Humanisten für das Klima!

Die humanistische Klimabewegung braucht Symbole

Der Begriff "Säkularreligion" tauchte jüngst an populärer Stelle im religionskritischen Diskurs auf. Das Wort diffamiert die Bewegung Fridays For Future, die in Greta Thunberg eine Figur mit Symbolcharakter gefunden hat. Angesichts von Thunbergs allgegenwärtiger Medienpräsenz holen prominente Humanisten zu hilflosen Attacken aus. Dabei tritt das Unvermögen der säkularen Szene offen zutage: Der humanistischen Klimabewegung mangelt es an eigenen Symbolen.

Machen wir uns nichts vor: Religionen wird es immer geben. Etwas anderes anzunehmen, ist utopisch. Selbst wenn von jetzt auf gleich alle Religionen verschwänden, würde es nicht lange dauern, bis irgendjemand käme, der eine solche aus Geltungsdrang in neuer Einzigartigkeit erfände. Wie stark dieses Bedürfnis ist, zeigt sich daran, dass jetzt schon von Humanisten "Sekularreligionen" ausgerufen werden, die man dann anderen Gruppen als Stigma anhängt. Das liegt tatsächlich an einem evolutionsbedingten Vorteil, den wir Menschen gegenüber den Tieren besitzen. Als einziges Lebewesen sind wir in der Lage, den Dingen Bedeutungen beizumessen, die über das hinausgehen, was sie ihrer Natur nach sind. So können wir über uns hinauswachsen, uns selbst überschreiten. Für die menschliche Sinnstiftung ist die Sinngebung durch das Abstrakte, Irrationale und Absurde unerlässlich, was durch die Kunst und die Religionen zur Genüge bewiesen wird.

In diesem Sinne wird auch Darwins Evolutionstheorie zu einer transzendentalen Größe, sobald man eine Weltanschauung in ihrem Namen pflegt. Dabei ist die einzige Tatsache, die die Evolutionstheorie wirklich festschreibt, die, dass ein natürlicher Selektionsprozess für die Entstehung der Arten verantwortlich ist. Eindeutige Antworten auf soziale, ökonomische oder ethische Fragen ergeben sich daraus nicht. In dem Moment, indem man dem nachgeht, erhält Darwins Evolutionstheorie ihre transzendentale Dimension. Sie wird zum Symbol für einen Humanismus, der sich als evolutionär begreift.

Während säkulare Weltanschauungen ihre Metaphorik jedoch überschaubar halten, ist in den Religionen wirklich alles mit Symbolgehalt aufgeladen – Bilder, Zeichen, Zeremonien. Das macht die Religionen weniger rational, dafür aber schön und wahnsinnig zugleich. Auch in der Kunst ist das der Fall. In dieser Sinnstiftung durch Kunst bleibt der Mensch jedoch frei, während der Religiöse im Umgang mit seinen Symbolen eine autoritative Einflussnahme erfährt, sei es durch eine Kirche oder durch seine verdrängten Neigungen, die sich ihm in seinen Zeichen als göttlich offenbaren. Aus säkularer Perspektive trennt sich hier die Spreu vom Weizen; denn wirklich alle Symbole sind in ihrem Bedeutungsgehalt transzendental. Das gilt auch für die Zeichen der Mathematik, der Chemie und der Physik. Im Gegensatz zu Religion und Kunst sind die formelhaften Symbole in den Naturwissenschaften jedoch mit einem Gehalt aufgeladen, der eben kein subjektives Empfinden ausdrückt, sondern objektive bzw. empirische Wahrheit.

Auch Greta Thunberg ist mittlerweile für viele Menschen ein Symbol. Das, wofür sie als Symbol steht, entscheidet sich allein an der Frage, mit welcher transzendentalen Qualität dieses Symbol aufgeladen ist. Führt es uns auf ein subjektives Wahrheitsempfinden oder auf eine objektive Faktizität als Quelle zurück?

