Das Landgericht Darmstadt hat ein wahrhaft homöopathisches Urteil gefällt: Eines, in dem Logik in nur so geringem Maße vorhanden ist, dass sie nicht mehr nachweisbar ist. Ein Kommentar.
Ein Verein wollte einem Hersteller verbieten lassen, das Produkt "HCG C30 Globuli" unter dieser Bezeichnung zu bewerben oder in den Verkehr zu bringen. Das Landgericht wies die Unterlassungsklage ab. Die Begründung dafür lautet nach Medienangaben: "Dass das Schwangerschaftshormon HCG nicht in den Kügelchen nachweisbar ist, heißt nicht, dass es nicht im Mittel enthalten ist."
Auch das Argument, dass bei einem als C30 bezeichneten "Präparat" das Verdünnungsverhältnis 1:1060 beträgt und somit "die Wahrscheinlichkeit, in einem Mol Materie, welches etwa einem Arzneimittelfläschchen entspricht, ein Molekül der Urtinktur wiederzufinden, in etwa bei 1:1036" und damit weit unter der Wahrscheinlichkeit, einen Sechser im Lotto zu bekommen, liegt, konnte das Gericht nicht davon überzeugen, es hier mit Geldschneiderei und Scharlatanerie zu tun zu haben.
Im Gegenteil meinte das Gericht, dass der Ausgangsstoff bei dieser Dosierung "aufgrund der extremen Verdünnung mit den bisher bekannten wissenschaftlichen Methoden nicht mehr nachweisbar ist, führt nicht dazu, dass angenommen werden kann, dass der Stoff tatsächlich nicht in dem homöopathischen Medikament enthalten ist."
Man möchte sich erst mit der Hand vor die Stirn schlagen und dann "Äh … sondern?" fragen. Wenn also davon auszugehen ist, dass etwas nicht nachweisbar ist, dann muss man davon ausgehen, dass es trotzdem vorhanden ist?
Das Gericht hält diesen Hokuspokus auch nicht für Irreführung von Kunden. Denn kaufen würden das ja sowieso nur die, die an Homöopathie glauben, die anderen, die "Anhänger der klassischen Schulmedizin" kaufen das ja eh nicht.
Es ist zu hoffen, dass dieses Gericht nicht auch in Strafsachen urteilt: "Ja, ich habe den Mord begangen, aber weil das Opfer das nicht aussagt, habe ich den Mord nicht begangen." Freispruch und "Schönen Tag noch".
Allerdings – und das muss zur Ehrenrettung des Gerichts gesagt werden – wusste es genau, dass es in einen Bienenstock stechen würde, hätte es anders entschieden: "Würde man der Auffassung des klagenden Vereins folgen und unterstellen, dass der Inhaltsstoff bei einer Verdünnung 'C30' nicht enthalten ist, würde dies laut Gericht dazu führen, dass eine Vielzahl homöopathischer Arzneien nicht mehr vertrieben werden dürfte." Und das darf natürlich nicht geschehen. Ist doch ganz offensichtlich der Gewinn des Herstellers höher zu bewerten als die Gesundheit der Patienten.
Titelbild via Twitter (mit freundlicher Genehmigung von Sankt Johann).
29 Kommentare
Kommentare
Junius am Permanenter Link
"Ist doch ganz offensichtlich der Gewinn des Herstellers höher zu bewerten als die Gesundheit der Patienten."
CnndrBrbr am Permanenter Link
"Allerdings – und das muss zur Ehrenrettung des Gerichts gesagt werden – wusste es genau, dass es in einen Bienenstock stechen würde, hätte es anders entschieden"
Das ist keine Entschuldigung, sondern vorauseilendes Katzbuckeln vor Schwachmaten - der eigentliche Fehler dieses schwachsinnigen Urteils.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Schon traurig, wenn man sieht, dass Gerichte auf der Grundlage vermeintlichen Wissens und gefühlter Wahrheiten urteilen - und dabei offensichtlichen Unsinn produzieren.
Kikki am Permanenter Link
Köstlich! Gewußt wie und feine Herleitung v.S. des Gerichtes, da wird nicht nur brilliant gedacht sondern charmant mit Humor gekontert. Brilliant!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Die selbe Masche wie bei Gott, der ist auch nicht nachweisbar aber in den Köpfen trotzdem vorhanden.
Klaus am Permanenter Link
super - so ist es
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Hallo Klaus, ein Richter, hinter dem an der Wand ein riesiges Holzkreuz hängt, der kann garnicht anders Urteilen als dieser Richter. Erkennt ihr die Zusammenhänge.
Chevolution am Permanenter Link
Warum wurde geklagt? Wurde angezweifelt, dass in der Urtinktur HCG enthalten war? Wurde angezweifelt, dass "ordentlich" verdünnt wurde?
