Luna, Luna!

Immer wieder machen Schlagzeilen die Runde von gehäuften Verkehrsunfällen bei Vollmond, von gesteigerten Selbstmordraten, von Verbrechen aller Art. Folkloristisch angehauchte Sachbuchautoren sprechen einzelnen Mondphasen Einfluss auf Erdbeben, den Ausbruch von Großbränden oder auf das Wetter zu; psychische Auffälligkeiten, von depressiver Verstimmung über Schlafwandeln hin zu unkontrollierbaren Aggressionsausbrüchen, sollen bei Vollmond ebenso verstärkt auftreten, wie sich auch das Sexualverhalten dramatisch verändere: die Rede ist gar von Lykanthropie, dem Umgehen von Werwölfen.

Auch das Geschlecht Neugeborener soll abhängig sein von Mondeinflüssen, ebenso wie der Intelligenzquotient oder der Menstruationszyklus. Chemische Reaktionen sollen bei Vollmond anders verlaufen als bei Neumond, Operationen entsprechend der Mondphase eher ge- oder misslingen. Der Kurs von Euro und Dollar soll vom Mondstand abhängig sein, auch das Verschwinden von Schiffen im Bermudadreieck. Bei Vollmond könnten Hellseher besonders gut in die Zukunft sehen, Kontakt zu Verstorbenen hingegen gelinge ausschließlich bei Neumond (nächstmalig am 26.11., oder wenn das verpasst wird: am 26.12. bzw. 24.1.). Vor allem die Anthroposophie Rudolf Steiners schwört auf lunare Einflüsse: zu bestimmten Mondphasen gepflanzt oder geerntet, seien Feldfrüchte besonders nahrhaft, Heilpflanzen besonders wirksam; Holz verfaule nicht, wenn es gemäß Mondkalender geschlagen werde.

"Hebammenweisheit"

Schon Aristoteles (384–322 v. u. Z.) spekulierte über Einflüsse des Mondes auf menschliche Geschicke. Bei Plutarch (46–125 u. Z.) ist erstmals davon die Rede, dass bei Vollmond mehr Kinder geboren würden. Heute gilt diese Vorstellung als "alte Hebammenweisheit", an die nahezu jeder Dritte glaubt: "Wenn der Mond schon den großen Ozean beeinflussen kann – Ebbe und Flut –, dann doch erst recht uns kleine Menschen."

Die Darmstädter Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) hat über 40.000 Geburtsdaten aus europäischen und Entwicklungsländern bis zurück ins 19. Jahrhundert analysiert. Der Glaube an Mondeinflüsse auf die Geburt entpuppte sich dabei als reiner Aberglaube. Drei Gründe gebe es für das unbeirrbare Festhalten daran: Erstens mangelt es oft an physikalischem Wissen über die tatsächlich vom Mond ausgehenden Kräfte. Falsche Vorstellungen über die Gezeiten führen zum Trugschluss, diese Kräfte hätten auch Einfluss auf das Wasser im menschlichen Körper. Nach physikalischer Gesetzmäßigkeit aber ist die Anziehungskraft umso geringer, je kleiner die Masse des anzuziehenden Objektes. In anderen Worten: im Atlantik treten bekanntlich sehr starke Gezeiten auf, im Mittelmehr hingegen nur relativ schwache und in einer Badewanne gar keine. Im menschlichen Körper kann sich das Wasser nur innerhalb von Zellen "frei" bewegen, einen Einfluss des Mondes darauf gibt es nicht. Zweitens berichten die Medien selektiv: "Es war Vollmond, aber es passierte nichts" gibt keine Schlagzeile. Drittens spielt die selektive Wahrnehmung eine Rolle, die Menschen, die häufig oder besonders intensiv mit dem Gegenstandsbereich lunarer Behauptungen in Kontakt kommen, auch eher von diesen überzeugt sein lässt: Polizisten glauben vermehrt an den Einfluss des Mondes auf die Häufigkeit von Unfällen oder Verbrechen; Gynäkologen, Hebammen und Mütter an den auf Schwangerschaft und Geburt. In einer Studie wurde den Ärzten einer französischen Frauenklinik eine Analyse der Geburtenverteilung in ihrem eigenen Haus vorgelegt, die ergab, dass keinerlei Zusammenhang mit den Mondphasen bestand. 85 Prozent der befragten Ärzte wollten dieses Ergebnis schlicht nicht wahrhaben, sie beharrten weiterhin auf ihren subjektiven "Erfahrungen". Hintergrund der Folklore, bei Vollmond gebe es gehäufte Geburtenzahlen, dürfte eine simple Analogie zwischen dem wachsenden Körperumfang der schwangeren Frau und dem zunehmenden Mond sein. Ist der Bauch am rundesten – entsprechend dem Vollmond – erfolgt die Geburt. Danach nehmen Bauch und Mond wieder ab.

Für Frauen mag die besondere Attraktivität lunatistischer Vorstellungen auch in deren mythischer Qualität begründet liegen: Mithin aufgrund der (ungefähren) zeitlichen Entsprechung seines Umlaufes um die Erde und des weiblichen Menstruationszyklus wird der Mond – in esoterisch und/oder feministisch angehauchten Zirkeln gerne als "Mondin" bezeichnet – seit alters als weibliche Gottheit (Mene, Selene, Luna u. a.) verehrt. In einschlägigen Kreisen werden Hexentänze und magische Mondrituale zelebriert, wortreich wird "matriarchales Urwissen" rund um die "Mondin" beschworen. Einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen Menstruation und Mondumlauf gibt es nicht.

