Mit Drogen, Mobiltelefonen, Markenkleidung oder gar Gewalt sollen Minderjährige, die sich auf Mallorca in staatlicher Obhut befinden, zur Prostitution gebracht worden sein. 16 Fälle untersuchen die Behörden. Nach Angaben von Heim-Angestellten sollen weit mehr Jugendliche betroffen sein und Behörden bei Anzeigen kaum gehandelt haben.
Viele Jugendliche kennen die Balearen-Insel Mallorca als begehrtes Abschlussfahrtenziel, das reichlich Party und günstigen Alkohol bietet. Seit Mittwoch ist klar, dass die einen Jugendlichen feiern, während andere, unter staatliche Obhut gestellte Jugendliche, als Freiwild für Prostitution und Drogenhandel gejagt werden.
Das Instituto Mallorquín de Asuntos Sociales (IMAS) (Das Mallorquinische Institut für soziale Angelegenheiten) betreibt 30 Zentren in denen Kinder und Jugendliche, als Waisen oder aus schlimmen Familienverhältnissen stammend, betreut in Zimmern oder Wohnungen leben. 359 Minderjährige werden insgesamt versorgt. Davon sind 278 bereits Jugendliche.
16 von ihnen, darunter 15 Mädchen und ein Junge zwischen 13 und 17 Jahren, sollen nach Angaben der Polizeibehörden Policia Nacional und Guardia Civil Opfer von Prostitution und Drogenhandel geworden sein.
Bei den Fällen soll es sich nach Angaben der Polizeibehörden nicht um einen organisierten Ring handeln, sondern um diverse Gruppen, die es bewusst auf verletzliche Jugendliche abgesehen haben, die teilweise bereits Erfahrungen mit Gewalt und sexuellen Übergriffen gemacht haben. Mit der kostenlosen Abgabe von Drogen, Mobiltelefonen, Markenkleidung oder der Gabe von Bargeld wurden Jugendliche aus diversen IMAS-Zentren zur Prostitution verführt. Gelockt wurden die Opfer teilweise von Erwachsenen, aber auch von gleichaltrigen Jungen und sogar Mädchen, die sich als Freundinnen ausgeben. Fälle, in denen Gewalt angewendet wurde, um Mädchen und Jungen zu zwingen, werden nicht ausgeschlossen.
Nach Angaben von Mitarbeiter*innen sollen die 16 aktuell von Behörden untersuchten Fälle nur die Spitze des Eisberges sein und so gut wie alle Jugendlichen betroffen sein. Entfernten sich die Minderjährigten unauthorisiert und kämen irgendwann mit neuen Schuhen oder einem 20-Euro-Schein wieder, sei klar, dass sie sich prostituiert hätten.
Während der Präsident des IMAS, Javier de Juan, die Verantwortung der Zentren relativiert, indem er erklärt, dass Jugendliche unbewachten Ausgang hätten, sexueller Missbrauch auch Jugendliche betreffe, die sich nicht in staatlicher Obhut befänden und eine Zunahme der Fälle nicht zu erkennen sei, lassen die Aussagen der Angestellten der Zentren Fragen zur Verantwortung offen. So ist fraglich, ob die Sicherheitsprotokolle funktionieren, die sicherstellen sollen, dass spätestens zwei Stunden nach dem unauthorisierten Ausgang von Minderjährigen eine Meldung erfolgen muss und auch jeder Verdacht sexuellen Missbrauchs gemeldet werden muss, oder ob Behörden wegsahen.
Dem reibungslosen Funktionieren des Protokolls widerspricht der Fall eines 13-jährigen Mädchens, welches durch die vermeintlich beste 16-jährige Freundin überredet wurde, ihr Heim nachts ohne Erlaubnis zu verlassen, um die Nacht des 24. auf den 25. Dezember in einer Wohnung außerhalb zu verbringen. Dort wurde sie nach ihren Angaben von einer Gruppe Jugendlicher vergewaltigt. In der Wohnung befanden sich bei ihrer Ankunft bereits sechs minderjährige Jungen, die die 13-jährige bedrängten. Anstatt ihr zu helfen, hielt die 16-jährige sie in der Wohnung gefangen und unternahm nichts gegen die mehrfachen Vergewaltigungen durch die Jungen. Die betroffene 13-jährige konnte am 25. fliehen und Hilfe rufen.
Die Jungen sowie ihre Komplizin sind aktuell auf freiem Fuß, müssen sich jedoch regelmäßig bei der Polizei melden. Aktuell werden von den Jugendlichen gedrehte Handyvideos ausgewertet, um aufzuzeigen, dass die Handlungen nicht einvernehmlich waren.
In ihren Aussagen berichtete die 13-jährige jedoch auch, dass es bei ihr auch vor der Gruppenvergewaltigung schon Versuche gab, sie zu sexuellen Handlungen zu bewegen. So hätten Männer in einer Bar versucht, sie zur Prostitution zu überreden. Auch erklärte sie, dass andere Mädchen aus den Zentren sich prostituierten.
Während Angestellte erklären, seit drei Jahren immer wieder Anzeigen zu stellen, nach denen sich wenig bewege, berichtet die Guardia Civil von zehn Einsätzen gegen die Prostitution Minderjähriger seit 2014. Die Policia Nacional kommt im selben Zeitraum auf 14 Einsätze. Eingeräumt wird jedoch, dass es sich es sich bei den Fällen nicht immer um Minderjährige in staatlicher Obhut handelte.