Darauf geht der Artikel leider nicht ein.
So ist der Bericht nur empörte heiße Luft mit Informationen in potentierter Form.
libertador am Permanenter Link
Es wurde geklagt, weil es in die Irre führen könne, zu behaupten etwas ist HCG C30, ohne darauf zu schreiben, dass kein HCG drin ist.
Die Beschriftung könnte ja auch sein:
"Hömöopathikum C30. Ausgangstinktur enthielt HCG. HCG nicht mehr enthalten aufgrund starker Verdünnung. Kein pharmakologischer Effekt. Wirkt nicht über den Placebo-Effekt hinaus."
Chevolution am Permanenter Link
Aner auch dieses trifft auf alle Homöopathika ab der entprechenden Verdünnung zu.
Soll hier beispielhaft an einem "Präparat" geklagt werden, um dann gegen alle anderen auch zu klagen?
Konsequenterweise müsste gegen alle Präparate geklagt werden, in denen kein Wrikstoff mehr nachweisbar ist.
Irreführung ist dann doch generell bei jedem "homöpathischem Heilmittel" gegeben (ab D30).
Bei C30 geht es ja nicht um enthaltenen Wirkstoff, sondern um potenzierte Wirkung...
libertador am Permanenter Link
Es ist keine juristische Besonderheit im Einzelfall zu klagen. Wenn es Irreführung wäre, dann wäre diese auch im Einzelfall nicht zulässig, ungeachtet der weiteren Fälle.
Der Begriff Präzedenzfall wäre auch recht sinnlos, wenn man immer für alle Fälle klagen müsste. Warum sollte das ein Witz sein?
Joseph Kuhn am Permanenter Link
Der Urteilstext stützt sich nicht nur auf eine naturwissenschaftlich absurde Aussage und dichotomisiert die Kunden falsch in überzeugte Homöopathienutzer und kundige Skeptiker (die beide im juristischen Sinn nicht irr
"Dies wurde bereits Ende des 18. Jahrhunderts von dem Arzt Samuel Hahnemann in diversen Publikationen erläutert."
"Anhänger der klassischen Schulmedizin gehen üblicherweise davon aus ..."
"mit den derzeit wissenschaftlichen Methoden nicht nachweisbar"
"Angaben zu irgendwelchen Anwendungsgebieten bzw. Beschwerden sind aufgrund der gesetzlichen Vorgaben bei homöopathischen Arzneimitteln zum Nachteil des Verbrauchers inzwischen bereits verboten worden"
awmrkl am Permanenter Link
"... dass eine Vielzahl homöopathischer Arzneien nicht mehr vertrieben werden dürfte"
Das stimmt doch gar nicht!
Was der Fall wäre: Es würde nicht mehr als "Arznei..." gelten können, würde aus der Apothekenpflicht rausfallen und statt dessen im Süßwarenregal des Supermarkts landen, neben TicTac und div Bonbons. Was sehr zu begrüßen wäre: genau dort gehören all die (mindestens die!) D2x und C1x Bonbons auch hin, denn genau das sind sie: Bonbons aus purem Zucker.
Da sind wohl auch die dortigen Richter heftig Hahnemann-verseucht …
David Z am Permanenter Link
Der Umstand, dass das Gericht die tendenziöse Formulierung "klassische Schulmedizin" verwendet, drückt mMn eindeutig ein Gemeinmachen mit der Position des Beklagten aus.
Auch die höchst unlogische und unwissenschaftliche Behauptung, der Kläger müsse das Nichtvorhandensein von etwas nachweisen und nicht etwa der Beklagte das Vorhandensein, stellt eine so grotesk schlechte Argumentation dar, dass man die Sache kaum glauben kann.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Genau dieses Prinzip haben wir doch bei der Behauptung, es gibt einen Gott, da wird von uns Atheisten immer verlangt, wir sollen Bewiese erbringen, dass es keinen Gott gibt, aber die Kirchen bleiben jeglichen Beweis s
Da unsere Politiker dies genau so sehen wie die Pfaffen, gilt dieses Prinzip auch für unsere Gerichte.
David Z am Permanenter Link
Ja, genau daran musste ich auch denken.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Die Logik des Gerichts wird bald bei Zulassung der neuen Medikamente übernommen: Zulassung wird erteilt, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das neue "Medikament" eventuell wirksam ist.
watcher am Permanenter Link
Im Prinzip ist das Urteil des Gerichtes richtig - allerdings hätte es anders formulieren sollen. Es geht gar nicht um die NACHWEISBARKEIT.
Christian Mohr am Permanenter Link
Aufgrund der immer vorhandenen Verunreinigung der zur Verdünnung genutzten Medien ist ab ca.
