Der ehemalige Polizeibeamte Manfred Paulus macht in seinem Buch "Menschenhandel und Sexsklaverei. Organisierte Kriminalität im Rotlichtmilieu" auf die gemeinten Entwicklungen im Bereich der Prostitution auch und gerade in Deutschland aufmerksam. Damit macht er verdienstvollerweise auf ein tabuisiertes Thema aufmerksam, kursieren dazu doch insbesondere über die Opfer allzu viele ignorante oder überhebliche Vorstellungen.
Menschenhandel und Sklaverei sind keine Themen der Vergangenheit. Einen gegenteiligen Eindruck kann nur der gewinnen, der beide Begriffe auf bestimmte historische Erscheinungsformen reduziert. Gerade im Bereich der Prostitution setzen sich indessen solche Unterdrückungsformen fort. Dies gilt übrigens nicht nur für Länder, die ganz weit weg liegen. Auch in Deutschland selbst ist Sexsklaverei keine Seltenheit. Man nimmt dies meist nur nicht zur Kenntnis, entweder weil es sich um etwas außerhalb der eigenen Lebenswelt handelt oder weil man von falschen Vorstellungen über die Wirklichkeit geprägt ist. Gegen diese Ignoranz schreibt Manfred Paulus an. Sein Buch heißt "Menschenhandel und Sexsklaverei. Organisierte Kriminalität im Rotlichtmilieu". Der Autor will darin nicht durch anrüchige Beschreibungen einen wie auch immer gearteten latenten Reiz bedienen. Ganz im Gegenteil, Paulus war Erster Kriminalhauptkommissar und kann auf 30 Jahre Ermittlungserfahrungen und 25 Jahre Präventionsarbeit zu einem tabuisierten Thema zurückblicken.
Der Autor beginnt seine Betrachtungen mit der Feststellung, dass hier Menschen als Ware behandelt und ihnen die Würde genommen wird. Da heißt es dann auch: "Diese Ausbeutung der Töchter Thailands und Nigerias im Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zeigt sehr deutlich, dass das Recht auf Würde in unserer Gesellschaft längst nicht allen zugestanden und nicht immer und überall so geachtet und geschützt wird, wie es Art. 1 der Verfassung vorgibt" (S. 17). Nach einem Ausflug in die Geschichte der Prostitution wird das Gemeinte anhand von allgemeinen Beschreibungen wie konkreten Fallbeispielen verdeutlicht, wobei der Autor auf Bulgarien über Moldawien und Ungarn bis zu Weißrussland eingeht, denn dabei handelt es sich um die Rekrutierungsländer. Gemeinsam sei den Betroffenen: "Sie kommen aus der Armut … Sie alle wollen einer bedrückenden Perspektivlosigkeit und oft prekären Lebenssituation entkommen und ein bisschen am Wohlstand und am Glück dieser Welt teilhaben" (S.43).
Dann wird der Ablauf des Menschenhandels von Paulus detailliert beschrieben, von der Anwerbung über die Schleusung bis zur Ausbeutung. Immer wieder betont er dabei, dass nur in ganz wenigen Fällen von einer Freiwilligkeit die Rede sein könne. Der Autor kritisiert auch heftig die deutsche Gesetzgebung, die hier von einer sexuellen Dienstleistung und nicht von sexueller Unterdrückung ausgehe. Eine Liberalisierung sei fatal, gelte doch die simple Regel: "Je liberaler eine Prostitutionsgesetzgebung ist, umso mehr Frauen und Kinder werden von kriminellen Einzeltätern und Banden in das Land geschmuggelt" (S. 147). Dass es auch anders gehe, mache das schwedische Modell deutlich. Große Erfolge habe man im hohen Norden mit restriktiven Verboten verbucht. Daran sollte man in Deutschland nach Paulus anknüpfen. Auch bedürfe es spezialisierte Staatsanwaltschaften und polizeiliche Spezialeinheiten. Der Autor macht außerdem auf engagierte Nichtregierungsorganisationen aufmerksam, wobei manches Agieren mitunter überaus kontraproduktiv sei.
Die Berufserfahrung prägt das Buch und auch das dadurch aufkommende Mitgefühl für die Opfer. Denn hier geht es um brutale Ausbeutung und entwürdigende Unterdrückung, wofür es an öffentlichem Bewusstsein mangelt. Dem Autor kommt das Verdienst zu, nicht nur mit dem erwähnten Buch, sondern auch seinem sonstigen Engagement hier aufklärerisch zu wirken. Erstaunlich ist, dass sich dafür nur wenige gesellschaftliche Akteure interessieren, sieht man einmal von wenigen Frauenorganisationen ab. Gerade diese Einsicht macht mit das Tabu aus. Paulus schreibt gut verständlich und macht Zusammenhänge deutlich. Dabei kritisiert er Blindheit und Fehlverhalten, was etwa in dem kurzen Abschnitt zu Amnesty International deutlich wird. Mehr Angaben zu den Profiteuren und Tätern hätte man sich gewünscht. Es werden häufig nur Beispiele aus anderen Ländern genannt. Doch wer sind in Deutschland diejenigen Männer, die hier viel Geld im großen Stil machen? Berechtigt macht der Autor darauf aufmerksam: Der Körper gehört dem Menschen selbst, er ist keine Ware.