Vom richtigen Zeitpunkt

Zahllose Mondratgeber und Mondkalender finden sich auf dem Markt, mit exakten Verhaltensmaßgaben für jede Phase des Mondes. Der große Erfolg dieser Ratgeber erklärt sich dadurch, dass der Glaube an die Wirkkräfte des Mondes sehr einfach strukturiert ist: es gibt nur eine zu- und eine abnehmende Phase, daran ausgerichtete Ratschläge sind folglich sehr unkompliziert: Aufbau- oder Rekonvaleszenzdiäten etwa seien unbedingt während der Phase des zunehmenden Mondes durchzuführen (bzw. unmittelbar nach Neumond zu beginnen), da der Körper nur in dieser Zeit aufnahmebereit sei, Abnehmen hingegen sei nur während der Phase des abnehmenden Mondes erfolgversprechend.

Selbst wenn astrologische Komponenten hinzukommen, bleibt die Orientierung am Stand des Mondes denkbar einfach gestrickt. Der Erdtrabant steht im Laufe seines exakt 29,53 Tage dauernden (siderischen) Umlaufes um die Erde für jeweils knapp zweieinhalb Tage in einem der zwölf Tierkreiszeichen, aus deren astrologischer Bedeutung nun bestimmte Prognosen und Handlungsanweisungen hergeleitet werden. Stehe der Mond etwa im Zeichen des Widders, sei man anfällig für Kopfschmerzen und Migräne; ratsam sei es daher, sich während dieser zweieinhalb Tage zu schonen und ein Heublumenbad zu nehmen. Bei Stiermond sei man hartnäckiger, bei Krebsmond überempfindlicher als sonst.

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In den besagten Ratgebern und Kalendern sind die von der jeweiligen Phase des Mondes und seinem Stand im Tierkreis abgeleiteten "richtigen Zeitpunkte" für bestimmte Handlungen oder Unterlassungen exakt festgelegt: von Blumengießen und Gemüseernten über Hautpflege, Fingernägellackieren und Zahnarztbesuche hin zu Komposthaufenanlegen und Schweinekastrieren. Vor allem bei Haarschneideterminen müsse unbedingt auf den Stand des Mondes geachtet werden: stehe der Mond im Zeichen des Löwen, bleibe die neue Frisur länger haltsam und gesunder Haarwuchs werde gefördert, während bei abnehmendem Mond, gar wenn er im Zeichen des Wassermannes stehe, geschnittene Haare brüchig und dünn würden.

Auch mit Blick auf die Ernährung gibt es entsprechende Maßgaben: stehe der Mond in den Zeichen Widder, Löwe oder Schütze, sei besonders eiweißhaltige Nahrung angezeigt (Fleisch, Milch, Eier), stehe er hingegen in den Zeichen Krebs, Skorpion oder Fische müssten gezielt Kohlenhydrate zugeführt werden (Vollkornreis, Hülsenfrüchte, Kartoffeln). Mond in den Zeichen Stier, Jungfrau oder Steinbock verlange nach Salzigem (Brot, Wurst, Käse), in den Zeichen Zwillinge, Waage oder Wassermann hingegen nach Fettigem (Pizza, Döner, Chips). Weshalb das alles? Weil’s der Mond eben so vorgibt.

Lunatistischer Unfug

Eine plausible Erklärung, weshalb ein abnehmender Mond einen grundlegend anderen Einfluss auf irdisches – und gar höchst individuelles – Geschehen haben soll als ein zunehmender, haben die Lunatisten nicht. An den vielfach angeführten Gravitationskräften kann es nicht liegen, da diese sich in den unterschiedlichen Mondphasen nicht ändern: die Masse des Mondes bleibt immer die gleiche, unabhängig davon, ob man ihn nun sieht oder nicht. Auch die veränderte Menge an Sonnenlicht, die der Mond je nach Phase auf die Erde reflektiert, spielt in Relation zur Gesamtmenge des täglich auf die Erde treffenden Sonnenlichtes keine Rolle. Und auf irgendwelche geheimnisvollen "Strahlen", die der Mond selbst aussende, gibt es bis heute keinerlei Hinweis.

Der Glaube an die Wirkmacht des Mondes (bzw. der Mondin) ist abergläubischer Unfug. Nichts davon trifft zu, am wenigsten die Termine, die ein Mondkalender für nachwuchsorientierten Beischlaf liefert: vom 5.12.2019, 20:45 Uhr bis 8.12., 8:31 Uhr gezeugt werde es ein Bub (zunehmender Mond im Widder), ab dann bis 10.12., 17:48 Uhr ein Mädchen (Mond im Stier), dann bis 13.12., 0:23 Uhr wieder ein Bub (Mond in den Zwillingen) und so fort. "Lunatic" sagt der Engländer, wenn er verrückt meint.

Im Übrigen wird noch nicht einmal das vielzitierte Schlafwandeln durch den Erdtrabanten ausgelöst, sondern durch jede beliebige Lichtquelle: eine Straßenlaterne genügt vollkommen.

Hier der großartige Song "Bad Moon Rising" von Creedence Clearwater Revival, der 1969 den seinerzeit (und bis heute) nicht nur unter New-Age-Esoterikern grassierenden Aberglauben an die Wirkkräfte des Mondes auf die Schippe nahm. 1981 gab der Song den Soundtrack ab für die ebenso großartige Horrorsatire "American Werewolf" von John Landis.