David Z am Permanenter Link
Darf ich dann als Hersteller auch "Fruchtsaft" verkaufen, der aus 99,99% Wasser und einem Minitropfen Fruchtsaft besteht ? Der Käufer muss halt nur daran glauben, dass er Fruchtsaft trinkt...
Maik am Permanenter Link
Einmal Abregen bitte, danke!
lto hat einen ausführlicheren und vor allem sachlichen Artikel dazu
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lg-darmstadt-15o25-19-homoeopathie-globuli-stoffe-nicht-nachweisbar-keine-irrefuehrung/
"
Der Verein, dem laut Urteil beinahe alle Industrie- und Handelskammern sowie zahlreiche Apothekerkammern und Pharmaunternehmen angehören, hatte argumentiert, dass sich das Schwangerschaftshormon HCG gar nicht in den Produkten des Herstellers befinde und somit Verbraucher in die Irre führe. Die Präparate bestünden ausschließlich aus Zucker.
"
Wer Irreführung von Verbrauchern argumentiert der muss sich nicht wundern wenn das Gericht dem nicht zustimmt. Immerhin erwartet ein Homöopathiekunde bis zur Nichtnachweisbarkeit Verdünntes. So gesehen, wäre es Irreführung gewesen wenn da noch was nachweisbar gewesen wäre.
Es ging ja in keinster Weise um den Nachweis einer Wirksamkeit des "Präparates".
So jetzt können alle wieder in Schnappatmung verfallen. Habe fertich.
Petra Pausch am Permanenter Link
Echt jetzt, Maik? Weil niemand erwartet, dass in Globuli nix drin ist, hat das Gericht richtig geurteilt? In welcher Welt leben Sie denn?
Maik am Permanenter Link
>Echt jetzt, Maik?
Echt jetzt, Petra.
>Weil niemand erwartet, dass in Globuli nix drin ist, hat das Gericht richtig geurteilt?
Weil auf Irreführung geklagt wurde und diese nunmal nicht belegt wurde.
>In welcher Welt leben Sie denn?
Tut nix zur Sache. Aber danke der Nachfrage!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Schnappatmung habe ich nie. Ich habe schon zu viel Unsinniges erlebt.
Aber: Ein Kunde, der ein Medikament erwirbt, hat i.d.R. ein medizinisches Problem. Folglich will er mit diesem Medikament gegen dieses med. Problem vorgehen. Apotheken sind da die richtige Bezugsquelle. Wenn also Medikamente als wirksam verkauft werden - nirgendwo steht auf Homöopathika, dass sie unwirksam sind - dann geht der Kunde im guten Glauben davon aus, ein wirksames Medikament in der Apotheke erworben zu haben. Wenn sogar der Wirkstoff HCG vom Hersteller und Apotheker versprochen wird, dann muss dieser - zum Zweck der Wirksamkeit, die zu einer möglichen Genesung führt - auch enthalten sein. Doch ohne Wirkstoff keine Wirksamkeit. D. h. ein faktisch wirkstoffloses Präparat kann keine Wirksamkeit über den Placeboeffekt hinaus entfalten.
Dem Kunden ist es völlig egal, ob ein Wirkstoff bis über die Nachweisgrenze hinaus verdünnt wurde. Er möchte ein wirksames Medikament. Er bezahlt ja auch nicht mit einem eventuell vorhandenen Geldatom in einer wässrigen Zuckerlösung...
Maik am Permanenter Link
Nochmal zum Mitmeißeln. Die Wirksamkeit des Mittels **war nicht** Teil der Klage.
M.S. am Permanenter Link
Bei diesem Produkt geht es gar nicht um Genesung. Soweit ich gelesen habe, soll es beim Abnehmen helfen. Quasi als schonendere Variante zur "richtigen" HCG-Diät, bei der HGC gespritzt wird.
Die Kumulation an Fehlannahmen ist bei HCG-Globuli also noch größer als man ohnehin erwarten würde.
libertador am Permanenter Link
Folgendes Zitat verstehe ich nicht:
"Würde man der Auffassung des klagenden Vereins folgen und unterstellen, dass der Inhaltsstoff bei einer Verdünnung 'C30' nicht enthalten ist, würde dies laut Gericht dazu führen, dass eine Vielzahl homöopathischer Arzneien nicht mehr vertrieben werden dürfte."
Warum sollte man die Produkte nicht mehr vertreiben können. Man müsste doch nur die Aufschrift ändern: "HCG C30 (Serviervorschlag). Kein HCG enthalten aufgrund starker Verdünnung. Wirkt nicht über den Plazeboeffekt hinaus."
HolgerT am Permanenter Link
Das Urteil entwertet damit Gutachten von Sachverständigen vor Gericht:
MartinT am Permanenter Link
Eine Art Schrödingers Globuli? Wäre es drin, darf man es wegen mangelnder Zulassung nicht verkaufen. Wäre es nicht drin darf man es nicht verkaufen.