Die Antwort ist Letzteres; denn das Symbol Greta Thunberg steht eben nicht für einen willkürlichen Offenbarungsgehalt, der sich allein aus dem subjektiven Empfinden speist. Greta Thunbergs Autorität, die zwar bedingt ist durch die Authentizität des Überzeugtseins von sich und der eigenen Wahrheit, entspringt anders als bei prophetischer "Gewissheit" eben weniger aus individuellen Befindlichkeiten, sondern aus der objektiven Faktizität des Klimawandels, die hinter Greta Thunberg steht.

Die Verklärung, die die Bezeichnung Säkularreligion zur Charakterisierung der Bewegung Fridays for Future leistet, resultiert aus einer undifferenzierten Sichtweise auf Symbole und deren Gehalt, was für humanistische Kreise leider viel zu oft typisch ist; denn die menschliche Fähigkeit, zu transzendieren, wird oftmals gleichbedeutend mit der Religion abgelehnt. Dabei ist sie für uns Menschen noch grundlegender als unsere Begabung zur rationalen Abstraktion. Die Sprache, die alle unsere wissenschaftlichen und normativen Erkenntnisse transportiert, existiert nur, weil wir den Symbolen (Buchstaben und Worten) eine transzendentale Bedeutung angedichtet haben, die sich aus der formalen Schrift- und Lautdarstellung nicht ableiten lässt. Ohne die Fähigkeit, zu transzendieren, ließe sich keine Sprache erschaffen. Jedes gesprochene Wort bliebe Lautmalerei und jeder geschriebene Satz eine sinnleere Aneinanderreihung von Strichen und Punkten. Zwar lassen sich Bedeutungen von Wörtern auch etymologisch, also im Hinblick auf ihre Begriffsgeschichte vernünftig erklären; beweisen tut das letztlich aber nur die Vitalität, mit der wir solche Symbole fortwährend sinnstiftend beseelen.

Im evolutionären Humanismus wird der Mensch nun vorrangig als ein vernunftbegabter Affe begriffen. Ihm wird nicht das Transzendieren, sondern seine Begabung, rational zu abstrahieren, als die entscheidende Fähigkeit zugeordnet. Gemeint ist beispielsweise das Schließen vom Besonderen aufs Allgemeine und umkehrt – also die menschliche Fähigkeit zu induktivem und deduktivem sprachlichem Denken. Diese Befähigung ist dem Menschen einerseits Mittel, um die Welt wissenschaftlich zu beschreiben, als auch Mittel, um normative Aussagen mit Argumenten zu unterfüttern. Aus einem solchen Zusammenspiel von Wissenschaft und Philosophie speist sich die evolutionär humanistische Weltanschauung. Die Kunst erfährt hier allenfalls eine untergeordnete Rolle. Die Religion wird selbstverständlich ganz abgelehnt. Das ist für alle säkularen Weltanschauungsmodelle bezeichnend, wodurch die Erfahrung, sich als Mensch vollumfänglich zu begreifen, schlechterdings nicht kultiviert, sondern einschränkt wird.

Sinnstiftung geschieht jedoch gerade über das Absurde und Irrationale. Das sind die wahrhaft kulturstiftenden Elemente, die uns eine aktive und selbstbestimmte Sinngebung erlauben. Das gelingt auch säkular eingestellten Menschen. Die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) hat beispielsweise Bildnisse wie den "Geldhamster" erschaffen. Die Figur erhält ihren Sinn erst dadurch, dass sie symbolisch gegen die Kumpanei von Staat und Kirche in Stellung gebracht wird. Dasselbe gilt für den "Nackten Luther", der als Symbol gegen die Doppelmoral der evangelischen Kirche regelmäßig Position bezieht. Der transzendentale Gehalt, mit dem diese Symbole aufgeladen sind, ist offenkundig alles andere als willkürlich, autoritativ oder mystisch. Die Sinnstiftung, die man diesen Symbolen zurechnet, verweist auf Gründe, die rational sind. Dasselbe gilt für Greta Thunberg.

Argumentativ ist dem Kampf gegen die Erderwärmung nichts hinzuzufügen. Hier geht es nicht um ein säkulares, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Die humanistische Klimabewegung bedarf eigener Symbole, will sie sich konstruktiv in diese Bewegung einbringen und dabei auf die Darstellung ihrer eigenen Identität nicht verzichten.

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