Manfred Paulus, Menschenhandel und Sexsklaverei. Organisierte Kriminalität im Rotlichtmilieu, Wien 2020 (Promedia-Verlag), 203 S. 19,90 Euro
6 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wo Menschenrecht und Menschenwürde nur auf dem Papier steht, hat rücksichtslose Habgier Hochkonjunktur.
David Z am Permanenter Link
"Dass es auch anders gehe, mache das schwedische Modell deutlich. Große Erfolge habe man im hohen Norden mit restriktiven Verboten verbucht. "
Ist das so? Ich lese da regelmäßig auch das Gegenteil.
"Berechtigt macht der Autor darauf aufmerksam: Der Körper gehört dem Menschen selbst, er ist keine Ware."
Dann kann der Mensch auch damit machen, was er möchte.
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Danke für diese Anmerkung. Man sehe sich die Situation in den Ländern an, in denen dieses Gewerbe bereits offiziell verboten ist, z. B.
Martin am Permanenter Link
Auch in Schweden ist die Situation lange nicht so rosig, wie es die Regierung behauptet. Berichte von Betroffenen, also Sexarbeiter/inne/n, zeigen, daß sich ihre Situation deutlich verschlechtert hat.
Es gibt mittlerweile viele wissenschaftliche Studien dazu, die aber von der schwedischen Regierung ignoriert werden, wie z.B. "Sweden's abolitionist discourse and law: Effects on the dynamics of Swedish sex work and on the lives of Sweden's sex workers", 2014, Criminology and Criminal Justice
Ein Ende der Prostitution wird meines Wissens mittlerweile von niemandem mehr behauptet. Auch die Regierung kann nicht leugnen, daß der Rückgang der sichtbaren Straßenprostitution einem äquivalenten Anstieg der Prostitution in Wohnungen, Clubs usw. gegenübersteht.
Das paternalistische Modell, Sexarbeiter/inne/n - und es sind zu über 90 % Frauen! - zu ihrem "Glück" zu zwingen, ist gescheitert, aber das wird noch nicht zugegeben. Die merkwürdige Allianz zwischen evangelischer Kirche, Staat und einem Teil der feministischen Bewegung steht zusammen und versucht diese Gesetze in andere Länder zu exportieren.
Hier ein Interview mit der schwedischen Sexarbeiterin und Feministin Pye Jacbsson: https://invidio.us/watch?v=7D7nOh57-I8
Åse am Permanenter Link
Vor einfachen Lösungen sollte man sich hier wohl eher in Acht nehmen. Eine (weitgehende) gesetzliche Eindämmung, oder gar ein Verbot der Prostitution schafft diese ja nicht aus der Welt.
Gleichwohl gilt es in unserem liberalen System den besorgniserregenden Anteil an Menschenhandel und Sexsklaverei einzudämmen. Was ist denn das Druckmittel gegen die Frauen? Neben der (Drohung mit) Gewalt sicher die Abschiebung. Geben wir den Frauen eine Perspektive, dann werden sie sich mehr wehren und wir können die Kriminellen aus dem Verkehr ziehen.
Und eins noch: Auch wenn man Prostitution (wie vieles andere) nicht verbieten, also in die Illegalität abdrängen sollte, so muss man Werbung dafür ja nicht erlauben. Plakate, die Frauen ("100 Girls ...") in Bordellen oder Saunaclubs anbieten, verstoßen doch eindeutig gegen die Menschenwürde. Ein Werbeverbot für "toleriertes Gewerbe" wäre sicher sinnvoll. (Da würden z. B. auch Suchtmittel drunter fallen.)
Und wer schon mit Gewalt gegen Prostituirte aufgefallen ist, sollte sicher kein Bordell betreiben dürfen.
Martin am Permanenter Link
Daß das schwedische Modell erfolgreich sei, hört man immer wieder. Vor allem von der schwedischen Regierung. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Ich empfehle den Film "Wo Sexarbeiterinnen keine Rechte haben" bei ARTE: https://www.arte.tv/de/videos/071485-000-A/wo-sexarbeiterinnen-keine-rechte-haben/