Kommentar zur Fridays-for-Future-Diskussion

Seid ihr Freak oder was?

Die aktuelle Klimadebatte innerhalb der säkularen Community ist zwar wichtig – wichtiger wäre es jedoch, dass sich alle Beteiligten endlich wieder auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen. Ein Kommentar von Marwin Nemitz.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich Teil der säkularen Szene geworden bin. Ich bin Zuhause ausgezogen, um in Kiel mein Abitur zu machen. 11. Klasse. Irgendwann zwischen 2015 und 2016 bin ich wie üblich – statt Hausaufgaben zu machen oder zu lernen – im Internet gewesen und dort zufällig auf das Video von Philipp Möller bei Disput Berlin gestoßen. Weitere YouTube- und Internetrecherche machte mich auch bekannt mit einem Mann, der mich auf eine ganz andere Art und Weise faszinierte als Philipp. Nämlich Michael Schmidt-Salomon. Auch er hat mich von Anfang an begeistert. Diese Begeisterung trieb mich dann in die Arme der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs). Meiner Oma, die aus unerfindlichen Gründen die gbs für eine Sekte hält, sage ich gern scherzhaft, Michael und Philipp hätten mich radikalisiert. Ich denke, vielen geht es wie mir, dass man zwar weiß, die gbs funktioniert auch ohne die beiden – aber so recht vorstellen will man es sich nicht. Denn das sind schon Persönlichkeiten, die hervorstechen. Womöglich säkulare Propheten?

Nun, rund 4 Jahre später, habe ich zwar noch nicht das Wissen und die Trittfestigkeit in den Thematiken, die ich gerne hätte, aber ich weiß mittlerweile, was ich so alles will. Ich will zum Beispiel, dass das Recht auf einen würdevollen Tod nicht von Kirchenmännern und ihren Politlakaien verhindert wird. Ich will, dass Steuergelder ausschließlich für die Allgemeinheit und nicht für Religionsgemeinschaften eingesetzt werden. Ich will, dass Kinder den Schutz bekommen, den sie verdienen – was auch bedeutet, dass man sie davor schützen muss, dass ihre Genitalien zerschnitten werden. Und ich will einen Planeten und eine Umwelt, in der mein kleines Geschwisterchen, was in sieben Monaten das Licht der Welt erblickt, noch gut leben kann und mir guten Gewissens Neffen und Nichten schenken kann.

Gegen all das zieht ein Bündnis religiöser Fundamentalisten, Rechtspopulisten und Rassisten ins Feld. Und was macht die säkulare Szene? Sie schlägt sich wegen Fridays for Future (FFF) die Köpfe ein. Nicht etwa, weil die FFF-Bewegung wie Konversionstherapeuten, Homöopathen und Prediger Dinge behauptet, die nachweislich jeder Wissenschaftlichkeit entbehren. Nein, wegen der Mär einer neuen Säkularreligion, der angeblichen Instrumentalisierung der armen, armen Kinder, wegen fehlender Lösungskonzepte, wegen Formfehlern und der subjektiven Wahrnehmung einiger weniger weißer Männer. Seid ihr Freak oder was?

Ich kann natürlich nicht für die gesamte Szene sprechen, aber innerhalb der gbs sollte eigentlich allen der Leitsatz "Pluralität ist eine Stärke" ein Begriff sein. Ich, und das sage ich deutlich, bin auf der Seite von Fridays for Future. Wenn jemand nicht auf deren Seite ist, weil er meint, es gebe bessere Wege, sich für den Klimaschutz einzusetzen, akzeptiere ich das. Ich bezweifle zwar stark, dass diese Wege bei der Partei für die oberen zehn Prozent zu finden sind, aber das ist auch nur meine subjektive Ansicht der Reiche-Leute- und Wannabe-Partei FDP. Ich bin weder Klimaforscher noch wirklich bewandert in dem Thema. Aber ich bezweifle, dass es sich beim Klimawandel um eine weltweite Verschwörung der Wissenschaft handelt.

