diese seien jedoch erfahrungsgemäß besonders gefährlich. Abdel-Samad ergänzte: "Da, wo die Kirchen am mächtigsten sind, sind die Kirchen am häufigsten leer." Dort, wo Kirchen sich als Refugium vor der Macht anböten, gebe es mehr Interesse an ihnen. In westlichen Ländern, in denen die Kirchen viel Macht besäßen, spielten sie indes für das Seelenheil kaum noch eine Rolle.

Helmut Ortner sieht zwar auch den schwindenden Einfluss der Kirchen in westlichen Ländern; der Austritt aus diesen Institutionen bedeute jedoch nicht, dem Religiösen zu entkommen: "Die Sehnsucht nach dem Religiösen, so diffus, wie es sich darstellt – man kann es Spiritualität nennen oder was auch immer –, die sehe ich noch manifest." Man sehe zwar die Skandale der Kirchen, doch es spukten noch immer Engel herum, als gäbe es eine religiöse DNA. "Dass das religiöse innere Konstrukt in dem Maße [wie die Kirchenaustritte, der Autor] zurückgeht, wage ich ein bisschen zu bezweifeln."

Die Moderatorin fragte Michael Schmidt-Salomon, ob er jemals an Gott geglaubt habe. Ja, er sei noch zur Kommunion gegangen. "Es war eine Mischung aus Erhabenheit und Ekel, den ich hatte bei dem Gedanken, dass ich da den Leichnam eines vor zweitausend Jahren gestorbenen Mannes auf der Zunge hatte." Er habe die Verwandlung der Hostie in Jesu Leib wirklich geglaubt. Nicht nur symbolisch, sondern wahrhaftig. Später habe er viel gelesen, sich mit Naturwissenschaften und Philosophie beschäftigt "und dann ist das verdunstet." Es sei kein dramatischer Prozess gewesen, sondern die Diskrepanzen zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und den Aussagen der Kirchen sei einfach zu groß geworden. Mit zunehmender Bildung einer Gesellschaft schwinde deren Akzeptanz von Antworten der Offenbarungsreligionen auf die großen Fragen des Menschseins. "Ich denke, in hundert Jahren wird die Mehrheit der Menschen darauf zurückblicken, mit der gleichen Verwunderung, vielleicht sogar mit der gleichen Abscheu, mit der die heutigen zurückblicken auf die Menschenopferkulte der Vergangenheit."

Abdel-Samad stellte klar, dass trotz all dieser Überlegungen niemand auf dem Podium und sicher nicht die Mehrheit im Publikum Religion abschaffen wolle: "Was wir abschaffen wollen, sind die Strukturen, die ein Individuum daran hindern, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, seine eigene Spiritualität selbst zu entdecken und zu entfalten und nicht in diesem Korsett geboren zu werden und zu sterben." Früher sei er für die Abschaffung von Religion eingetreten, doch inzwischen sei er der Meinung, dass jeder selbst seinen Zugang zu Religion finden solle – jedoch ohne jeden Zwang. "Wir sollten diese persönliche Ebene den Menschen überlassen, wie sie zum Glauben oder Unglauben stehen, aber auf der politischen, juristischen und gesellschaftlichen Ebene, da, wo wir uns im öffentlichen Raum treffen, da müssen wir streiten und da müssen wir die Religionen zurückdrängen, soweit wir können."

Michael Schmidt-Salomon
Michael Schmidt-Salomon (Foto: Bernd Kammermeier)

Islamkritik – ja oder nein?

Nach dieser fast einvernehmlichen ersten Hälfte der Podiumsdiskussion brachte Nadine Pungs etwas Pfeffer in die Runde. Sie wolle Kritik an der Islamkritik üben – am liebsten zusammen mit den Referenten. Entgegen der negativen Sicht der Mehrheit der Bevölkerung (70 Prozent) auf den Islam habe dieser sich, so Pungs, in den islamischen Gesellschaften durch die Jahrhunderte durch eine Ambiguitätstoleranz ausgezeichnet, also Mehrdeutigkeit und Pluralismus. "Die Toleranz hatte ja eher das christliche Abendland nicht und die islamische Kultur schon", meinte sie und fragte den Islamkritiker: "Bedeutet das, dass die 70 Prozent in Deutschland mehrheitlich ein völlig falsches Bild vom Islam haben?" Er erwiderte, dass für ihn gerade die Ambiguität [= Mehrdeutigkeit, der Autor] ein Problem darstelle. Würden Kinder im Geist eines eindeutig gewalttätigen Islam erzogen, könne man dies als negativ erkennen und dagegen vorgehen. Doch das passiere im Islam nicht. "Kinder in der Schule bekommen widersprüchliche Botschaften, die viel gefährlicher sind als eindeutig gewalttätige Botschaften", führte er aus. Es wechselten sich Nächstenliebe und Menschenhass ab. "Diese Ambiguität schafft den Fundamentalismus."