Um Kinder und Jugendliche in Zukunft besser schützen zu können, wurde nun eine Kommission aus Angestellten des IMAS, der Rathäuser und weiterer Behörden gebildet, die Pläne zum Schutz der betreuten Kinder und Jugendlichen erarbeiten, aber auch vergangene Fälle aufarbeiten soll.
7 Kommentare
Kommentare
Christian M. am Permanenter Link
Oberste staatliche Aufgabe sollte es sein, dafür zu sorgen, dass junge Menschen sich nicht als Ware begreifen müssen, die sie gegen einen 20-Euro-Schein eintauschen können, sondern als über ihre Würde selbst bestimmen
Auf der Partyinsel - und wohl nicht nur da - scheint ein Gespür für die Grenzen der Konsumgesellschaft in Teilen nicht mehr vorhanden zu sein - weder bei den Einheimischen noch bei den Touristen.
Anonmy am Permanenter Link
"Oberste staatliche Aufgabe sollte es sein, dafür zu sorgen, dass junge Menschen sich nicht als Ware begreifen müssen, die sie gegen einen 20-Euro-Schein eintauschen können, sondern als über ihre Würde selbst bes
Lieber Christian, schon erstaunlich, dass du den Selbstwiderspruch darin nicht erkennst. Sonst hättest du nämlich vielleicht bemerkt, dass ein über seine Würde selbst bestimmtes Individuum auch das Recht zur selbstbestimmten Sexualität und damit auch der - wohlgemerkt freiwilligen - Prostitution hat. Man kann nicht beides haben, Selbstbestimmung predigen und damit staatliche (anti)sexuelle Fremdbestimmung rechtfertigen.
Auch: Das Symbolbild ist extrem manipulativ; im Artikel ist von Jugendlichen die Rede, doch das Bild suggeriert die Assoziation von Kleinkindern.
Christian M. am Permanenter Link
Selbstbestimmung setzt psychische Autonomie voraus, die13 bis 17jährige (um diese Menschen geht es im Artikel) noch nicht haben, sondern die sie mit Hilfe von erwachsenen Menschen (im Idealfall: die Eltern) erst noch
Hier wird die Zwangslage junger Menschen zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse anderer (nicht: der eigenen!) ausgenutzt. Das hat überhaupt nichts mit Würde und Selbstbestimmung zu tun.
Ein liebevolles Umfeld, ein Schulabschluss sowie sich daran anschließende Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten wären hingegen für Würde und Selbstbestimmung schon Mal ein guter Anfang.
Es mag Menschen geben, die all dies in ihrer Jugend erlebt haben und dann später immer noch sexuelle Dienstleistungen anbieten wollen. Ich vermute nur, dass dies nur ein kleiner Teil der in dieser Branche beschäftigten Personen ist.
Anonmy am Permanenter Link
Es geht auch nicht um Vollzeitprostitution, oder dass man nie mehr was anderes machen kann. Es geht darum, dass der Staat den Menschen die sexuelle Selbstbestimmung nicht verbietet.
Dass Sie 13 bis 17jährigen jegliche psychische Autonomie absprechen, ist ebenfalls absurd. Warum freiwillige sexuelle Handlungen gegen materielle Werte überhaupt verwerflich oder gar strafbar sein sollen, ist völlig unklar. Inkompatibel mit einem liebevollen Umfeld oder einem Schulabschluss sowie sich daran anschließende Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, ist es auch nicht. Im übrigen kann der Staat gar kein liebevolles Umfeld verordnen, da er keine Liebe per Gesetz erzwingen kann. Die Bestrafung von freiwilligen sexuellen Handlungen jedenfalls führt nicht zu diesem Ziel - wie auch?
Wenn Leute wie Sie und Hella Camargo keine Stigmatisierung betreiben würden und die Gesellschaft auf Sexualität gegen materielle Boni keine herablassende Statusangriffe austeilen würde, dann wäre das überhaupt kein Problem. Junge Leute könnten damit nebenher ihr Einkommen ausbessern oder eben auch nicht, ganz wie es ihnen gefällt. Und später machen, was sie wollen, sexuell und beruflich, so wie freie Menschen eben.
Christian M. am Permanenter Link
1.
2. Das Wirken von Zwängen - und somit die Abwesenheit von Wahlalternativen - bei dem Entschluss, sexuelle Dienstleistungen anzubieten, betrifft einen Großteil der Prostituierten - nicht zuletzt das Gros der vielen, die aus wirtschaftlich schwächeren Staaten kommen.
Das ist die Realität.
Darüber hinaus habe ich weder Lust, zu Aussagen Stellung zu nehmen, die ich nicht getätigt habe, noch, irgendwelche themenfremden Scheindebatten zu führen.
Anonmy am Permanenter Link
Moralisten wie Sie ersetzen ja nicht das Einkommen der wirtschaftlich schwachen Personen. Sie moralisieren nur dagegen. Das ist wohlfeil wenn es nix kostet und man das Geld nicht ersetzen muss.
David Z am Permanenter Link
Üble Sache.