Klimaschutz und Aktivismus sind kein säkularreligiöses Phänomen, sondern richtig und wichtig. Es sind immer Menschen emotional gewesen, wenn sie auf die Straße gegangen sind, und das ist auch gut so. Atomausstieg, FCKW-Verbot, Waldsterben, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Rechte für Homosexuelle. Oft waren es emotionale Menschen in Verbindung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zusammen etwas erreicht haben. Nie war es Religion, die den Fortschritt brachte.

Wenn man will, kann man natürlich überall religiöse Züge erkennen. Bei LGBTQ-Aktivisten, Feministen, den Autofahrern, die sich von Klimaschutz bedroht fühlen, und bei der Giordano-Bruno-Stiftung. Aber wieso sollte man notwendigen Aktivismus als religiöses Gehabe abtun? Natürlich stehe ich klar zur Aussage Voltaires "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst", möchte also kein Sprechverbot für FFF-Kritik. Aber ich käme niemals auf die Idee, eine Bewegung in ihrer Gesamtheit als religiös abzutun oder ihr religiöse Züge anzudichten, nur weil Einzelne darin auf eine Art und Weise argumentieren, die mir missfällt oder die aus meiner Sicht falsch, unvollständig oder unglaubwürdig ist. Zudem, finde ich, muss Kritik auch immer der Sache gerecht werden. Und sofern man die dringende Notwendigkeit von Klimaschutz anerkennt, sollte man sich überlegen, ob es hilfreich ist, von außen mit dem erhobenem Zeigefinger zu kommen oder ob man sich nicht lieber von innen an minimalen Kurskorrekturen, die sicherlich nötig sind, zu beteiligen.

Es stimmt mich nachdenklich bis enttäuscht, wenn Menschen, die prägend für mein heutiges Weltbild sind, über zuletzt 600.000 Menschen allein in Deutschland sprechen als wären es Spinner, Weltuntergangsverkünder, Schwarzmaler und Übertreiber. Die Aussage, Fridays for Future sei religiös, ist mindestens ebenso an den Haaren herbeigezogen wie die Aussage, die Giordano-Bruno-Stiftung sei religiös. Wir alle sollten uns vielleicht mal wieder ein paar Dinge ins Gedächtnis rufen. Meinungspluralität würde uns insbesondere bei der Klimadebatte gut tun. Wir werden hier nicht auf einen Nenner kommen und sollten uns vielleicht einfach darauf einigen, dass wir uns uneinig sind. Es gibt genug Religionen und Sekten auf der Welt, die eine ernsthafte Bedrohung für Kindeswohl, Gesellschaft und Frieden sind, da müssen wir uns nicht noch Religionen basteln, nur um sie dann als Religion kritisieren zu können – oder um uns mit Verbündeten und Freunden streiten zu müssen, ob es eine (Säkular-)Religion ist.

Dass das Wissen von 13-Jährigen nicht der Weisheit letzter Schluss ist, ist jedem klar. Dass es in der Wissenschaft einige Uneinigkeiten über die Einordnung einzelner Daten gibt, ist auch jedem klar. Aber hilft es uns, hilft es den Kids, hilft es dem Klima, wenn man durch Diskussionen über einzelne Details den Fokus verliert? Denn das Problem Klimawandel will denke ich keiner wirklich abstreiten.

"Schuster, bleib bei deinen Leisten", heißt es doch immer und gerade in der säkularen Szene. Und im Humanismus haben wir genügend, teils Jahrzehnte alte, dringliche Themen und Baustellen, derer Bearbeitung es bedarf – da muss man nicht noch ein weiteres Fass aufmachen. Das einzige, was wir hier tun, ist Ressourcen und Zeit mit einer meines Erachtens überflüssigen Debatte zu verschwenden. Ich für meinen Teil habe mich nicht vor vier Jahren entschieden, Teil der säkularen Szene zu werden, um heute Zuschauer eines Grabenkampfs von Freaks im eigenen Lager zu sein. Das ist mir, ganz offen gesagt, wirklich zu albern, weil ich finde, wir haben andere Sorgen, als uns in der Schlange derer anzustellen, die ums Verrecken Fridays for Future ans Bein pinkeln wollen.

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