Niemand könne daher wissen, ob der Islam nun friedlich oder gewalttätig sei. "Das ist überhaupt kein Pluspunkt." Das sei "eine Dramafabrik", die seit Jahrhunderten in der islamischen Welt in Erziehung und Identitätsbildung Verwirrung stifte. Dann richtete er deutliche Worte an die Moderatorin: "Hören Sie auf mit dieser Legende, dass es in der Geschichte des Islams so viel Toleranz gab. Es gab dazwischen Stationen, wenige Jahre, die kriegsfrei waren. Ansonsten ist die gesamte islamische Kultur eine Geschichte des Kolonialismus." Es habe keine Kultur gegeben, die mehr Menschen versklavt hätte als der Islam. Nadine Pungs erwiderte, der islamische Fundamentalismus sei eine Gegenreaktion auf den westlichen Kolonialismus gewesen. Außerdem habe es in Spanien ein friedliches Nebeneinander der Religionen gegeben. Darauf Abdel-Samad: "Es gab Koexistenz für vielleicht hundertfünfzig Jahre, bis die Fundamentalisten von Nordafrika eingewandert sind. Und dann haben sie nicht nur Juden und Christen verfolgt." Auch fortschrittliche Denker wie Maimonides und deren Bücher seien ihnen zum Opfer gefallen.

Sie hätten den "wahren Islam" wieder nach Andalusien zurückgebracht. In Bagdad und Cordoba habe es folglich eher eine Form des Säkularismus gegeben; man habe Wein getrunken und Nackttänze erlaubt. "Es gab einen Mischkrug der Nationen und keine Berührungsängste mit anderen Kulturen. Diese kurze Phase hat viel Philosophie gebracht, hat viel Wissenschaft gebracht, die nichts mit irgendeiner Religion zu tun hat, sondern mit der Vielfalt und mit der Gelassenheit im Umgang miteinander. Das war ein kurzes Intermezzo in der islamischen Geschichte und danach ging die Eroberungsgeschichte weiter." Das, was in Andalusien geschah, war nach Einschätzung des Historikers eine Entfernung vom Islam, so weit es ging. "Wäre der Islam tatsächlich der Motor dieser Kulturen, dann wären diese Hochkulturen in Mekka und Medina entstanden, nicht in Bagdad und Cordoba."

Nadine Pungs
Nadine Pungs (Foto: Bernd Kammermeier)

Michael Schmidt-Salomon ergänzte, dass aus seiner Sicht der Dinge dieser Kulturraum damals so progressiv war, weil sich die Menschen nicht hauptsächlich darüber definiert hätten, dass sie Christen, Muslime oder Juden gewesen seien. Dem entgegen stehe indes eine der wahrscheinlich wesentlichen Funktionen von Religion, "dass sie Gruppen von Menschen vereint, indem sie sich von anderen Menschen abgrenzen." Daher gingen auch im Christentum Nächstenliebe und Fernstenhass immer Hand in Hand. "Die Lösung besteht doch darin, dass wir die Menschen erst einmal ermächtigen, dass sie nicht in der Gruppe aufgehen, dass das Individuum zählt." Der zweite Punkt, so Schmidt-Salomon, sei die Stärke der Idee der einen Menschheit. "Uns Menschen verbindet mehr miteinander als uns trennt." Dem zuwider gingen Nationalismus und Religion Hand in Hand, weil beide ihre Mitläufer durch das Versprechen aufwerteten, einer angeblich auserwählten Gruppe anzugehören. "Ich glaube, dagegen müssen wir etwas tun." Hamed Abdel-Samad pflichtete ihm bei: "Religion hat uns niemals im Laufe der Geschichte verbunden."

