Ein Blick in die USA:

Was uns nach den "Corona-Spaziergängen" erwarten könnte

Der US-amerikanischen Regierung, allen voran Präsident Donald Trump und seinem Vize Mike Pence, nebenbei Chef der Coronavirus-Taskforce, dürften im Moment gewaltig die Synapsen glühen: Ausgerechnet in den ländlichen Counties (dem US-amerikanischen Pendant zum Landkreis), fernab der einstigen Covid-19-Hotspots an den beiden Küsten, entwickeln sich neue pandemische Epizentren.

Das Pikante hieran: Die Mehrheit der Wähler in diesen Counties hat 2016 republikanisch gestimmt; es sind ebenjene Regionen, in denen überzeugte Anhänger des Präsidenten seit Mitte April für eine Öffnung des Landes protestieren. Dies geht aus Daten hervor, die die Coronavirus-Taskforce bis zum 7. Mai erhoben hat und die der NBC vorliegen.

Ein Dokument aus dem Coronavirus Task Force Report zeigt zehn Counties auf, die im Vergleich zur Vorwoche Infektionsanstiege zwischen 100 und über 1.000 Prozentpunkten zu verzeichnen hatten. Mit Ausnahme von Polk County, Iowa, stimmten all diese Counties 2016 für Donald Trump. Auch die locations to watch, die noch immer beachtliche 65 bis 187 Prozent Infektionsanstieg vorweisen können, befinden sich mehrheitlich in Trumps Territorium. Hier, in Minnesota, Michigan, Wisconsin und Ohio sitzt die republikanische Stammwählerschaft: die Industriearbeiter des Rust Belt sowie die Landwirte des Mittleren Westens.

Die Menschen protestieren vor allem für eine Wiederbelebung der wirtschaftlichen Tätigkeit. Das vorherrschende Hire-and-Fire-Prinzip hat seit Beginn der Coronakrise 36 Millionen US-Amerikaner den Job gekostet, 40 Prozent aller Haushalte mit niedrigem Einkommen haben mindestens eine Arbeitsstelle verloren. Auch eine Coronavirusinfektion muss man sich in den Vereinigten Staaten leisten können, wenn man einer der Millionen unter- oder gar nicht Krankenversicherten ist.

Gute Gründe, um wütend auf die Straße zu gehen? Vielleicht, doch das Virus fordert einen Tribut: Ramsey County, in dem sich der Regierungssitz Minnesotas befindet, findet sich mit einem Anstieg von 186,7 Prozent und 59 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auf der Liste locations to watch wieder. In St. Paul demonstrieren US-Amerikaner seit einigen Wochen für eine Öffnung der Nation, nachdem Donald Trump am 17. April twitterte, man solle Virginia, Michigan und Minnesota "befreien".

Ebenfalls auf dieser Liste findet sich Franklin County, Ohio, wo seit Mitte April Hunderte zu Demonstrationen vor dem Regierungsgebäude in Columbus zusammenkommen. Abstandsregeln: Fehlanzeige. Mund-Nasen-Schutz: Sicher nicht. Beste Voraussetzungen also für einen viralen Hit.

Geodaten der Smartphones von Protestierenden geben zudem Aufschluss darüber, wie sich die Teilnehmer der Demonstrationen zusammensetzen. Die anonymisierten Standortdaten der Geräte zeigen Bewegungen in jede Ecke des jeweiligen Bundesstaats, teilweise in andere Bundesstaaten. Dr. Rob Davidson, Direktor des Committee to Protect Medicare, das die Daten verarbeitet, hierzu: "Das Verhalten, das wir beobachten, birgt ein hohes Infektionsrisiko. Wir sehen, dass sich Demonstranten in dicht gedrängten Mengen aufhalten und danach weit verstreuen." (Übersetzung des Autors)

Es scheint dünnes Eis zu sein, auf dem die Demonstrierenden in Stuttgart, Berlin und München spazieren gehen, denn uns könnte ein ähnliches Szenario blühen: Große, dicht gedrängte Versammlungen in den Städten, deren Teilnehmer in periphere Regionen abreisen, verbreiten SARS-CoV-2 flächendeckend über das Land. In zwei Wochen werden wir sehen, ob die selbsternannten Freiheitskämpfer zu einem erneuten Aufflammen der Pandemie beitragen.

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