Mit einer Kritik an den "Neuen Atheisten"

Eine atheistische Deutung zur Funktion der Religion

Der atheistische Philosoph Tim Crane erörtert in seinem Buch "Die Bedeutung des Glaubens. Religion aus der Sicht eines Atheisten" insbesondere die Funktionen von Glaubensformen. Die Erörterungen lesen sich locker, wie aus einem Vortrag stammend; sie enthalten darüber hinaus auch eine beachtenswerte atheistische Kritik an der doch mitunter sehr vereinfachten Religionskritik der "Neuen Atheisten".

Atheisten können gute Gründe für ihre Kritik an der Religion anführen. Doch genügt der Hinweis darauf, dass es sich um eine antagonistische Auffassung oder falsche Ideologie, eine primitive Kosmologie oder einen schlichten Moralkodex handele, um die Sache damit für erledigt zu halten? Dieser Auffassung scheinen nicht wenige der "Neuen Atheisten" zu sein, also etwa Richard Dawkins oder Daniel C. Dennett, Sam Harris oder Christopher Hitchens. Bleibt ein derartiger Eindruck nicht ebenfalls einer vereinfachenden Sichtweise verhaftet?

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Ja, meint erklärtermaßen der britische Philosoph Tim Crane, der als einer der führenden Repräsentanten der Philosophie des Geistes gilt und heute an der Central European University in Budapest lehrt. Sein Buch zum Thema trägt den Titel: "Die Bedeutung des Glaubens. Religion aus der Sicht eines Atheisten." Es handelt sich demnach nicht um eine der üblichen "Kampfschriften", welche die "Neuen Atheisten" aus religiöser Perspektive verdammen wollen. Der Autor argumentiert als Atheist gegen einen allzu platten Atheismus.

In seinem Buch geht es ihm um zwei unterschiedliche Fragen: Welche Bedeutung hat der religiöse Glaube für viele Menschen? Und: Wie sollten Atheisten sich gegenüber Gläubigen verhalten? Der erstgenannte Aspekt macht bereits deutlich, dass Crane sich weniger für die Inhalte von Religion interessiert. Er stellt darauf ab, dass ihnen eine soziale Funktion für unterschiedliche Menschengruppen zukommt. Damit gehen kritische Einwände gegen die "Neuen Atheisten" einher, sei doch deren Perspektive häufig durch eine permanente Widerlegungsfixierung überlagert. Demgemäß erweitert der Autor den Blick eben auf die Funktionen für den Menschen, heißt es doch hinsichtlich der Deutung von Religion: "Die Verzerrung kommt dadurch zustande, dass sie zum einen das Element der Praxis und der Gemeinschaft (…) ignorieren und zum anderen die metaphysische Seite des religiösen Glaubens auf eine Weise verstehen, die beides zugleich ist: zu raffiniert und zu simpel" (S. 23). Die dann folgenden fünf Kapitel haben unterschiedliche Schwerpunkte:

Zunächst entwickelt der Autor seine atheistische Deutung von Religion, wobei auf folgende Gesichtspunkte abgestellt wird: "Religion ist erstens etwas Systematisches; zweitens ist sie etwas Praktisches; sie ist drittens der Versuch einer Sinnfindung; und sie rekurriert viertens auf das Transzendente" (S. 17). Der einfache Hinweis auf die Irrationalität erkläre nicht, warum das religiöse Denken verbreiteter als das wissenschaftliche Denken sei. Nicht die Abarbeitung an Hypothesen durch eine Prüfung, sondern das Bekenntnis zur Sinnhaftigkeit der Welt sei hier zentral. Ausführlich geht Crane dann auf die Identifikation als Moment in der Religion ein, was einerseits einem Bedürfnis der Menschen entspreche und andererseits deren Reiz für diese erkläre. Besondere Aufmerksamkeit erfährt danach die differenzierte Erörterung der Frage, wie Gewalt und Religion zusammenhängen. Und schließlich werden Atheisten gegenüber den Religiösen zur Toleranz aufgefordert: "Das Minimalziel ist friedliche Koexistenz, das Maximalziel eine Art Dialog …" (S. 176).

Crane argumentiert in einer lockeren Form, ohne platt zu sein, und mit differenzierter Kritik, ohne unfair zu sein. Dabei richten sich seine hauptsächlichen Einwände gegen die doch mitunter zu vereinfachenden Positionen, welche von den meisten Autoren der "Neuen Atheisten" vertreten werden. Denn so neu sind deren Argumente keineswegs, verharren sie doch in der Denktradition aufgeklärter Religionskritik. Indessen ist heute die ständige Abarbeitung an Fehldeutungen und Widersprüchen nur noch eingeschränkt sinnvoll, bedarf es doch einer erweiterten Perspektive hin zu einer genaueren Ursachenanalyse. Dabei ist Crane durchaus Realist, geht er doch von einer Fortexistenz von Religion und Säkularismus aus. Dafür müsse man Grundlagen schaffen, um unnötige Konflikte zu vermeiden. Denn, so könnte man ergänzen, es gibt noch andere und brennendere Konfliktfelder. Besondere Beachtung sollten auch seine Deutungen zu Gewalt und Religion finden, wird hier wie auch sonst deutlich, dass Differenzierung nichts mit Unschlüssigkeit zu tun hat.

Tim Crane, Die Bedeutung des Glaubens. Religion aus der Sicht eines Atheisten. Berlin 2019 (Suhrkamp-Verlag), 188 S., 22 Euro

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