Nadine Pungs kehrte zum Ende hin zu ihrem eigentlichen Anliegen zurück und stellte fest, das Wort "Islamkritik" sei aus ihrer Sicht verbrannt. "Wer sich jetzt Islamkritiker nennt, wird in die rechte Ecke gestellt." Die wichtigere Frage sei jedoch, was die Islamkritik bisher in Deutschland bewirkt habe. Hat die Islamkritik nur den rechten Rand gestärkt? Abdel-Samad erwiderte, die Debatte um die Islamkritik zeige, wie sehr sich Deutschland Jahr für Jahr von der Aufklärung entferne. Er zeigte sich überzeugt: "Nur die Religionskritik hat Europa zum heutigen Europa gemacht." Die Moderatorin präzisierte ihren Vorwurf an die Islamkritik und konfrontierte Abdel-Samad mit der Tatsache, dass er beispielsweise ein Gespräch mit Thilo Sarrazin auf einer Bühne geführt habe. "Wo ist das Problem?", fragte der Islamkritiker zurück. "Gibt es hier eine Schriftstellerpolizei, die bestimmt, mit wem ich sitzen darf?" Das habe sie nicht so gemeint, entgegnete Nadine Pungs: "Die Frage ist nicht, ob du das darfst, sondern ob du das musst?" Der Islamkritiker: "Diese Diskurse werden immer moralisiert. Das findet auf journalistischer Ebene statt, das findet in der Schule statt und mittlerweile auch auf der Universität. Du bist der Gute, indem du fernbleibst von Thilo Sarrazin und von der AfD. Ich bin ein freier Schriftsteller, der diese Berührungsängste nicht hat."

Zeugen dieses Gesprächs hätten laut Abdel-Samad erkannt, dass Sarrazin dabei nicht gut ausgesehen habe. "Danach war er richtig sauer, weil er dachte, ich hätte ihm die Show gestohlen." Und dann sagte er unter heftigem Beifall des Publikums: "Mit wem sollte man reden in diesem Land und in dieser Demokratie, wenn nicht mit Menschen, mit denen man nicht einverstanden ist?" Der Islamkritiker beklagte, dass offenbar die Diskussionskultur in Deutschland zunehmend leide. Als Beispiel berichtete er von einem Vortrag in einer Schule, wo er über Probleme der Integrationspolitik gesprochen habe. Am Ende sei ein jugendlicher Schüler auf ihn zugegangen "und sagt zu mir – im Leistungskurs Politik: 'Dann sollen wir die Leute im Mittelmeer ertrinken lassen oder was?' Das ist das Niveau der Diskussion mittlerweile. Wenn dir ein Gedanke unangenehm ist, dann erpresse dein Gegenüber mit der Emotion. Mache ihm ein schlechtes Gewissen und das funktioniert bei den Deutschen wunderbar." Und er setzte nach: "Bei mir nicht."

Helmut Ortner
Helmut Ortner (Foto: Bernd Kammermeier)

Der Philosoph in der Runde drehte die Frage von Nadine Pungs um: "Was hat die Tabuisierung der Islamkritik gebracht? Das ist nämlich das eigentliche Problem. Nicht die Kritik hat doch die AfD stark gemacht, sondern die Tabuisierung der Kritik." Helmut Ortner ebnete zum Schluss die teilweise hochgehenden Wogen der sehr lebhaften Debatte und erdete sie gleichermaßen, brachte sie zum Ursprung. "Lasst uns endlich diesen permanenten Verfassungsbruch beenden. Dazu ist zivilgesellschaftliches Engagement notwendig in vielfältiger Weise. Wenn dieser Schritt gelänge, bis in die parlamentarischen Gremien, Parteien, in die Politik hinein, wäre das ein wichtiger, entscheidender Schritt. Den würde ich gerne noch erleben; ich werde jetzt siebzig. Religionen leben meiner Ansicht nach von Abgrenzungen. Das schafft die innere Identität und diese Abgrenzung führt zu Barbarei und Kriegen. Das zeichnet die Menschheitsgeschichte aus, deshalb bin ich ein völlig unreligiöser, gottlos glücklicher Mensch. Das funktioniert."